Kindermund tut Wahrheit kund

Di, 05. Mai. 2020

Michelangelo Buonarroti soll im hohen Alter gesagt haben: «Ich lerne noch immer.» Einer der grössten Künstler aller Zeiten wusste, dass der Mensch niemals zu lernen aufhört. Letztes Mal ging es darum, was wir von den erfahrensten Mitgliedern unserer Gesellschaft lernen können, von unseren Senioren. Neulich war es ein Kind, das mich zu erstaunen vermochte. An Kindern schätze ich, wie einfach gestrickt sie sind. Sie sagen alles gerade heraus, Voreingenommenheit kennen sie nicht.
Wir Erwachsene machen uns manchmal zu viele Gedanken, verkomplizieren die Dinge unnötig und sind dadurch viel zu oft gestresst. Während die Eltern also aufgeregt im Homeoffice von einem Videoanruf zum nächsten hetzen, hält mitten im Trubel ein Kind plötzlich ein Aufgabenblatt aus der Schule hoch und verkündet: «Diese Aufgabe werde ich nicht machen!»
Die erstaunte Mutter hielt erst einmal inne und machte sich mit dem Inhalt von besagtem Blatt vertraut. Der Auftrag lautete, ein Coronavirus zu zeichnen. «Das mache ich nicht!», wiederholte der Junge mit fester Stimme. Die Mutter wollte erst einmal ein gutes Argument hören, welches dagegen spricht. Darauf folgte ein derart einleuchtender Monolog des Kindes, dass es die Mutter wie auch die Lehrperson zu überzeugen vermochte.
Warum der junge Mann kein Coronavirus zeichnen wollte? Lassen wir ihn doch selbst antworten:
«Weil es etwas Schlechtes ist. Es ist böse. Es macht Menschen krank und kann sie sogar töten. Es ist schuld daran, dass ich nicht mehr in die Schule, zu Oma und ins Schwimmbad darf. Wegen dem blöden Virus sind die Erwachsenen nervös und schlecht gelaunt. Mit diesen Masken sehe ich nicht mehr, ob jemand lächelt. Dann fühle ich mich unsicher, und ich will mich nicht so fühlen. Das Virus ist doof und gemein und ich will es nicht zeichnen, weil es die ganze Welt unglücklich macht.»
Das ist eine klare Aussage, die erst einmal verdaut werden muss. Seit Wochen dreht sich alles nur noch um dieses Virus, wohin man auch sieht. Erschreckende Bilder in den Nachrichten sorgen für schlaflose Nächte und Zukunftsängste. Viele Menschen bangen um ihre Existenz und kämpfen sich mühevoll durch die Krise. Verständlich, dass einem dieses Szenario Angst machen kann. Mitten in dieser Parade der schlechten Gefühle steht also ein Kind auf und verkündet, dass es da nicht mitmacht. Es erinnert stark an «Des Kaisers neue Kleider». Im Märchen von Hans Christian Andersen sorgt ebenfalls ein Kind für Aufklärung. Natürlich sollen wir nun nicht gleich von einem Tag auf den anderen so tun, als wäre nichts geschehen. Eine Neubesinnung dagegen könnte für ein wenig Entspannung sorgen. Vorsicht? Ja.
– Angst? Nein! Zwar ist Angst ein wichtiger Schutzmechanismus des Körpers, doch zu viel davon schwächt und macht krank. Dazu gibt es mittlerweile diverse Studien. Was empfiehlt also das Kind? «Ich werde zwei Meter Abstand einhalten, aber ich lasse mir keine Angst machen. Und eine Zeichnung verdient das doofe Ding auch nicht!»
– Wir können noch immer lernen.
Maja Banovic

Die Musikkauffrau und Musikjournalistin Maja Banovic lebt in Niederrohrdorf. Hin und wieder schreibt sie auch für den «Reussbote». In der neuen Rubrik «Tagebuch» teilt sie ihre Beobachtungen und Gedanken zur Corona-Krise mit.

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