Er ist ein Zeitzeuge des Kriegsendes

Fr, 08. Mai. 2020

Der 8. Mai 1945 gilt als offizielles Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. 75 Jahre danach scheint der Krieg in unserer Region fast vergessen zu sein. Josef Wettstein ist ein Zeitzeuge. Er erinnert sich mit anderen an die Kriegsjahre, das Ende und an die Jahre danach.


75 Jahre Kriegsende – Die Glocken läuteten

Der 8. Mai 1945 gilt als offizielles Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. 75 Jahre danach scheint der Krieg in unserer Region fast vergessen zu sein. Josef Wettstein ist Zeitzeuge. Er erinnert sich mit anderen an die Kriegsjahre, das Ende und an die Jahre danach.

Die Familie von Josef Wettstein (88) war gerade dabei, das letzte Fuder Heu auf den von zwei Pferden gezogenen Wagen zu laden, als der Dorfweibel eilenden Schrittes vorbeikam. Er stiess dabei immer wieder in das Feuerhorn. Das war das Zeichen der Mobilmachung für den Zweiten Weltkrieg. Der Vater liess augenblicklich alles stehen und eilte nach Hause. Für eine Verabschiedung blieb keine Zeit. Auf dem Bauernhof in Remetschwil zog er die bereitliegende Uniform an, nahm den Tornister und das Gewehr und machte sich auf den Weg. Als die Mutter mit dem Schwager und Kindern nach Hause kam, war ihr Mann bereits unterwegs. Wie bei vielen Zurückgebliebenen flossen auch bei den Wettsteins Tränen.

Kinder spielten Verstecken in den Artilleriegräben
Während dem Tag war vom Krieg nicht viel zu merken. Da die meisten am Rohrdorferberg Bauern waren, war auch während dem Krieg genügend Essen für die Grossfamilien vorhanden. Die Kinder mussten von klein auf mithelfen. Für spielen blieb wenig Zeit. Ausser am Sonntag. Da dann die am Rohrdorferberg stationierten Soldaten nicht da waren, boten die ausgehobenen Gräben der Artillerie-Stellungen beim «Buacher» einen idealen Ort für das Versteckspiel der Kinder. Auf dem Hof mussten die Ehefrauen, der für den Aktivdienst eingezogenen Männer, die zusätzliche Arbeit verrichten. «Für mich sind im Nachhinein betrachtet meine Mutter und die anderen Frauen die wahren Heldinnen während des Krieges», sagt alt Gemeindeammann Toni Merki aus Oberrohrdorf. «Als kleiner Bub faszinierten mich aber die Geschichten meines Vaters, die er während des Urlaubs vom Aktivdienst erzählte.»

Bomber flogen in der Nacht
Einen Fliegeralarm gab es nicht. Doch bei allen Zeitzeugen ist das Dröhnen der Propeller der Bomber präsent. Da es die Alliierten waren, war keine Angst vorhanden. Der Flug über die Schweiz war vom Bundesrat trotzdem verboten. Daran wurde sich aber nicht immer gehalten. «Sobald wir die Flugzeuge hörten, mussten wir die Fenster verdunkeln», sagt Josef Wettstein. Und dann wurden die Scheinwerfer gegen den Nachthimmel eingeschaltet. War der Flieger erkannt, wurde er von einem zweiten ins Fadenkreuz genommen. Und dann kam die Fliegerabwehr zum Einsatz. Am Rohrdorferberg gab es drei Geschütze.

General Guisan zu Besuch
Das Bataillon 48 war am Rohrdorferberg stationiert. Der Bruder von Toni Merki, Martin Merki (†), berichtete darüber im Buch «Die Limmatstellung im Zweiten Weltkrieg». Diese war das Kernstück der Armeestellung von 1939/40. Darum ist es nicht weiter verwunderlich, dass der Bundespräsident Philipp Etter gleich zweimal auf der Rüslerhöhe in Oberrohrdorf die Kompanie besuchte. Gemeindeammann Wilhelm Kessi bewirtete Etter und den Bataillonsstab in seinem Hause. Der Pfarrer war ebenfalls vor Ort. Kessi sagte damals: «Die Rohrdorfer werden einen solchen Besuch nicht so bald vergessen.» Der Besuch von General Guisan am 13. Februar 1940 war im Gegensatz zu dem von Etter in keinem Gemeindeprotokoll erwähnt. Der Gemeindeschreiber und Lokalchronist Hans Meier hielt aber das Ereignis im Bild fest. Martin Marti wurde als kleiner Bub davon Zeuge. Er war zusammen mit anderen Kindern auf dem Heimweg von der Schule. Da damals Autos noch eher eine Seltenheit waren, hatten die Kinder die Angewohnheit, mit ausgebreiteten Armen auf solche zuzulaufen. Das taten sie auch beim Fahrzeug vom General. Ein ebenfalls mitfahrender Offizier drohte den Kindern mit erhobenem Finger und strengem Blick, die Fahrbahn freizugeben. Dass der kleine Marti so nahe beim General war, war danach das «Tagesgespräch» zu Hause.

Zurückhaltung bei Kriegsende
Als am 8. Mai vor 75 Jahren der Krieg zu Ende ging, war Josef Wettstein gerade in der Bezirksschule in Mellingen. Wie andere Zeitzeugen erinnert er sich daran, dass die Glocken läuteten. Die Euphorie hielt sich aber bei allen in Grenzen. Sicherlich sei man froh gewesen, dass die Schweiz nicht von den Deutschen erobert wurde. Die Freude wurde aber von der Vorahnung getrübt, dass in den nächsten Jahren eine Wirtschaftskrise folgen würde. Exakt in diese Zeit musste sich Josef Wettstein für einen Beruf entscheiden. Auch damals mussten die Bez.-Schüler zur Berufsberatung nach Baden. Welchen Beruf Wettstein ergreifen wollte, wusste er nicht. «Ich wäre gerne Künstler geworden», sagt er. «Das war damals aber kein Beruf, den man erlernen konnte.» Der Berufsberater riet ihm dann Modell-Schreiner zu werden. Was das ist, wusste er nicht. Nach der Erklärung, dass damit Formen für Gussteile hergestellt würden, machte er eine vierjährige Lehre bei der BBC in Baden. Den Entschluss den Beruf zu erlernen, hat er nie bereut. Nach verschiedenen Stationen in der Schweiz, machte er sich zuletzt in Niederrohrdorf selbstständig. Die Nachkriegszeit war für ihn der Start in eine glückliche Zukunft. Für ihn und die anderen befragten Zeitzeugen, sind die Kriegsjahre mit Erinnerungen verbunden, die nach 75 Jahren etwas verblasst sind. Traumatisiert sind die Rohrdorfer vom Krieg aber nicht.

Debora Gattlen

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