Bauen mit Holz, Stroh, Lehm und Kalk

Fr, 28. Aug. 2020

Stroh als Baumaterial ist im Kommen und überzeugt immer mehr Bauherren. Beste Werbung für den nachwachsenden Rohstoff ist das moderne und komfortable zweigeschossige Haus der Renolds an der Dättwilerstrasse. Seine Wände, Decken und Böden bestehen aus mit Stroh gefüllten Holzkonstruktionen. Es ist das erste in dieser Hybridbauweise erstellte Haus im Bezirk Baden.

Man riecht es gleich beim Betreten des Hauses, einen subtilen, angenehmen, natürlichen Geruch, fast wie ein feines Parfüm. Kein Wunder, wurden doch für das neue Haus von Irene und Mario Renold insgesamt 70 Tonnen Stroh verbaut. «Angesichts dieser Menge haben wir alles bei der Landi bestellt», erzählt Mario Renold schmunzelnd, und zählt mit dem Raumklima gleich einen der Vorzüge der Strohballenbauweise auf. Im Grunde sei das Haus ein riesiges passives Lüftungssystem: Die aussen mit Kalkputz und innen mit Lehm verputzten Wände isolieren gut, können aber atmen.

Stroh – Stein der Zukunft?
Die Renolds bauten in Hybridbauweise aus Holz und Stroh. Dabei werden die Strohballen in Holzrahmen verbaut, welche das Haus tragen, die kleinen für die Decken und Böden, die grossen für die Aussenwände. Das Stroh wird dann mit der Motorsense getrimmt und verputzt. Die Aussenwände erreichen so eine Breite von imposanten 1,20 Metern. Wärmedämmung und -Speicherung sowie Schallschutz sind dadurch ideal. Der Fussboden aus mit Pigmenten eingefärbtem, eingeöltem Estrichbeton ist ein weiterer guter Wärmespeicher. Die Wärme kann so hauptsächlich von der Sonne kommen: Die Fassade nach Südwesten besteht vollständig aus Glas, nach Süden und Osten gehen ebenfalls grosse Fenster. «Im Sommer, wenn die Sonne hoch oben steht, schützt uns das Vordach vor zu viel Einstrahlung», erklärt Mario Renold das Prinzip der passiven Energiegewinnung. «Im Winter, wenn die Sonne flach am Himmel steht, kann sie direkt hereinscheinen und das Haus erwärmen.»
Wer das obere Stockwerk betritt, muss angesichts der Raumhöhe staunen. Originell ist die luftige Raumaufteilung auf den 114 Quadratmeter grossen Etagen. Diese bestehen aus grossem Wohnzimmer, Schlaf- und Arbeitszimmer, Bad, WC und einem Vorratsraum. Die Küche ist offen und zentral. Während das untere Stockwerk bereits vermietet ist, aber noch leer steht, wird das Dättwiler Ehepaar im oberen diese Tage einziehen. Es gibt noch einiges zu tun: Die grosse Terrasse soll noch begrünt werden; im etwa 400 Quadratmeter grossen Garten sollen Bereiche für Gemüse-, Nutz- und Wildgarten angelegt werden.

Ökologisch, ohne Altlasten
«Unser Ziel war, so einfach wie möglich mit nachwachsenden Materialien zu bauen, ohne auf modernen Komfort zu verzichten», sagt Mario Renold. Möglichst autark sollte das Haus sein: An die Photovoltaikanlage auf dem Dach ist nicht nur das eigene, sondern auch das Einfamilienhaus von Mario Renolds Eltern nebenan angeschlossen. Mit Sonne wird auch die Wärmepumpe betrieben. Das Regenwasser wird in riesigen Tanks gesammelt, die noch im Garten vergraben werden müssen. Aus ihnen kommt das Wasser für WC, Waschmaschine und Garten. «Ein grosser Teil aller für unser Haus verbauten Materialien kann kompostiert werden», sagt Bauherrin Irene Renold. «Das Haus ist in der Herstellung und im Betrieb CO2-neutral.»
Doch auch herkömmliche Werkstoffe kamen zum Einsatz. So ruht die Holzkonstruktion auf den Betonwänden und -Decken des Untergeschosses. Hier ist die Haustechnik untergebracht, es hat zusätzliche Kellerräume und einen Freiraum für zukünftige Ausbauten. Das Haus hat eine Fussbodenheizung und Anschlüsse für einen Holzofen im Wohnzimmer. Das Dach ist mit rostfreiem Chromstahlblech belegt. Die Hofeinfahrt wurde geteert. Man müsse eben auch Kompromisse eingehen, meint Irene Renold. Sie ist auf einem Bauernhof aufgewachsen und wäre in verschiedenen Bereichen gerne noch einen Schritt weiter gegangen. «Ich hätte es noch schön gefunden, wenn wir das Getreide für das Stroh selbst angebaut und verarbeitet oder bei einem lokalen Bauern bezogen hätten», sagt sie. «Auch würden wir gerne das Regenwasser als Trinkwasser aufbereiten oder unser Abwasser selbst in einer Schilfkläranlage reinigen.» Bewilligungen dafür seien allerdings mit grossem Aufwand verbunden. «Vielleicht können wir das zu einem späteren Zeitpunkt realisieren.»

Stroh macht froh
Die Kosten für das Doppeleinfamilienhaus, rund 1,4 Millionen Franken, seien vergleichbar mit dem Bau eines herkömmlichen, von einem Architekten entworfenen Haus, sagt Mario Renold. «Aber wir werden bei den Unterhaltskosten viel günstiger sein.» Besonders die Bauphase, als das Stroh in die Wände eingepasst wurde, habe immer wieder Neugierige auf die Baustelle gelockt. Das Interesse im Dorf sei sehr gross gewesen und es seien sogar Interessierte von weiter weg gekommen, um sich alles anzuschauen. Im Wohnzimmer sind durch zwei kleine Fenster in der Wand die Halme zu sehen – ein schöner Blickfang für Gäste, die hier sicher noch öfter staunend stehen bleiben und sich über das Dättwiler Strohballenhaus informieren lassen werden.
«Wir sind vom Prinzip des natürlichen Bauens überzeugt und geben unsere Erfahrung gerne weiter», sagt das Ehepaar. «Wenn sich dadurch mehr Menschen entscheiden, auf diese Weise zu bauen, wäre das sehr schön.»

Stefan Böker


Vorurteile abbauen

Die Renolds werden immer wieder gefragt, wie robust ein solches Haus sei. Fakt ist, dass in Amerika, wo die Strohballenbauweise im 19. Jahrhundert erfunden wurde, über 100-jährige Strohhäuser stehen. Viele Menschen machen sich auch Sorgen wegen Schädlingsbefall, Schimmel oder Feuergefahr. Dabei ist das Stroh zu fest gepresst und zudem sind die Wände winddicht versiegelt, als dass ein Nagetier sich dort bewegen und nisten oder Wasser hineingelangen könnte. Fachgerecht verbaut, haben die Wände eine hohe Feuerwiderstandskraft. (sb)


Am Bau dabei
Geplant wurde das Haus vom Atelier Schmidt GmbH aus Trun (GR), das schon über 40 Gebäude mit Strohballen realisierte. Grösstes Projekt bisher ist eine Siedlung mit 28 Wohnungen in Nänikon (ZH). Die Bauleitung in Dättwil übernahm die Firma «Ihr Haus Architekten» aus Brugg. Mit den Holzbauarbeiten beauftragten die Bauherren die Peterhans, Schibli und Co. AG aus Fislisbach. (sb) 

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