Erfahrungen für das Leben

Di, 19. Mai. 2020

Manche Dinge nehmen einfach ihren Lauf, ganz unabhängig davon, ob die Welt gerade wegen aussergewöhnlicher Umstände still steht. Dies gilt beispielsweise für Geburtstage, Jubiläen oder auch für die Eisheiligen, deren Gedenktage oft noch ein letztes Mal vor dem Sommer kalte Temperaturen bringen. In all den Jahren vor dieser sonderbaren Zeit war es vollkommen normal, am Samstag nach der kalten Sophie ein Gartencenter aufzusuchen und sich mit wunderschönen Blumen in allen möglichen Farben einzudecken. Viele Hobbygärtner bepflanzen ihre Blumenkästen erst dann mit empfindlichen Blütenträgern. Ein Blick aus dem Fenster gibt ihnen recht und bestätigt die Bauernregel Pankraz, Servaz, Bonifaz machen erst dem Sommer Platz.
Dieses Jahr grenzt es an ein Wunder, dass wir überhaupt ein Gartencenter betreten dürfen. Schmerzlich viele Dinge sind uns während einiger Wochen verwehrt geblieben: Das Training im Fitnessstudio, ein gutes Essen im Restaurant oder ein Abstecher ins Museum. Auf dem Nachhauseweg noch kurz in einem Laden neue Schuhe kaufen oder in der Bibliothek ein neues Buch ausleihen – was früher vollkommen normal war, das ist mittlerweile zu einem «dürfen» geworden.
Wir leben in einem Land, welches den Grundschulunterricht als individuelles Grundrecht ansieht. Wer hätte gedacht, dass wir hier in unserer herrlichen Demokratie eines Tages den Präsenzunterricht als ein «dürfen» betrachten würden?
Gerade erst 75 Jahre ist es her, dass Europa von Krieg und Unterdrückung befreit wurde. Frieden und Freiheit sind zur Normalität geworden, und das ist auch gut so. Der technische Fortschritt während dieser Zeit ist überwältigend. Privilegiert sind wir aber nicht durch Computer oder schnittige Autos, sondern durch Gesundheit und Freiheit. In den vergangenen Wochen wurde uns deutlich vor Augen geführt, wie schnell es damit vorbei sein kann. Ausserhalb von Europa jedoch werden nach wie vor Menschen verfolgt, unterdrückt und getötet wegen ihrer Religion, ihres Geschlechts oder ihrer politischen Überzeugungen. Weltweit sind zwanzig Diktatoren an der Macht und treten die Menschenrechte mit Füssen, während sich in einem anderen Teil der Welt alle frei bewegen dürfen. Es gibt Augenblicke im Leben, in denen der Mensch sich plötzlich sehr klein fühlt. Dies passiert beispielsweise in klaren Nächten, wenn man Abermillionen funkelnder Sterne über sich sieht. Oder aber wenn etwas für das menschliche Auge Unsichtbares enorm grossen Schaden anrichtet, sei es im normalen Alltag jedes Einzelnen oder in der Wirtschaft.
Wir werden daran erinnert, dass Gesundheit, Demokratie, Frieden und Freiheit das Fundament für ein erfülltes Leben bilden. Es scheint die Zeit gekommen zu sein, seine Werte und Prioritäten neu zu überdenken. Jeder wird aus dieser Zeit seine eigenen Schlüsse und Erfahrungen mit auf den weiteren Lebensweg nehmen. Ich hoffe jedoch, dass wir alle gelernt haben, all die für uns selbstverständlichen Dinge zu wertschätzen, von denen andere Völker leider nur träumen können.

Maja Banovic 

Die Musikkauffrau und Musikjournalistin Maja Banovic lebt in Niederrohrdorf. Hin und wieder schreibt sie auch für den «Reussbote». In der Rubrik «Tagebuch» teilt sie ihre Beobachtungen und Gedanken zur Corona-Krise mit.

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