«Kämpfen für eine Sache ist legitim»

Di, 21. Jul. 2020

Einige grössere Projekte wurden in jüngster Zeit abgelehnt. Da stellt sich die Frage: Politisiert die Gemeinde an der Bevölkerung vorbei? Nein, sagt Ammann Walter Koch. Er schätze es, dass die Niederwiler mitdiskutieren und auf diese Weise zu einem lebendigen Dorf beitragen.

Elektrizitätswerke, Asylhaus, Taracell, Kindergarten – einige grössere Projekte gingen in letzter Zeit «bachab». Die Stimmberechtigten lehnten mehrere Vorschläge des Gemeinderates ab. Was ist los in Niederwil?
Walter Koch: Mich überrascht diese Wahrnehmung. In meinen fast zwanzig Jahren Exekutive, acht Jahre als Gemeinderat und bald zwölf Jahre als Ammann, behandelten wir sicher hundert Geschäfte, viele wurden gewonnen – etwa die Schulhaussanierung für rund elf Millionen Franken, die Zentrumsplanung, wo sich alleine die Planungskredite in Millionenhöhe bewegen, auch eine Steuerfusserhöhung wurde problemlos angenommen. Die Leute denken mit. Vier oder fünf Geschäfte hatten jetzt vor der Stimmbevölkerung keinen Bestand. Das scheint mir nicht so tragisch.

Es frustriert Sie nicht?
Nein. Ich bin froh um die Auseinandersetzung. Es ist Aufgabe des Gemeinderates, für die Gemeinde etwas Sinnvolles zu kreieren. Bei unseren Diskussionen im Gemeinderat stützen wir uns unter anderem auf die Meinung von Fachleuten – Architekten, Planer. Wir sind im Gemeinderat nicht die fünf «Weisen aus dem Morgenland», die immer das Beste präsentieren. Sicher bedauern wir, wie jetzt beim Kindergarten, dass wir nicht gleich loslegen können.

Bleiben wir beim Kindergarten: Warum hatten Sie der Bevölkerung nicht zwei Varianten vorgelegt? Einmal mit Keller und Garderobe, einmal ohne?
Weil der FC Niederwil aus unserer Sicht das Bedürfnis nach weiteren Garderoben nicht belegen konnte. Wir haben dem Fussballclub die Nutzung weiterer Garderoben ermöglicht, ohne dass er mit anderen Vereinen ins Gehege gekommen wäre. Samstag und Sonntag kann der FC Niederwil sechs Kabinen nutzen.

Das war im Vorfeld mit Vertretern des Fussballclubs diskutiert worden?
Ja. Im März – früh genug – trafen wir uns erstmals mit einer Delegation des FC. Sie wünschten eine Unterkellerung des Kindergartens. Ihren Vorschlag leitete ich unserem Architekten weiter, der zwei Varianten berechnete, einmal mit zwei, einmal mit vier Kabinen. Für vier Kabinen fehlte der Platz, zwei Kabinen würden zusätzlich rund 400 000 Franken kosten, weil an dieser Stelle auf den Grundwasserspiegel Rücksicht genommen werden muss. Das erhöht die Baukosten und erfordert eine Bewilligung durch den Kanton. Der FC Niederwil ging von zusätzlichen 200 000 Franken aus und kommunizierte das auch so in seinem Flugblatt – ohne den Grundwasserstand mitzuberechnen.

Und alles musste mitten im Lockdown geklärt werden, als schweizweit die Zahlen der Corona-Infizierten in die Höhe schnellten ...
Das erschwerte unsere Arbeit: Die Gemeindeversammlung war abgesagt und wir versuchten die Bevölkerung via Gemeinde-Webseite zu informieren. Leider wurden unsere Informationen kaum gelesen ... Für den FC macht eine Unterkellerung Sinn, die Gemeinde aber soll die Kosten im Griff behalten. Ohne wei tere Bedürfnisabklärung waren für uns zusätzliche Kosten nicht vertretbar. Es wäre wohl weit teurer geworden als vom FC angedacht ...

Wie geht es weiter?
Wir halten uns an drei Kriterien: Im Raum stehen die Fragen einer Unterkellerung, die Kabinen für den FC und der Preis von 1,1 Millionen Franken... Mit dem FC werden wir Ende August zusammensitzen und das Bedürfnis nach weiteren Garderoben besprechen. Aus Sicht des Gemeinderates besteht ein solches Bedürfnis aktuell nicht. Diese Position dürften wir voraussichtlich auch an der Gemeindeversammlung im nächsten Sommer vertreten. Der Fussballclub wird aber Gelegenheit erhalten, seine eigene Position aufzuzeigen. Danach entscheidet das Stimmvolk.

