«Wir hoffen auf die Solidarität unserer Leser»

Fr, 08. Mai. 2020

Auch die Medienbranche leidet unter der Corona-Krise. Die Werbeeinnahmen sind massiv eingebrochen. Auch beim «Reussbote», der die Region seit über 120 Jahren zuverlässig mit lokalen Informationen versorgt. «Reussbote»-Verleger und Chefredaktor Benedikt Nüssli sagt: «Krisen sind auch Chancen.» Er hofft auf eine rasche Rückkehr zur Normalität.

Bene Nüssli, wie er allgemein gerufen wird, ist ein alter Hase im Geschäft. Der 59-Jährige führt die «Reussbote»-Redaktion seit 30 Jahren. Seit der Pensionierung seines Bruders Dieter, ist er auch für die Druckerei Nüssli verantwortlich. Gerade die Druckbranche kennt seit Jahrzehnten beinahe nichts anderes als den permanenten Wandel. Als Bene Nüssli als Bub im väterlichen Betrieb mithalf, wurde in der hauseigenen Druckerei noch mit Blei gesetzt. Relikte dieser Zeit sind im Keller der Druckerei noch zu finden. Damals gab es angesehene Berufe wie die des Handsetzers, Maschinensetzers, Schriftgiessers, Reprofotografen, Fotolithografen, Klischeurs oder Stereotypeurs. Längst hat auch in der Druck- und Zeitungsbranche die Digitalisierung Einzug gehalten. Zeitungen wie der «Reussbote» haben dem Zeitungssterben, das in den letzten Jahrzehnten viele grosse und kleine Zeitungstitel landauf und landab zum Verschwinden brachte, über vier Generationen getrotzt. Das Unternehmen hat die grosse Depression in den 1920er-Jahren, zwei Weltkriege und mehrere scharfe Rezessionen überlebt. Aber so etwas wie die Corona-Krise, ist auch für das Traditionshaus an der Bahnhofstrasse in Mellingen neu.

Bene Nüssli, am späten Nachmittag des 16. März, einem Montag, hat der Bundesrat den Lockdown verfügt. Schon am andern Tag geriet die Schweizer Wirtschaft ins Stocken. Von einem Tag auf den andern war Homeoffice Trumpf. Mittlerweile ist beinahe jeder dritte Arbeitnehmer von Kurzarbeit betroffen.
Als KMU mit 20 Mitarbeitenden sind auch wir stark betroffen. Und zwar gleich in zwei Branchen. Da ist einmal der Verlag mit dem «Reussbote». Und die Druckerei, welche unsere Zeitung noch immer druckt. Auch wir kamen nicht umhin, Kurzarbeit anzumelden. Denn die für uns lebenswichtigen Einnahmen aus der Werbung gingen mit dem Lockdown schlagartig zurück, was durchaus seine Logik hat. Was soll ein Ladengeschäft oder ein Dienstleister noch Werbung machen, wenn sein Betrieb geschlossen und die Zukunft ungewiss ist? Die Restaurants waren zu. Sämtliche Veranstaltungen wurden abgesagt. Entsprechend wurden die Inserateaufträge storniert. Das war für uns besonders hart. Denn es ging auf Ostern zu, wenn besonders viele Angebote im Markt sind. Doch dafür brauchte es keine Werbung mehr.

Und die Druckerei?
Es braucht keine Veranstaltungsprospekte und andere Drucksachen mehr, wenn man nicht weiss, wann man wieder etwas verkaufen kann. Entsprechend blieben auch die Druckaufträge weg.

Dennoch, der «Reussbote» musste weiter herausgegeben werden. Die Kosten also blieben.

Ja, es war ein schwieriger Spagat. Auf der einen Seite sind wir unseren Abonnenten verpflichtet, die erwarten, dass der «Reussbote» zuverlässig zweimal pro Woche im Briefkasten ist. Uns blieb nichts anderes übrig als Kurzarbeit zu beantragen. Und dennoch mussten wir die Zeitung irgendwie herausbringen. In den Ostertagen brachten wir aufgrund der Feiertage pro Woche nur eine Zeitung heraus. Aber sonst haben wir die Zeitung wie gewohnt gedruckt und geliefert.

