«Zmorge und Znacht koche ich selbst»

Fr, 11. Sep. 2020

Künten/Lenzburg: Joseph Meier-Gschwend geniesst im Alter von 100 Jahren das Leben bei guter Gesundheit

Joseph Meier-Gschwend ist am 25. Juli 100 Jahre alt geworden. Fast bis zu seinem 99. Lebensjahr hat er in Künten im eigenen Haus gewohnt. Beim Besuch in seiner Wohnung im Tertianum Lenzburg hat der rüstige Jubilar auch auf sehr persönliche Fragen eine Antwort gegeben.

Herr Meier, wie haben Sie Ihren Geburtstag gefeiert?
Im Kreis der Familie in Widen, in der Wirtschaft zum Stutz. Meine Töchter haben mir ein Buch über mein Leben geschenkt mit vielen Fotografien. Dann habe ich noch einen selbstgestalteten Bildband über Künten bekommen, eine original Ausgabe der NZZ von meinem Geburtstag und sehr viele Blumen.

Sie wohnen seit rund einem Jahr im Tertianum Lenzburg. Wie verbringen Sie Ihre Freizeit?
Ich habe gar nicht so viel Freizeit. Ich mache gerne Laufübungen auf den vier Rundwegen des Tertianums und freitagmorgens gehe ich immer in den Coop einkaufen. Denn «Zmorge» und «Znacht» bereite ich in meiner Wohnung selbst zu, und irgendwer muss den Kühlschrank ja füllen.

Wie lange dauert das?
Das sind etwa 20 Minuten hin und 20 Minuten zurück. Bis ich dann wieder im Tertianum bin, ist es meist 11 Uhr, und um 11.30 Uhr geht es dann schon zum Mittagessen.

Fühlen Sie sich sicher, wenn Sie in die Stadt gehen?
Natürlich. Es hat breite Mittelstreifen, da kann ich die Strasse immer gut überqueren. Ich kann ja noch gut gehen, mit dem Rollator.

Ich meine nicht wegen dem Verkehr, sondern wegen den Menschen.
Bis jetzt habe ich nur gute Erfahrungen gemacht. Die Menschen sind hilfsbereit hier.

Sie haben schon an vielen verschiedenen Orten gelebt, die längste Zeit aber in Künten, wo Sie auch geboren wurden. Wo ist es am Schönsten?
Da muss ich ja jetzt Künten sagen. Aber ich finde es dort wirklich am Schönsten, an allen anderen Orten habe ich mich nie hundertprozentig eingelebt.

Sie haben in einem speziellen, von einem Zürcher Architekten entworfenen Flachdach-Haus gewohnt. Vermissen Sie Ihr Haus?
Ja. Obwohl ich hier im Tertianum sehr gut aufgehoben bin. Meine Töchter holen mich von Zeit zu Zeit ab, dann fahren wir nach Künten, wo ich mich in meinem Büro um meine Angelegenheiten kümmern kann. Wir kochen gemeinsam, bevor sie mich wieder zurück nach Lenzburg fahren.

Was ist das Geheimnis Ihres hohen Alters?
Das weiss ich auch nicht. Ich habe einfach Glück gehabt.

Sie haben ein ganzes Jahrhundert und damit viele gesellschaftliche Veränderungen miterlebt. Beispielsweise hat sich die Rolle der Frau über die Jahre gewandelt. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Die Frauen haben sich vermehrt auch ausserhalb vom Haushalt engagiert, zum Beispiel im Beruf und in der Politik.

Welche Veränderungen sind Ihnen besonders aufgefallen?
Früher hatten wir überhaupt nichts, kein Telefon, kein Radio, keinen Fernseher. Als ich jung war, kam ich von der Schule oder der Lehre nach Hause und musste neben den Hausaufgaben noch auf dem Hof mithelfen. Mir scheint, heute muss immer etwas los sein. Es gibt für alles Vereine, und die Menschen haben viel mehr Freizeit. Auch gab es früher keine Autos, wir sind einfach nicht weggekommen. Heute fahren die meisten ja gleich mit 18 Jahren durch die Gegend. Das ist in meinen Augen zu früh.

Wann haben Sie Ihren Führerausweis erworben?
Mit 34 – und mit 36 Jahren habe ich mir dann mein erstes Auto gekauft, einen Citroën.

Wie ist es mit Smartphones? Überall sieht man Menschen ihre Köpfe über Geräte stecken, die so viele Funktionen haben, dass dies vor 40 Jahren noch wie Science Fiction geklungen hat. Benutzen Sie ein Smartphone?
Nein, aber mein Schwiegersohn hat mir einen Laptop mit grossem Bildschirm eingerichtet. Ich habe auch eine E-Mail-Adresse.

Welche Hobbys haben Sie in Ihrer Jugend gepflegt?
Mit 18 Jahren habe ich das Segelfliegen angefangen. Zweimal im Monat habe ich mir das Velo von meinem Vater geliehen und bin damit nach Birrfeld zum Flugplatz gefahren.

Was ist das Schlimmste, was Ihnen jemals passiert ist?
Das war im Militärdienst, als ich zweimal knapp dem Tod entronnen bin. Einmal hätte mich schier eine Lokomotive überfahren, das andere Mal war ich auf Patrouille in der Nähe von Bad Säckingen, als uns eine eigene Truppe aus Basel beschossen hat.

Haben Sie Angst vor Corona?
Nein, gar nicht. Wenn Sie wollen, können Sie auch gerne die Maske abnehmen.

Lieber nicht ...
Sehen Sie, ich bin am Ende meines Lebens. Wenn ich um fünf vor zwölf sterben müsste, wäre das nicht tragisch.

Für Sie nicht, aber für Ihre Töchter.
Die sind gut ausgebildet, die stehen auf eigenen Beinen.

Traurig wären Sie dennoch.
Wir müssen alle irgendwann sterben. Und ich habe nie damit gerechnet, dass ich so alt werde und sogar noch meine Frau überlebe.

Interview: Stefan Böker


Zur Person

Joseph Meier-Gschwend wuchs in einfachen Verhältnissen in einem Landwirtschaftsbetrieb bei Künten, als ein Mittleres von acht Geschwistern, auf. Mit 20 Jahren kam er, mitten im Krieg, in die Rekrutenschule. Danach begann der Aktivdienst, an den sich der rüstige Senior noch lebhaft erinnert. Wenn er nicht im Dienst war, arbeitete er in der Birchmeier AG in Künten in der Werkstatt, aber auch im Büro. Nach dem Frieden von 1945 setzte er sein Studium am Technikum in Zürich fort, arbeitete als Technischer Zeichner und absolvierte das Diplom als Maschinenbauingenieur. Als Angestellter entwickelte er unter anderem eine Maschine für Philipp Morris, die vollautomatisch Kunststoff-Zigarettenpackungen herstellte. 1964 machte er sich selbstständig und führte unter anderem Aufträge für die BBC aus. Er arbeitete bis im Alter von 76 Jahren in seinem Büro im Haus in Künten, wo er bis zum Tod seiner Frau, im Mai 2019, lebte. (sb)

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