Die Bevölkerung hatte sich früher bereits gegen den Verkauf des Elektrizitätswerks ausgesprochen, gegen einen neuen Standort für ein Asylhaus, gegen die Ansiedlung von Taracell in der Geere und im Grossrat fand der Golfpark keine Mehrheit... Politisieren Sie an den Leuten vorbei?
Es ist wohl eher so, dass emotionale Argumente mitspielen. Beim Verkauf des Elektrizitätswerkes hätten wir insgesamt rund eine Million Franken verdienen können und hätten das EW nach 25 Jahren zum Schätzwert zurückkaufen können. Nichts wäre verloren gewesen. Taracell war 2016 von einer Mehrheit als zukunftsträchtiges Projekt gutgeheissen worden. 2019, drei Jahre später, wurde es an der Urne abgelehnt: Das Gebäude sei hässlich und zu mächtig, auch der Mehrverkehr wurde angeprangert ...

Müsste man die Bevölkerung mehr einbinden? Kompromisse suchen...
Ich bin der Meinung, dass die Bevölkerung gut informiert war. Bei einer Gemeindeversammlung stimmen rund 150 Menschen ab, an der Urne sind es gegen 600. Wir waren bei Taracell zum Beispiel baff überrascht über diese Opposition und fragten uns, warum dieser Widerstand nicht bereits 2016 formuliert worden war. Auch wie das Gebäude aussehen würde, war schon damals bekannt ... Wirtschaftlich hätte das Dorf von 130 bis 150 Arbeitsplätzen profitiert, auch das Gewerbe in der Gemeinde hätte gewonnen.

Und dann sagte das Volk «Nein».
Das ist zu akzeptieren. Deswegen bricht keine Welt zusammen. Nie.

Was macht der Gemeinderat?
Wir machen weiter. Auch bei der Geere, wir bereiten die Ausschreibungen vor, haben bereits zehn Interessenten, alle werden gleich behandelt. Im Herbst erfolgt die Ausschreibung mit den Bedingungen und den Kriterien gemäss Arbeitszone 1: Weder ein Autoabstellplatz noch eine Lagerhalle können in der Geere entstehen. Es müssen Arbeitsplätze geschaffen werden, durch ein KMU oder ein grosses Unternehmen

Die Visionen sind Ihnen nicht abhanden gekommen?
Nein. Dann wäre ich am falschen Ort, müsste aufhören. Wenn ich eine Niederlage nicht einstecken kann ... – ich habe nie einen Plan B, bin immer Optimist. Wenn etwas nicht durchkommt, überlege ich am Montag: Wie weiter? Ein Gemeinderat muss effizient sein.

Es wird viel diskutiert in Niederwil?
Dieses Kämpfen für eine Sache ist legitim. Die Menschen diskutieren mit, wir arbeiten zusammen. Ich denke, der Gemeinderat hat dennoch eine grosse Rückendeckung. Das zeigt sich gerade bei Volks- oder Turnfesten, alle machen mit, Vereine mit einer Beiz, der Gemeinderat an der Fasnacht sogar mit einer eigenen Nummer ...

Letztlich läuft alles, wie es soll?
Die Gemeinde winkt nicht einfach alles durch, sie hinterfragt, nimmt an der politischen Diskussion teil. Ich schätze es, dass Niederwil ein lebendiges Dorf ist, dass die Leute mobilisiert werden können, unterschiedliche Positionen besprochen werden, auch in der Zeitung. Das ist spannend und zeigt, dass Niederwil keine Schlafgemeinde ist.

Was ist die Rolle des Gemeinderates, wenn es hitzig wird?
Der Gemeinderat sollte sachlich bleiben, die Exekutive darf sich nicht von Emotionen anstecken lassen.

Gelingt das?
Nicht immer. Aber versuchen sollte es die Exekutive schon. Dann entscheidet das Volk: Manchmal erscheint es einem richtig, manchmal auch nicht.

So gehen Sie mit Niederlagen um?
In der Politik gibt es keine hundertprozentige Zustimmung, bei den verrücktesten Vorlagen nicht ... Das gehört zu unserem System.

Die Politik ist Ihnen nicht verleidet.
Nein! Das heisst, ich mache jetzt noch eineinhalb Jahre, dann war ich zwanzig Jahre lang in der Exekutive in Niederwil. Das reicht.

Heidi Hess

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