«Homeoffice ist ein Privileg gewisser Branchen»

Di, 15. Dez. 2020

Peter Fröhlich, Geschäftsleiter beim Aargauischen Gewerbeverband, spricht über die Pandemie und über seine Pensionierung

Peter Fröhlich ist allen Firmen dankbar, die jetzt durchhalten. Bei Härtefällen muss der Grundsatz «Betroffenheit vor Branche» gelten, sagt er. Und seine baldige Pensionierung kommt für ihn etwas zu früh.

Bald kann er sein 20-jähriges Arbeitsjubiläum beim Aargauischen Gewerbeverband (AGV) feiern. Als Jubiläumsgeschenk winkt dem Geschäftsleiter aber kein Sabbatical, keine befristete Arbeitspause. Vielmehr wird Peter Fröhlich sein Büro räumen, seine Sachen packen und nicht mehr an seinen Arbeitsplatz zurückkehren: Peter Fröhlich hat frei für immer. Er wird Ende März 2021 pensioniert.
Peter Fröhlich, wohnhaft in Wohlenschwil, war 15 Jahre lang Stellvertreter des Geschäftsleiters und seit 2015, nach einer Anpassung der Führungsstrukturen, selber Geschäftsleiter. Beim AGV war er Gestalter, Visionär, Missionar und immer auch Optimist. Zur Zeit hört er wegen Corona besonders genau hin, vermittelt und manchmal tröstet er auch.

Sie blicken auf schwierige Monate zurück. Sind Sie froh, dass Sie nächsten März pensioniert werden?
Nein, gar nicht. Ich fühle mich überhaupt noch nicht pensionsreif, auch wenn es meinem Jahrgang entspricht. Ich könnte durchaus mit einem ordentlichen Pensionsalter 67 leben ...

Sie wären gerne länger geblieben?
Ja, wenn man keinen Nachfolger gefunden hätte. Wir legen intern aber Wert darauf, ordentlich zu pensionieren. Ich war 20 Jahre lang dabei. Vielleicht ist der Moment für neue Ideen gekommen. Ich bin guten Mutes, weil wir einen guten Nachfolger gefunden haben.

Aber die letzten Monate, die Pandemie, waren bestimmt nicht einfach?
Nein. Ich habe auch Mühe, in dieser schwierigen Zeit zu gehen – eigentlich sollte der Kapitän bei Sturm auf dem Schiff bleiben. Ich wäre lieber nach Corona gegangen.

Wann? In einem Jahr?
Seien wir optimistisch, in einem halben Jahr.

Was bereitet Ihnen aus Sicht des Gewerbes besonders Sorgen?
Mitglieder einiger Verbände arbeiten zur Zeit unter sehr schwierigen Bedingungen, angefangen bei der Gastrobranche und der Hotellerie. Hinzu kommen viele, die indirekt betroffen sind.

Das heisst?
Wir mussten selber den Neujahrsapéro mit 600 bis 700 erwarteten Gästen absagen. Wenn solch ein Megaevent ausfällt, bedeutet das: Kein Saal, keine Caterer, keine Veranstaltungstechnik und, und, und ... Das vervielfacht sich. Zudem sind wir nicht die Einzigen, die absagen. Weihnachtsessen, Kinderanlässe, andere Megaanlässe, alles abgesagt – in der Summe bedeutet das Umsatz- und Gewinnrückgang. Es bedeutet Personal, das plötzlich nicht mehr gebraucht wird. Ausserdem leiden auch andere Branchen sehr stark, etwa die Reisebüros. – Man muss letztlich allen Firmen, die durchhalten, dankbar sein. Kaum jemand will zu den schlimmsten Massnahmen greifen und Personal abbauen.

Gelingt es, das zu verhindern?
Ein probates Mittel ist die Entschädigung für Kurzarbeit. Der Regierungsrat konsultiert uns regelmässig. Wir wurden auch Anfang Dezember gefragt, was das Gewerbe jetzt an Härtefallmassnahmen benötigt.

