«Als erstes: Finger weg von Süssgetränken»

Fr, 26. Mär. 2021

Die Ernährungsberaterin Denise Kaufmann spricht über Wasser mit Zitronensaft und empfiehlt eine Gemüse-Challenge

Denise Kaufmann sieht, wie bereits zum Frühstück Süssgetränke konsumiert werden. Dabei sollte der Zuckerkonsum drastisch reduziert werden. Und auf dem Speiseplan sollten viel mehr Gemüse und Früchte stehen.

Denise Kaufmann ist Ernährungsberaterin in Oberrohrdorf. Sie unterrichtet zudem in der Primarschule in Oberrohrdorf und in der Berufsschule in Baden. Mit dem «Reussbote» spricht sie über die Lebensmittelpyramide und über extrem viel Zucker in manchen Lebensmitteln. Viel zu häufig kommen diese auf unseren Tisch. Wie sich Essgewohnheiten ändern lassen, erklärt Kaufmann im Gespräch.

Denise Kaufmann, gibt es einen Sündenfall in der Ernährung?
Denise Kaufmann: Einen Sündenfall? Schwierig ... Letztlich gilt: Alles ist Gift, nichts ist Gift – entscheidend ist die Menge. Ausgewogene Ernährung beinhaltet viel Gemüse, gute Kohlenhydrate, die richtigen Fette und genügend Proteine – ob mit oder ohne Fleisch. Wenn Fleisch, dann sollte man auf gute Qualität achten. Wer sich so ernährt, darf aber auch mal einen Burger oder ein Stück Torte essen. Gute Ernährung ist nicht Askese – auf keinen Fall. Für mich heisst das aber, keine oder wenig Fertig- und Halbfertigprodukte. Wer die ganze Woche arbeitet, soll versuchen, am Wochenende selber zu kochen und dabei auch die Kinder miteinbeziehen.

Sie sehen keine extremen Entwicklungen, etwas das falsch läuft?
Doch. Wirklich extrem ist in der heutigen Zeit der Zuckerkonsum.

Was kann man dagegen tun?
Als erstes: Finger weg von Süssgetränken.

Sind die besonders schlimm?
Ja. Ich arbeite in Baden mit Jugendlichen, unterrichte Branchenkunde Detailhandel im Zentrum Bildung. Wenn die jungen Frauen und Männer morgens in die Schule kommen, haben die meisten irgendein Süssgetränk dabei. In der Pause folgt dann ein weiteres billiges Süssgetränk, zum Beispiel Capri Sonne mit sehr viel Zucker, mehr noch als in Coca Cola. Sehr viel Zucker ist auch in Energy Drinks, etwa in Red Bull. Alle diese Getränke sind bei jungen Menschen äusserst beliebt.

Wieviel Zucker enthalten diese Getränke?
Interessant ist, dass ein Energy Drink noch mehr Zucker hat als Coca Cola: In 0,25 l Red Bull sind 8 bis 10 Würfelzucker enthalten; in 0,5 l Coca Cola, also in der doppelten Menge Flüssigkeit, sind es etwas weniger, aber immer noch 14 Würfelzucker. Zudem gibt es in sehr vielen Nahrungsmitteln versteckten Zucker. Zum Beispiel in Ketchup, in allen Fertigsalatsaucen, in Fertiggerichten …

Warum ist das so? Wir wollen ja keine süssen Saucen essen ...
Das merken Sie gar nicht. Wir werden dorthin geführt, lieben das vollmundige Aroma. Dieses Aroma aber kommt unter anderem von Zucker. Alles, was süss ist, löst beim Menschen ein Geborgenheitsempfinden aus: Unbewusst wird dies als ultimativer Geschmack wahrgenommen. Nicht zuletzt, weil Muttermilch süss ist und uns geprägt hat.

Gibt es ein Entkommen aus dieser Zuckerfalle, die Suchtpotenzial hat?
Ich habe mal jemanden beraten, der täglich 10 Red Bull getrunken hat. Wir probierten Wasser zu aromatisieren, mit Zitronensaft, Pfefferminz oder Melisse, versuchten auch auf kalten Tee auszuweichen. Einfach ist das nicht. Und es braucht Zeit. Eine Regel sollte sein, zum Mittagessen einzig Wasser anzubieten, auch ungesüssten Tee, aber keinen Sirup. In vielen Familien wird das inzwischen so gehandhabt.

