Militärbrücken über die Reuss

Di, 27. Okt. 2020

Der Maiengrünturm in Hägglingen während der Zeit des 2. Weltkrieges hatte eine Ausstrahlung bis ins Reusstal

Hatte der Maiengrünturm in der Kriegszeit eine wichtige Bedeutung? Falls ja, weshalb? Welche Organisation betrieb den Beobachtungsposten und welche militärischen Aktionen fanden in unserer Region statt?

Der Bundesrat erliess im Jahre 1934 die «Verordnung über die Organisation des Fliegerbeobachtungs- und Meldedienstes (FlBMD)», um die Zivilbevölkerung bei der Gefahr von Luftangriffen zu alarmieren und die Abwehrmittel einsetzen zu können. Im Herbst 1939 wurden schweizweit 221 Beobachtungsposten bezogen. Die meist hilfsdienstpflichtige Mannschaft eines Beobachtungspostens bestand aus acht bis zehn Armeeangehörigen. Eine radarunterstützte Luftraumüberwachung wurde in der Schweiz erst nach dem Krieg realisiert. Der Bestand der auf dem Maiengrün stationierten Mannschaft lag mit zwölf Armeeangehörigen höher als die Vorgaben es vorsahen, das spricht für seine hohe Wichtigkeit.

Armeestellung 39
Die Armee war nicht in der Lage, die ganze Landesgrenze zu verteidigen. Um einen möglichen Angriff der Deutschen aus Norden aufhalten zu können, erliess General Guisan im Oktober 1939 den Operationsbefehl Nr. 2: «Die Armee besetzt und hält eine Stellung von Sargans über Walensee, Zürich, Baden, Brugg, Bözberg, Hauenstein und Basel mit Schwergewicht zwischen Zürich und Hauenstein». Für den Ausbau und Verteidigung der Armeestellung 39, wie diese Verteidigungslinie genannt wurde, wurden über 360 000 Mann Kampftruppen (d. h. über 80 Prozent der eingezogenen Truppen) bereitgestellt.

Limmatstellung
Der Abschnitt der Armeestellung 39 zwischen Zürich und Brugg war von nationaler Bedeutung und trug die Bezeichnung «Limmatstellung» oder «Limmatlinie».
Die Verteidigungslinie des 3. Armeekorps verlief auf den Höhen südlich des Limmattales, zum Beispiel über den Heitersberg, gegliedert in drei Teile:
1. Zürich – Urdorf: Hier wirkte die 6. Division. Zentral war die Vorbereitung der Sperrung der Urdorfer Senke zwischen Urdorf und Birmensdorf.
2. Urdorf – Oberrohrdorf: Die 1. Division hatte den Mutschellenpass bei Gefahr zu sperren und errichtete eine Festung in Dietikon.
3. Oberrohrdorf – Brugg: Hier wirkte die 8. Division. Entlang der Limmatstellung wurden Panzerhindernisse und Stacheldrahtverhaue erstellt sowie viele Bunker. Weiter errichteten die Soldaten auch kilometerweise Strassen. Enorme Mengen an Baumaterialien wurden so allein durch die 8. Division verbaut: 553 Tonnen Eisenbahnschienen, 4300 Tonnen Armierungseisen, unzählige Tonnen an Bauholz sowie Hunderte Kilometer Stacheldraht.
Die Aufgabe der Limmatstellung bestand darin, die Übergänge vom Limmattal ins Reusstal zu sperren; stand der Feind einmal im Reusstal, so hatte er freien Zugang in die Zentralschweiz/Gotthard. Die 8. Division war zuständig für die Sperrung des Rüslers, den Übergang von Baden nach Dättwil sowie die «berühmte» Sperrstelle in Gebenstorf mit etwa einem Dutzend Bunkern.
Um einem Angriff von Bodentruppen zu begegnen, installierte ein Artillerie-Regiment 36 7,5 cm-Kanonen bei Birmenstorf, Mellingen und Niederrohrdorf; bei Mülligen stand eine Abteilung der schweren 10,5 cm-Motorkanonen mit einer Reichweite bis zum Rhein hinunter im Einsatz.
Die Reuss im Rücken der Limmatstellung bildete ein ernstzunehmendes Hindernis. Die Infanterieverbände der Armee waren praktisch nicht motorisiert und der Sollbestand einer Division betrug über 9000 Mann, 1300 Pferde und 700 Fuhrwerke. So beschloss man, neben den bestehenden Reussbrücken zusätzliche Militärbrücken anzubringen.

Militärbrücken über die Reuss
Bis im Frühjahr 1940 errichteten Pontonierbataillone mehrere Holzbrücken über die Reuss, hier die wichtigsten vier Brücken:
1. Bei Gnadenthal: circa 60 m unterhalb der heutigen Brücke, sind beide betonierten Widerlager (Aufbauten, auf denen die Brückenkonstruktion ruht) einer Pfahljochbrücke noch vorhanden.
2. Zwischen Tägerig und Stetten, nahe «Vorder Rüsstal» : Nur das linksseitige Brücken-Widerlager ist noch zu sehen.
3. Eine 90 m lange Holzbrücke stand an der Stelle, wo heute der metallene Fussgängersteg zur ARA Mellingen hinüberführt.
4. Diese – kurz nach Kriegsende abgetragene Brücke – stand circa750 Meter unterhalb der Mellinger Eisenbahnbrücke. Heute noch findet man leicht die beidseits der Reuss noch vorhandenen, mächtigsten Widerlager aller Militär-Reussbrücken.
Alle Reussbrücken im Raum zwischen Birmenstorf und Bremgarten waren sehr wichtig, deshalb wurden sie durch ein Flab-Detachement mittels zwölf 20 mm-Flabkanonen gegen Fliegerangriffe gesichert.
Die Beobachtungsrichtung vom Maiengrünturm nach Norden bis in den Südschwarzwald fällt genau mit der Talachse des unteren Aaretales zusammen, sodass anfliegende Flugzeuge wohl früh entdeckt worden wären. Die Wichtigkeit des Maiengrünturms zum Schutz der Zivilbevölkerung sowie der militärischen Anlagen – besonders in den ersten und letzten Kriegsjahren muss sehr hoch gewesen sein.

Albert Eugster

Zum Autor: Albert Eugster ist wohnhaft in Hägglingen und seit zwei Jahren pensioniert. Bei der einheimischen Bevölkerung gilt der Maiengrünturm als wichtiges Objekt während des Zweiten Weltkrieges. Eugsters Bericht erscheint anlässlich der Wiedereröffnung des Turmes nach einer erfolgten Generalsanierung.

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