Haben Sie schon eine Ahnung, wie sich die Krise auf das Geschäftsergebnis auswirken wird?
Eine Ahnung schon, aber noch keine konkrete Zahlen. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, werden wir in diesem Jahr auf jeden Fall deutlich schlechter abschneiden als in den Vorjahren.

Müssen wir uns um die Existenz des «Reussbote» Sorgen machen?
Für uns wird matchentscheidend, wie lange die Krise andauern wird. Wenn die Werbeeinnahmen das ganze Jahr über wegbrechen, werden auch wir Verluste schreiben. Als Familienunternehmen haben wir auch in den guten Jahren sorgfältig gewirtschaftet, sodass wir nicht gleich beim ersten Windstoss umfallen. Aber natürlich können auch wir nicht auf Dauer in diesem Modus, wie er gerade vorherrscht, weitermachen.

Was hat die Krise für Auswirkungen auf die Abonnentenzahlen?
Auch das kann ich Ihnen zurzeit nicht in Zahlen sagen. Aber allgemein gilt in Krisen: Wenn in den Haushalten weniger Geld vorhanden ist, sind die Leute zum Sparen gezwungen. Sie verzichten auf das Zeitungsabo und wandern ab ins Internet.

Wo im Moment die sogenannten Fakenews Hochkonjunktur feiern.
Das ist es ja gerade. Wir bemühen uns traditionell, lokale und kleinregionale Themen aufzubereiten. Unsere Journalisten sind vor Ort, reden mit Unternehmern, Kulturschaffenden, Sportlern, Politikern und Verwaltungsmitarbeitenden in den Gemeinden. Der «Reussbote» steht für publizistische Wahrhaftigkeit. Was in unserer Zeitung steht wurde von unseren Journalisten abgeklärt, geprüft und nachgefragt. Was im «Reussbote» steht ist im Netz nicht frei erhältlich.

Dann sollten ja die Online-Abos in dieser Zeit besonders nachgefragt werden?
Ja, das ist so. Nicht, dass wir jetzt gerade überrannt worden wären. Aber es ist in der Tat so, dass immer mehr das Online-Abo wählen als das traditionelle Zeitungsabo.

Das heisst, irgendwann werden Sie die Zeitung nur noch online herausgeben?
Diese Frage wird mir oft gestellt. Und immer wieder gebe ich die gleiche Antwort. Das Buch wurde schon oft totgesagt. Heute aber werden mehr Bücher hergestellt als je zuvor. Die Tageszeitungen verlieren seit Jahren dramatisch an Auflagen. Nicht zuletzt deshalb, weil sich die grossen Zeitungsverlage mit ihren Gratisangeboten im Netz selbst kannibalisiert haben.

Was beim «Reussbote» erstaunlicherwseise nicht passiert ist.
Warum erstaunlicherweise? Wir haben die Gefahr früh erkannt und wurden anfänglich noch belächelt, weil wir nicht mit dem grossen Strom mitgeschwommen sind. Entsprechend wurden wir auch nicht in den Abgrund gerissen. Die Herstellung von seriösem und glaubhaftem Inhalt ist ein hohes Gut. Wir waren als Familienunternehmen zu keiner Zeit bereit unsere Perlen vor die Säue zu werfen. Das sah zwar nicht immer besonders sexy aus. Aber es hat uns das Überleben gesichert.

Dennoch mussten auch Sie ein Online-Angebot zur Verfügung stellen.
Ja, sicher. Aber ganz sicher nicht gratis. Bei uns kann man zwar die Schlagzeilen und die wichtigsten Artikel im Anriss haben. Aber wer den ganzen Inhalt will, braucht ein Abonnement. Anders könnten wir nicht überleben.