Auf kantonaler Ebene?
Ja. Der Kanton verstärkt, was auf nationaler Ebene eingeleitet worden ist: Der Schweizer Gewerbeverband (SGV) hat, nach Absprache mit den kantonalen Verbänden, mit dem Bundesrat verhandelt. Der Bundesrat hat Geld gesprochen. Jetzt muss verglichen und koordiniert werden. Der Handlungsspielraum für die Kantone ist gross: Wie viel Geld legen sie zusätzlich in die Kasse, um den Beitrag des Bundes zu verstärken?

Was ist aus Sicht des AGV wichtig?
Wir legen sehr grossen Wert auf den Grundsatz «Betroffenheit vor Branche». Jede Firma soll, unabhängig von der Branche, Unterstützung erhalten – sofern sie die Kriterien für Härtefälle erfüllt. Manche sind indirekt in Mitleidenschaft geraten. Auch solche Betriebe sollen von Härtefallregelungen profitieren können. Das alles muss schnell und unbürokratisch geschehen.

Schnell und unbürokratisch?
Unbürokratisch, damit die Firmen davon Gebrauch machen, das darf man nicht unterschätzen. Von den 125 Millionen, die der Kanton in diesem Frühjahr bereit gestellt hatte, konnte nur ein kleiner Teil weitergegeben werden. Kleinbetriebe – von ihnen reden wir – dürfen nicht von Auflagen abgeschreckt werden. Zwar braucht es diese Auflagen, dennoch muss alles einfach bleiben, wie bei einer Steuererklärung. Niederschwellig! Nötig ist auch eine Hotline, wo Fragen beantwortet werden. Es muss rasch geholfen werden: Ziel müsste sein, noch dieses Jahr Gelder zu sprechen.

Wo sind Sie als Geschäftsleiter jetzt besonders gefordert?
Im März erlebten wir strube Zeiten. Ich erhielt sehr viele Telefonanrufe und Fragen ... Oft war ich Tröster. Ich bekam die Sorgen und Nöte der Mitglieder 1:1 mit. Geld zum Verteilen hatte ich in diesem Sinne ja nicht. Aber ich konnte bei Anfragen und Sorgen weiterleiten.

Wie sehen diese Sorgen aus?
Sehr viele Leute haben Existenzängste, um ihre Firma, um ihre Mitarbeitenden. Das ist eine sehr grosse psychische Belastung. Niemand will seine Angestellten vor die Türe stellen oder seine Firma aufgeben. Wie aber lassen sich Entlassungen und Betriebsschliessungen vermeiden?

Da konnten Sie Trost spenden?
Wir konnten sagen, was Bund und Kanton bereits anbieten und planen.

Das war ein Trost?
Ich denke, ja.

Warum?
Die KMU wollten hören, dass noch jemand da ist, der sie wahrnimmt. Uns ist es ein Anliegen, zu helfen. Der AGV muss spiegeln, was an der Front geschieht. Es dürfte uns gelungen sein. – Im März wurden wir alle überrascht. Wer hätte damals gedacht, dass die ganze Welt so sehr von diesem Virus betroffen sein wird? Ich selbst war noch in den Skiferien, als plötzlich die Skipisten gesperrt wurden.

Erhielten Sie von den KMU Rückmeldungen, dass Ihre Unterstützung ankommt?
Ja, der AGV hat eine Umfrage gemacht, – das machen wir regelmässig. Wir hatten noch nie so viele Rückmeldungen. Ende März schrieben sehr viele, dass sie direkt betroffen seien. Viele sagten damals aber auch, dass sie noch nichts merken würden. Auch jetzt gibt es noch immer Branchen, die über die Runden kommen; sogar profitieren, etwa Zweiradhändler oder Online-Anbieter. Bestimmt sind viele Stellen gefährdet, aber es wurden auch neue geschaffen.

Rechnen Sie mit Konkursen?
Schwer zu sagen. Immerhin lässt die Aussicht auf Impfstoff verhaltenen Optimismus aufkommen.

