«Ins Tessin fahren war das Grösste»

Di, 26. Mai. 2020

Werner Hintermann, 72 Jahre alt, erinnert sich, wie er mit Kollegen auf dem Töffli ins Tessin fuhr. Der Historiker Patrick Zehnder hat zugehört.

Werner Hintermann arbeitete als Bauspengler – 20 Jahre lang bei Schoop in Dättwil, 30 Jahre lang bei Schuppisser in Oberrohrdorf. Heute wohnt er in Fislisbach. Vor allem aber hatte Hintermann schon in den 1960er-Jahren ein Töffli. Wie er zu seinem Mofa kam und welche Abenteuer er mit Kollegen damals erlebt hatte, erzählte er vor wenigen Tagen dem Birmenstorfer Historiker Patrick Zehnder.
Zehnder ist Co-Projektleiter bei Zeitgeschichte Aargau (zeitgeschichteaargau.ch). Er sucht Menschen, die in den 1960er-, 70er- oder 80er-Jahren im Aargau auf dem Töffli unterwegs waren, unter anderem zu den legendären Partys der Wanderdisco Prism in den 1980er-Jahren. Darüber hatte der «Reussbote» berichtet (8. Mai), Werner Hintermann hatte sich gemeldet und dem Historiker seine Geschichte erzählt.

Reservekanister und Seil sind dabei
Der «Reussbote» publiziert nun Ausschnitte aus Zehnders Gesprächsnotizen mit dem Zeitzeugen.
«Werner Hintermann lebte die ersten zehn Jahre seines Lebens auf einem Bauernhof (heute Schöni) in Muntwil, einem Teil von Müslen in der Gemeinde Birmenstorf. Von Arbeiten bei Bauern und im Carrosseriespritzwerk Peterhans hatte Hintermann etwas Geld verdient und kaufte, 14 Jahre alt, bei Huber in Mellingen einen schwarzen Vélosolex (250 Franken), ein Jahr später einen hellblauen Velovap (450 Franken). Im letzten Schuljahr und im ersten Lehrjahr fuhr Hintermann in den Sommerferien mit seinen Kollegen Jürg Kusch und Peter Schmid zweimal von Fislisbach ins Tessin. In Orselina besass der damalige Badener SP-Grossrat Albert Räber, der Vormund von Jürg Kusch war, ein Ferienhaus. Die Jugendlichen hatten dort schon früher Ferientage verbracht. Sie hatten im Garten geholfen beim Sträucher schneiden, Rasenmähen, Obstpflücken. Die erste Reise führte jeweils in einem Tag über den Gotthard-Pass hin und auch wieder zurück – Autobahnen gab es noch nicht. Werner Hintermann fuhr auf der Sachs Caravelle seines Bruders, in Lederjacke ohne Helm und mit einer Sporttasche auf dem Gepäckträger. Die Burschen führten auch einen Reservekanister mit Zweitaktbenzin und ein Abschleppseil mit.»

«Der Hintern tat uns weh»
Werner Hintermann erinnert sich im Gespräch mit Patrick Zehnder: «Ins Tessin zu fahren war ein Traum, das Grösste. Wir ‹chrosten› da runter, ohne links und rechts zu schauen. Wir sind immer gefahren. Der Hintern tat uns weh vom Hocken. Aber wir wollten in einem Tag ankommen.» Sie hätten unterwegs keine anderen Töfflifahrer angetroffen, erzählte er. Patrick Zehnder notierte: «Im Tessin wohnten sie in Orselina, badeten in den Flüssen Maggia und Melezza oder am Lido von Locarno, kauften sich weisse Kapitänsmützen und machten Ausflüge, etwa auf den Flugplatz von Locarno.»
Im Jahr darauf, so Hintermann, seien sie in einem Tag über den San Bernardino-Pass gefahren. Der Heimweg habe zwei Tage gedauert, übernachtet hätten die drei Kollegen, nach später Ankunft und mit Einverständnis des Bahnhofvorstandes, im Wartesaal von Walenstadt. Erst am zweiten Tag seien sie heimgefahren. Ein vierter Kollege sei damals nachgereist. Er hatte einen richtigen Töff, eine schwarze Norton mit verchromten Teilen. Werner Hintermann: «Das hatte uns drei anderen zugesetzt – wir fuhren noch Töffli.»
«Frisieren» konnte man die Töffli mit Stellschrauben, was aber kaum Einfluss auf das Tempo und bei Passfahrten ohnehin nichts gebracht hatte. Töffli fuhren hauptsächlich junge Männer. «Aber wir haben ‹öppe ein Meitli› auf dem Gepäckträger mitgenommen», erzählt Hintermann.

Mit dem Töffli zu den Kinos
Während der Lehrzeit seien die drei Kollegen an Sonntagen regelmässig ins Kino gegangen, drei Aufführungen hintereinander: Zuerst ins Mellinger Kino Rex, dann ins Badener Kino Linde und zuletzt ins Kino Orient (Revolverchuchi) zu den Wildwestfilmen. Werner Hintermann war 1967 Gründungsmitglied des Motoclubs Baden und fährt noch immer Töff. (hhs)

Weitere Auskunftswillige, die eventuell auch ihre Fotos zur Verfügung stellen würden, melden sich bei: patrick.zehnder@zeitgeschichte-aargau.ch oder 056 210 13 15.

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