Sind Gemeindefusionen Fluch oder Segen?

Di, 02. Feb. 2021

Seit 2002 hat sich die Anzahl Gemeinden im Kanton Aargau kontinuierlich von 232 Gemeinden auf 210 reduziert

Im Kanton Aargau sind einige Gemeindefusionen aufgegleist. Nicht alle gelingen, der Widerstand in der Bevölkerung ist oft gross. Der Kanton Aargau unterstützt fusionswillige Gemeinden mit beträchtlichen finanziellen Mitteln. Sollen die Gemeinden fusionieren?

Der Zukunftsraum Aarau sollte ein wegweisendes Projekt werden. Nach der Fusion mit Rohr plante Aarau eine weitere Vergrösserung und machte vier möglichen Partnergemeinden einen «Antrag». Zur Diskussion standen Fusionen von Aarau mit Suhr und Densbüren auf der anderen Seite des Juras und mit Oberentfelden und Unterentfelden. Die Idee dahinter: Sagt ein Partner am Ende Nein, ist doch nicht alles verloren. Doch das Projekt erlitt Schiffbruch. Oberentfelden und Suhr lehnten das Fusions-Projekt an der Urne ab, Densbüren sagte bereits an der Gemeindeversammlung Nein zum Zukunftsraum Aarau. Nächstens wird auch der Einwohnerrat Aarau das ehrgeizige Projekt beerdigen.
In der Region Baden wurde vor Kurzem ein ähnliches Projekt lanciert. Die Stadt Baden und zwölf Gemeinden des Bezirks planen eine sehr enge Zusammenarbeit in diversen Bereichen – «bis hin zu einer Fusion». Aus unserer Region nehmen die Gemeinden Birmenstorf, Fislisbach, Mägenwil, Mellingen und Oberrohrdorf teil. Das Projekt mit dem Namen «Modellstadt» startete im November letzten Jahres und erntete bereits Kritik. Mellingens Gemeinderat und Grossrat Roger Fessler (SVP) äusserte sich in den Sozialen Medien negativ. Er schrieb: «Jetzt wird klar, dieses Modellstadt-Projekt ist ein Wolf im Schafspelz.» Was Fessler sauer aufstösst: «Beim Start des Projekts ging es nur um die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden.» Noch im Juli letzten Jahres sei von Zusammenarbeit statt Fusion gesprochen worden, so der SVP-Gemeinderat. Mellingen ist eine der zwölf teilnehmenden Gemeinden. Die Kritik Fesslers kam im Gemeinderat Mellingen nicht gut an, Fessler erhielt einen Rüffel.

Zwei Gemeinden befassen sich mit einer möglichen Fusion
Noch sind in unserer Region konkrete Vorschläge für eine Fusion weit weg. In zwei Gemeinden wurde aber das Thema an der Gemeindeversammlung diskutiert. Auslöser waren in beiden Fällen, die Finanzen. Ein Stimmberechtigter stellte Anfang 2019 in Mägenwil den Antrag, der Gemeinderat solle «ernsthafte Abklärungen für eine Gemeindefusion tätigen». Das Begehren wurde angenommen und der Gemeinderat klärte ab. Grund für den Antrag waren die finanziell schlechten Aussichten in Mägenwil. Die Gemeindeversammlung wies das Budget zurück. Dabei rühmte sich Mägenwil noch vor Jahren, zu denjenigen Gemeinden zu gehören, die einer der tiefsten Steuerfüsse im Kanton hatte. Vergangene Zeiten. Aus verschiedenen Gründen (Fall Kris V. – er kostete die Gemeinde über eine Viertelmillion Franken –, Einbruch bei den Aktiensteuern, grosse Investitionen in die Infrastruktur) stieg der Steuerfuss von 85 Prozent im Jahre 2014 auf aktuell 108. Der Gemeinderat klärte das Interesse einer möglichen Fusion bei fünf Nachbargemeinden ab. Einzig Mellingen zeigte sich offen für Gespräche. Danach kam das Projekt Modellstadt Baden und der Gemeinderat «schubladisierte» den vom Stimmvolk erteilten Auftrag. «Der Gemeinderat ist der Meinung, dass eine Fusion oder eine Zusammenarbeit breiter geprüft werden soll. Dazu hat Baden Regio eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Sie prüft die detaillierten Auswirkungen einer Modellstadt», sagte Gemeindeammann Marin Leuthard im August letzten Jahres an der Gemeindeversammlung.

Einnahmen decken Ausgaben nicht
Tägerig ist diejenige Gemeinde im Einzugsgebiet des «Reussbote» mit dem höchsten Steuerfuss. Finanziell nicht auf Rosen gebettet spart der Gemeinderat wo er kann. Dennoch häufen sich die Aufwandüberschüsse. Tägerig hat ein strukturelles Problem. Mit ihren Einnahmen kann die Gemeinde die laufenden Ausgaben nicht decken. Deshalb ist Tägerig auf beträchtliche Finanzhilfe des Kantons angewiesen. Die Gemeindeversammlung lehnte im November 2019 das Budget ab. Das überarbeitete Spar-Budget genehmigte der Souverän im Februar 2020 an einer ausserordentlichen Gemeindeversammlung.
Wenig glücklich, gar besorgt und frustriert über die Entwicklung in Tägerig zeigten sich damals einige Stimmberechtigte. Charly Suter erwähnte an der ausserordentlichen «Gmeind» etwa, die «gut besuchte» Veranstaltung der SP, die bereits im November 2017 zum Thema Fusion stattgefunden hatte. Damals habe man vom Gesamtgemeinderat keine Antwort erhalten, einzelne Exekutivmitglieder hätten sich hingegen ablehnend geäussert. «Wir haben das daraufhin ruhen lassen», sagte Suter damals an der Gemeindeversammlung. Er forderte den Gemeinderat auf, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und stellte auch einen entsprechenden Antrag. Dieser wurde mit deutlicher Mehrheit angenommen. Die Corona-Pandemie verzögerte eine vertiefte Abklärung. Mit einer Einschätzung des Gemeinderates und einer Befragung der Bevölkerung hat der Gemeinderat die nächsten Schritte Anfang dieser Woche eingeleitet.