Gab es auch Lerneffekte?
Was die Digitalisierung betrifft, sind viele Erkenntnisse gewachsen. Standardsitzungen werden künftig vermehrt als Videokonferenzen möglich sein. Damit lässt sich schweizweit Reisezeit gewinnen. Sitzungen mit physischer Präsenz bleiben aber nötig.

Was ist mit Homeoffice?
Handwerker, Strassentransport- und Gesundheitsfachleute sowie viele weitere Angestellte können kaum Homeoffice machen. Das ist ein Privileg gewisser Branchen, gewisser Berufe.

Wenn Sie auf 20 Jahre AGV zurück blicken, wo konnten Sie mitgestalten?
Sehr stark habe ich mich in der Berufsbildung engagiert. Ich bin Mitglied der Kantonalen Berufsbildungskommission, ich bin auch Präsident der Aargauischen Berufsschau. Wir konnten die Berufslehre ganz neu positionieren und ihr so auch zu einem neuen Image verhelfen. Das ist in einem KMU-Kanton, wie dem Aargau, wichtig. Wir haben keine Universität, dafür haben wir top ausgebildete Berufsleute. Darauf bin ich sehr stolz.

Was konnten Sie bewirken?
Wir konnten die Schlagkraft des AGV erhöhen. Als ich anfing, waren wir für unsere Mitglieder kaum wahrnehmbar und eingemietet in Zofingen. Jetzt sind wir im Hauptort des Kantons in Aarau, in einer eigenen Liegenschaft, haben mehr Mandate, konnten uns verstärken und führen eine Zeitung für unsere Mitglieder. Die Mitgliederzahl hat zugenommen, auch unsere Ressourcen. Es kamen grosse Events hinzu, etwa der Neujahrsapéro oder der Wirtschaftstag mit Unternehmenspreisverleihung. Heute tritt der AGV anders auf als vor 20 Jahren.

Wie kam es dazu?
Die ersten Jahre war ich quasi Missionar. Ich war viel unterwegs, bei Gewerbevereinen und Berufsverbänden, stellte mich vor und erklärte, wohin das Geld der Mitglieder fliesst. Bei diesen Besuchen stellte ich immer wieder fest: Es fehlt an Information. Heute weiss jeder, was der AGV ist und macht. Das war ein Teil meines Jobs, den ich sehr gerne ausgeführt habe.

Was war das Beste an Ihrer 20-jährigen Tätigkeit?
Ich war immer sehr gerne unter Leuten. Für mich war jeder neue Mensch, den ich kennenlernen konnte, eine Bereicherung. Sehr viele interessante Leute – vom Handwerker bis zur Regierungsrätin, ich wurde dabei mit so vielen Meinungen und mit so viel Wissen konfrontiert. Dank viel Offenheit konnte ich mir auf diese Weise ein grosses Netzwerk schaffen. Das prägt auch mein Bild von der Gesellschaft.

Hätten Sie rückblickend gewisse Dinge anders gemacht?
Bevor ich beim AGV als Geschäftsführer begann, habe ich einen Betrieb mit 200 Angestellten geführt. Ich war es gewohnt, schnell zu entscheiden. Bei einem Verband gelten andere Regeln: Jedes Gremium muss involviert werden. Ich musste lernen, dass Entscheide in diesem Umfeld Zeit brauchen, erkannte darin schliesslich Vorteile: Eine Idee reift mit der Kritik, bis schliesslich viele Leute im Boot sind.

Worauf freuen Sie sich, wenn Sie im März pensioniert werden?
Zu kurz gekommen sind in den letzten Jahren Engagements in Vereinen, ich möchte wieder mehr Golf spielen und ich bin Grossvater geworden, ausserdem habe ich eine reiselustige Frau.

Bald ist Weihnachten, wie werden Sie dieses Jahr feiern ?
Tradition ist uns wichtig, auch wenn es wegen Corona anders sein wird. Ich habe auch italienische Wurzeln, wir werden in die Kirche gehen und zu Hause steht eine Krippe.

Heidi Hess

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