Kritische Fragen sind unerwünscht

Fr, 12. Feb. 2021

Aus heiterem Himmel ist die letzte Kaufinteressentin für das alte Schulhaus abgesprungen

Die «Gemeinde der Freien Rumänen», eine rumänischorthodoxe Kirchgemeinde aus Baden, hat am Mittwoch ihre Bewerbung für das alte Schulhaus überraschend zurückgezogen, nachdem in einem Gespräch mit dem «Reussbote» kritische Fragen gestellt wurden.

Am Dienstag war noch alles in Ordnung. Erzpriester Valentin Bassarabescu hatte positiv auf eine Anfrage des «Reussbote» reagiert und stellte die Pläne der Kirchgemeinde vor. Diese konnten sich sehen lassen.

Unten Anwaltsbüro, oben Kultur
Eine Idee lautete zum Beispiel, im Untergeschoss Räume an den Juristen Christian Puricel zu vermieten. Puricel ist der Sohn des Priesters und Sekretär der Kirchgemeinde. Er arbeitet neben seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt auch als Dozent in der höheren Berufsbildung und hätte sich vorstellen können, im Schulhaus Online-Seminare zu halten. Zusätzlich wäre der Schulungsraum externen Interessenten offen gestanden. Das Herzstück sollte ein Mehrzwecksaal im Obergeschoss bilden. In diesem hätten die Gottesdienste der Kirche stattfinden sollen, zwei- bis dreimal pro Monat. Der Mehrzwecksaal hätte ebenfalls gemietet werden können. Zusätzlich wollte Schwiegertochter Svetlana Puricel das Haus bespielen. Auch sie ist Mitglied der Kirchgemeinde. Mit ihrer Galerie RossArt war sie bisher in Zürich beheimatet. Dort organisierte sie Ausstellungen und Vernissagen mit zeitgenössischer Kunst und Fotografie sowie Kultur- und Bildungsveranstaltungen.
Erzpriester Valentin sprach am Dienstag selbstbewusst über das Projekt. Das Dorf würde auf jeden Fall von diesen Angeboten profitieren, so seine Überzeugung. Sollte die Gemeindeversammlung den Kauf genehmigen, würde die rumänisch-orthodoxe Kirchgemeinde in das Gebäude investieren, kündigte er an. Mit dem Gemeindeammann und dem Gemeindeschreiber habe man in der Vergangenheit guten Kontakt gehabt.

Gespräch wird ungemütlich
Am Nachmittag dann ein Hintergrundgespräch mit Christian Puricel und seiner Frau Svetlana. Sie möchte die Aargauer Kulturszene bereichern, so die Galeristin. Er spiele mit dem Gedanken, sein Büro in Lenzburg aufzugeben und fortan in Mägenwil zu arbeiten, sagt der Rechtsanwalt am Telefon. Auf einen Schlag wird die Atmosphäre ungemütlich. Auf die Frage, wie seine Kirche zum Thema Homosexualität steht, reagiert Puricel verärgert und will nicht Stellung nehmen. Seine persönliche Haltung oder seine politische Meinung tun nichts zur Sache, stellt er klar. Um für die Kirche zu sprechen, sei er der falsche Ansprechpartner. Nur so viel: Es sei nicht das Ziel der Kirchgemeinde, andere Menschen zu bekehren.
Die Erklärung, dass es die Stimmberechtigten im Dorf sehr wohl interessiert, ob im Schulhaus alle Menschen willkommen sein werden und wem dort eine Bühne geboten werden soll, wischt er beiseite. Seine Frau reagiert gelassener. Sie achte bei der Auswahl ihrer Künstlerinnen und Künstler auf künstlerische Gesichtspunkte, nicht auf die sexuelle Orientierung oder politische Einstellung. Das Gespräch endet mit der barschen Forderung Puricels, den Artikel vor der Veröffentlichung gegenzulesen.
Statt einer Zitatfreigabe kommt am Mittwochmorgen die Absage per Mail: «Soeben habe ich mit Erzpriester Valentin gesprochen. In seinem Auftrag teile ich Ihnen mit, dass wir unsere Bewerbung für das alte Schulhaus zurückziehen. Somit macht es keinen Sinn, den Artikel zu publizieren», schreibt Christian Puricel. Es sei keine spontane Entscheidung, antwortet er auf Nachfrage. Man habe andere Objekte im Auge und sich nun dahingehend definitiv entschieden. Zufall?

Absage aus heiterem Himmel

Gemeindeammann Marin Leuthard zeigte sich dementsprechend überrascht. Aber er reagierte beherrscht: «Wir müssen das alte Schulhaus ja nicht verkaufen.» Am Morgen hatte Leuthard noch bestätigt, dass der Gemeinderat an einer Vorlage für die kommende Gemeindeversammlung arbeite. Dabei hatte er die Ideen der rumänischen Kirchgemeinde gelobt. Weitere Interessenten gebe es nicht.
Erzpriester Valentin bestätigte die Aussage seines Sohnes per Mail. Eine offizielle Absage an die Gemeinde steht noch aus.

Stefan Böker

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