Eine positive Entwicklung?
Sehr.

Was sind die Folgen von zu hohem Zuckerkonsum?
Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Cholesterin, auch Konzentrationsschwierigkeiten, ADHS – sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. Mit dem Senken des Zuckerkonsums kann man viel erreichen.

Was ist Ihr Rat?
Das Müesli am Morgen selber machen mit verschiedenen Flocken, Nature-Joghurt und frischen Früchten – statt eines Fertigmüeslis. Immerhin sind in einer kleinen Portion Smacks zum Beispiel sieben Würfelzucker, davon essen viele Kinder in der Regel mehr als eine Portion. Auch das gekaufte Frucht-Joghurt enthält bis zu sieben Würfelzucker. Warum nicht stattdessen in ein Nature-Joghurt selber Früchte schneiden, oder selber süssen? Niemand würde ein Joghurt mit sieben Löffel Zucker süssen. Und warum den Kindern zum Frühstück nicht zur Abwechslung ein Ei anbieten oder ein Stück Käse?

Was macht die Lebensmittelindustrie?
Die Industrie versucht, zuckerreduziert zu arbeiten. Das ist zumindest eine Entwicklung in die richtige Richtung. Der Konsument kann entscheiden, was er isst. Mit jedem Einkauf gibt er auch ein Statement ab.

Welche Essgewohnheiten stellen Sie heute fest?
In den vierten Primarklassen in Oberrohrdorf unterrichte ich jedes Jahr einige Lektionen «Ernährung». Fragt man Kinder nach ihrem Lieblingsessen, so zählen sie Pizza, Lasagne und dann Fajitas, Fajitas, Fajitas auf, auch Omelette. Ab und zu erwähnt jemand eine Spinatwähe. Niemand aber spricht von Gemüse. Das alles zeigt den extrem hohen Stellenwert von Kohlenhydraten. Hinzu kommt, dass wir zu viele verarbeitete, so genannte schlechte Kohlenhydrate essen, weisse Pasta, weisser Reis.

Was ist die Alternative?
Halbweissmehl verwenden, Ruchoder Vollkornmehl. Ich persönlich arbeite ausschliesslich mit Dinkelmehl, das sättigt auch besser.

Worauf legen Sie in Ihren Kochkursen besonderen Wert?
Mir ist wichtig, mehr Gemüse in den Alltag zu integrieren. Mengenmässig stehen Gemüse und Früchte in der Lebensmittelpyramide an zweiter Stelle, direkt hinter Wasser, das die Basis bildet. Empfohlen werden täglich drei, jeweils faustgrosse Portionen Gemüse und zwei Portionen Früchte. Zwar ist das bekannt, und doch hapert es in der Umsetzung, sowohl in der Küche als auch beim Essen. Für ein starkes Immunsystem sollten wir mehr Gemüse und Früchte essen.

◆ Wer kommt in Ihre Beratung?
Ich arbeite auf verschiedenen Schienen, auch mit Kindern. Dabei stellt sich die Frage: Wie bringt man ein Kind dazu, sich an Lebensmittel zu gewöhnen? Etwa bei Fällen von «Mag ich nicht, esse ich nicht». Da appelliere ich an die Verantwortung der Eltern, die dafür sorgen müssen, dass ihr Kind alle lebensnotwendigen Inhaltsstoffe erhält. Sie entscheiden, was auf den Tisch kommt. Das Kind hingegen darf entscheiden, wieviel es davon isst. Zu beachten ist dabei, dass ein Lebensmittel rund zwanzigmal probiert werden muss, bis eine Verbindung hergestellt ist, die erlaubt, Vorlieben zu beurteilen. Insofern ist es okay, wenn ein Kind nicht isst, was ich will. Als Elternteil muss ich diesen Frust aushalten. Vielleicht kann man mit dem Kind einen «Vertrag» aushandeln, zum Beispiel, dass es fünf Lebensmittel nie essen muss, vom Rest aber probiert? Natürlich ist es einfacher, auf den Tisch zu stellen, was Kinder mögen. Aber immer daran denken: Eltern sind auch beim Essen Vorbild. – Letztlich komme ich immer wieder auf dieselben Grundregeln.