Nicht nur die Finanzen
In beiden Fällen gaben die Finanzen den Ausschlag für entsprechende Anträge. Die Finanzen spielen eine wichtige Rolle, geht es um die Fusion. Es sind aber noch andere Themen, die eine entscheidende Rolle spielen. Der Kanton Luzern analysierte, wie die Fusionsgemeinden drei bis sechs Jahre nach dem Zusammenschluss die Situation beurteilen. «Grundsätzlich positiv», heisst es in einem Bericht. des Kantons. Die grössten Gewinne sehen die Gemeinden nicht bei den Finanzen sondern bei der Raumplanung, bei der Neuorganisation von Schule und Verwaltung und bei der Dynamik, die ein solcher Schritt auslöst. Bei der Raumplanung kann nach der Fusion über ein grösseres Gebiet geplant werden – Gewerbeund Wohnzonen werden dort angelegt, wo sie optimal liegen. Die Verwaltungen werden neu organisiert. Zwar ist die Arbeit nach einer Fusion für die Mitarbeitenden und den Gemeinderat umfangreicher, aber auch interessanter und effizienter. Die Gemeinden würden die Fusion heute noch einmal machen, heisst es im Bericht.

Also alles gut?
Weshalb schlittern Fusionsgedanken aber oft ins Abseits? Es gibt durchaus auch Gründe, die gegen eine Fusion sprechen. «Fusionsschock für die lokale Demokratie», sagte Oberrohrdorfs Vizeammann René Roca im Dezember 2020 in seinem Referat zum Thema «Gemeindefusionen und direkte Demokratie». Fusionen hätten schwerwiegende Auswirkungen auf die Demokratie. Die Menschen würden sich weniger für die Demokratie interessieren. Roca zitierte auch eine Studie, die sich mit dem Spareffekt befasst: «Die Analyse zeigt, dass über alle betrachteten Gemeindefusionen hinweg keine systematische Spareffekte erkennbar sind», heisst es. Roca verlangt vom Kanton, dass er aufhören soll, «ohne wissenschaftliche Evidenz Fusionen durch teure Beratung und finanzielle Beiträge zu unterstützen.» Der Kanton Aargau unterstützt Gemeindezusammenschlüsse mit erheblichen finanziellen Beiträgen.

Steuerfüsse sinken
Die Erfahrung zeigt allerdings, dass bei praktisch allen Gemeindezusammenschlüssen im Kanton Aargau der Steuerfuss gesunken ist. Als Beispiel sei hier die Gemeinde Mettauertal erwähnt. Die vier Gemeinden Etzgen, Hottwil, Mettau, Oberhofen und Wil schlossen sich vor elf Jahren zusammen. Die Gemeinden hatten Steuerfüsse zwischen 119 und 125 Prozent. Heute beträgt der Steuerfuss 107 Prozent. Oder der Zusammenschluss der vier Gemeinden Gallenkirch (100%), Linn (115), Oberbözberg (110) und Unterbözberg (99) zur Gemeinde Bözberg (99). Nur in vier von 31 Gemeinden stieg der Steuerfuss nach der Fusion an (Aarau, Brugg, Laufenburg und Villmergen).
Jean Claude Kleiner begleitete im Aargau mehrere Fusionsprojekte. Er sagt: «Viele kleinere Gemeinden kommen zunehmend unter Druck bezüglich Bestellung der Behörden und Verwaltung sowie der Umsetzung der neuen Gesetzgebung. Sie spüren langsam ihre Grenzen und überlegen sich Alternativen.» Wichtig sei die Winwin-Situation. Kleiner nennt das Beispiel von Lupfig und Scherz. Dieses zeigt, wie eine finanzstarke Gemeinde – Lupfig – mit wenig Baulandreserven und eine ländliche Gemeinde – Scherz – zu einer Win-win-Situation kommen. Scherz hat durch die Fusion nicht nur einen deutlich tieferen Steuerfuss erhalten, sondern auch an Attraktivität gewonnen.
Chancen und Risiken von Gemeindefusionen sind abhängig von der Grösse der Gemeinde, der Anzahl der Gemeinden und den finanziellen Unterschieden. Chancen einer Fusion sind: Regionale Position, fachkompetente Behörden, professionelle Verwaltung, schlagkräftige Werke, optimierte Raumplanung, robuste Finanzen und neues Selbstverständnis. Risiken sind: Verlust der Eigenständigkeit, Verlust der Identität, Verlust der Schule vor Ort, Zukunft der Ortsbürgergemeinden, Vertretung der Dörfer im Gemeinderat, Distanz zu Behörden/Verwaltung, notwendige Investitionen, Druck auf Steuerfuss, Harmonisierung der Gebühren/Tarife, Harmonisierung der Gesetzgebung.
Gemeindefusionen sind gut abzuwägen, der Entscheid sollte nicht aus dem Bauch getroffen werden. Fusionen sind Prozesse, die über Jahre dauern. Es gilt die verschiedensten Interessen gegeneinander abzuwägen. Schliesslich sollen am Ende alle davon profitieren. Man darf gespannt sein, wie sich dieses Thema in den nächsten Jahren in unserer Region entwickelt. Es könnte durchaus sein, dass der Druck auf die finanzielle Situationen Fusionen anstösst.

Benedikt Nüssli

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