Sie tönen recht zuversichtlich, wenn man Sie nach der Zukunft des «Reussbote» fragt.
Zuversichtlich, aber nicht leichtsinnig. Mir ist absolut klar, dass die Corona-Krise, bei der die Wirtschaft in einem Masse runtergefahren wurde, wie es keine Rezession vorher geschafft hat, noch lange Spuren hinterlassen wird. Aber ich denke, der regionale Markt wird nachher nicht ein wesentlich anderer sein als vor der Krise. Im Gegenteil. Vielleicht wird uns ja allen bewusst, wie wichtig es ist, möglichst lokal einzukaufen.

Ein frommer Wunsch?
Nein, überhaupt nicht. Wie sagte einst Winston Churchill?: «Verschwende nie eine Krise.» Das ist eine Aussage nach der wir uns orientieren können. Die Krise als Chance. Wollen wir weiterhin wegen ein paar Franken alles im Ausland herstellen lassen? Wollen wir weiterhin an den Stühlen sägen, auf denen wir sitzen? Wir haben ja gesehen, wohin das führt. Wir hatten zu wenige Masken, keine Schutzanzüge, zu wenige Sauerstoffgeräte in den Spitälern und vereinzelt wurden sogar wichtige Medikamente knapp. Ist es das, was wir wollen?

Der «Reussbote» als Beispiel?
Ja, warum nicht. Der «Reussbote» hat sich seit seiner Gründung vor 122 Jahren auf seine nächste Umgebung konzentriert. Unser Anspruch war nie etwas anderes als eine Lokalzeitung für die nächste Umgebung zu sein. Das war damals so. Und es ist noch heute so. Wir sind doch der beste Beweis, dass die Fokussierung auf den nahen Lebensraum, in dem wir leben und in dem wir unsere Identität erkennen, Grundlage für eine sichere Existenz bildet. Soll nach China rennen wer will. Wir bleiben hier. Wir geschäften hier. Und wir geben unser Geld hier aus.

Dann sollte es ja den «Reussbote» auch in 20 und 50 Jahren noch geben. Warum nicht? Das Lokalrezept hat sich als äusserst strapazierfähig erwiesen. Allerdings sind auch wir kein Selbstläufer. Es braucht grosse Anstrengungen, um die Leute in der Region dazu zu bewegen, den «Reussbote» zu abonnieren.

Potenzial wäre ja angesichts des Bevölkerungswachstums in der Region genug vorhanden.
Ja sicher. Deshalb haben wir ja auch vor einigen Jahren damit begionnen, alle paar Wochen eine Grossauflage herzustellen und kostenlos in alle Haushaltungen in unserem Verteilgebiet mit zwölf Gemeinden zu verteilen. Wir wollen den Zuzügern die Vorzüge unserer Region näherbringen. Wir wollen auch Identität für diese äusserst attraktive und lebenswerte Region stiften.

Noch eine letzte Frage. Oder vielmehr eine Prognose. Was glauben Sie, wo stehen wir in einem Jahr?
Schwer zu sagen. Aber eines ist sicher: Wir werden die Krise meistern, auch wenn wir einige Blessuren davontragen. Natürlich wird es zu Konkursen kommen. Das ist jetzt schon absehbar. Da helfen auch alle Stützungsmassnahmen von Bund und Kantonen nichts. Auch werden wir mehr Arbeitslose zählen müssen. Und die Sozialausgaben werden für viele Gemeinden steigen.

Und der «Reussbote», wie wird er die Krise überstehen?
Ich bin zuversichtlich und hoffe auf die Solidarität der Menschen in der Region. Es wäre schön und natürlich auch wünschenswert, wenn vermehrt Leute den Wert einer solchen Lokalzeitung wie der unseren, erkennen und den «Reussbote» auch abonnieren würden, online oder als herkömmliche Zeitung. Dieser Wunsch gilt nicht nur für uns als lokales KMU. Er gilt auch für alle KMU. Wenn wir wieder mehr lokal einkaufen und lokal-regionale Anbieter berücksichtigen, erhalten wir Arbeitsplätze, schaffen sozialen Zusammenhalt. Und nicht zuletzt, wir generieren Steuereinnahmen, die durch die Krise bestimmt auch zurückgehen werden.

Interview: Beat Gomes

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