Entschuldigung, sind die ver-rückt

Fr, 18. Sep. 2020

27 Frauen und Männer begaben sich auf eine spirituelle Wanderung

Eine spirituelle Wanderung des Pastoralraums Region Mellingen fordert heraus und lässt aufhorchen.

er morgens um 6 Uhr in einer Kirche sitzt, muss eine besondere Motivation haben. Und diese hatten die 27 Frauen und Männer, die kürzlich frühmorgens aufstanden, um der Reuss entlang nach Bremgarten zu wandern. Aber das allein war es nicht. Nicht nur die Füsse, auch der Kopf und das Herz wollten gefordert und zufrieden gestellt werden. Und das in reichem Masse.
So begaben sich alle Mutigen bei bewölktem Himmel auf den Weg, ausgerüstet mit Schirm oder Pelerinen, aufschauend zum Himmel, ob der Regen sich bald ergiessen wird, hoffend auf blaue Himmelsflecken und im Herzen die Sehnsucht, einen erfüllten Tag zu erleben. Und siehe da, die Augen wurden geöffnet für das Unscheinbare, für das am Wegrand Liegende, für das satte Grün, für das Modernde und Verwelkte, für das Wilde. Und das alles am Wegrand, gleich vor der Haustür, doch oft unbeachtet, weil die Augen auf das ausgerichtet sind, was uns täglich umtreibt. Aber hier, in dieser Morgenfrühe, zeigte sich der Wandertruppe im Auf und Ab des Uferweges Urwaldähnliches, eine Vielfalt, die unermesslich ist. Und da beginnt das Staunen, die Dankbarkeit, dass es diese Biodiversität in der Tat gibt, dass unsere Seele sich hier zu Hause fühlt, gleichsam ein Biotop findet zum Ausruhen, zum Auftanken.
Trotz den düsteren Wolken, die sich nicht verziehen wollten. So gibt es einen ersten Besinnungshalt, direkt im Flussbett der Reuss, im Schatten einer Eiche und mit der Aussicht, dass bald der knurrende Magen auf die Rechnung kommt. Und tatsächlich, in der Wildenau wird die Pilgergruppe empfangen und verwöhnt mit Kaffee, Zopf und Morgenbuffet. Und genau hier, beim Sitzen am Tisch, zeigte der Petrus, was Sache ist. Wild dröhnte es auf die Dachdecke, es prasselte wie aus Kübeln herab und alle waren zufrieden, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein. Und da frägt sich der eine und andere: Warum tue ich mir das an, bin ich eigentlich ver-rückt, so frühmorgens aufzustehen, um mich dieser Unbill auszusetzen.
Doch wenn höhere Ziele locken, dann kann es keine Hindernisse geben. Im Gegenteil, an ihnen wird man stärker und genau sie führen in die Weite des Lebens hinein. Um das zu erfahren, sind die 27 Personen aufgebrochen und reichlich belohnt worden. Denn alle Besinnungshalte, die die Jugendseelsorgerin Alexandra Atapattu gestaltet hatte, führten hinein in das Schauen, in das vertiefte Sehen, welches uns so oft abgeht. Und wer nach dem letzten Halt, im Kreis stehend, von Ritualen getragen, dem gnadenlosen Regen ausgesetzt, wieder zurück zur Zivilisation fand, der musste sich in den Gassen von Bremgarten sagen, was für ein Friede hat uns auf der ganzen Wanderung getragen. Und wie gut war es, einmal ein Verrückter zu spielen, der ungeachtet der miesen Wetterprognosen sich herauswagte und nun konstatieren muss: Das Ganze war einfach Seelennahrung. Die zufriedenen Gesichter zeigten es mehr als je. Und so hatte uns an diesem Samstagmorgen die laute Welt mit ihrem Getöse und ihrer Betriebsamkeit zurück, so als wollte sie wieder das Regime über unser Leben übernehmen. Dennoch ist zu sagen, zum Glück gibt es diese Oasen, dieses Verweilen in tiefer Verbundenheit mit der Natur und mit Gottes Schöpfung.

Johannes Zürcher

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