Die wären?
Gute Kohlenhydrate, viel Gemüse, auch Samen, Kräuter, die ganze Vielfalt. Früchte in Massen. Genügend Eiweisse für den Aufbau von Hormonen oder Muskeln. Auch Fett nicht vergessen. Wir brauchen Fett für viele Funktionen im Körper. Die Menge und die Qualität sind auch hier wichtig. Gemäss Ernährungspyramide bildet das Wasser unten die breite Basis. Oben, die schmale Spitze bilden die Süssigkeiten. Auch die süsse Spitze ist erlaubt. Entscheidend aber ist die Menge und die Spitze bleibt «nice to have». Wir müssen unseren Körper dorthin bringen, dass er richtig funktioniert. Ansonsten werden wir krank.

Wie stehen Sie zur Tendenz, sich vegan zu ernähren?
Wer sich vegan ernähren will, sollte sich mit Ernährung befassen, sich beraten lassen oder die Literatur konsultieren. Veganerinnen und Veganer müssen wissen, wie sie Stoffe zu sich nehmen können, die sie nur über tierische Lebensmittel erhalten, wie etwa das Vitamin B12 – auch worin die wichtigen pflanzlichen Eiweisse enthalten sind. Ansonsten resultieren Mangelerscheinungen. Vegane Ernährung alleine mit Pasta funktioniert nicht. Man sollte Gemüse und Hülsenfrüchte mögen. Gute Kombinationen sind wichtig. Diese Erkenntnis hat man schon sehr lange. Früher hat man in unserer nördlichen Hemisphäre Kartoffeln und (Gelb-)Erbsen kombiniert, in Südamerika Bohnen und Mais, in Asien Linsen und Reis. In Afrika Hirse und Kichererbsen. Diese Kombinationen enthalten alles, was der Körper braucht.

Heidi Hess


Neue Zucker-Studie

Schweizerinnen und Schweizer konsumieren mehr als 100 Gramm Zucker täglich. Der hohe Kaloriengehalt von Zucker fördert dabei Übergewicht und Adipositas sowie weitere Folgekrankheiten.
Forschende der Universität und des Universitätsspitals Zürich haben Mitte März eine Studie publiziert. Sie wollten laut Medienmitteilung wissen, ob übermässiger Zuckerkonsum weitere schädliche Wirkungen hat. Untersucht wurde auch, ob es darauf ankommt, welcher Zucker zugeführt wird. Die Studienergebnisse zeigen, dass bereits moderate Mengen den Stoffwechsel beeinflussen. «80 Gramm Zucker täglich, also rund 8 dl eines handelsüblichen Softdrinks, kurbeln die Fettproduktion in der Leber an. Und die Überaktivität hält längere Zeit an, selbst wenn kein Zucker mehr zugeführt wird», sagt Studienleiter Philipp Gerber.
Für die Studie tranken 94 junge gesunde Männer sieben Wochen lang täglich ein mit unterschiedlichen Zuckerarten (Fruchtzucker, Traubenzucker oder Haushaltszucker) gesüsstes Getränk. Die Kontrollgruppe verzichtete darauf. Über markierte Substanzen, sogenannte «Tracer», lässt sich der Weg des Zuckers im Körper ermitteln. Dabei zeigt sich: Die körpereigene Fettproduktion ist in der Leber der «Fruchtzucker-Gruppe» doppelt so hoch wie bei der «Traubenzucker-Gruppe» oder der Kontrollgruppe. Dabei überrascht, dass Haushaltszucker die Fettsynthese sogar noch mehr ankurbelt als Fruchtzucker.
Eine erhöhte Fettproduktion in der Leber trägt massgeblich zu Erkrankungen wie Fettleber oder Typ- 2-Diabetes bei. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, täglich nicht mehr als 50 Gramm Zucker zu konsumieren – noch besser wären 25 Gramm Zucker pro Tag. (red.)


Gemüse-Challenge

Ernährungsberaterin Denise Kaufmann rät ihren Kundinnen und Kunden immer wieder zur «20er-Challenge». 20 verschiedene, pflanzliche Komponenten sollen pro Woche gegessen werden. – Kann das gelingen?
Kaufmann sagt, dass es darum gehe, mit der Vielfalt zu spielen. Sie erklärt, dass auch Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Nüsse oder Schnittlauch dazu gehören. Nüsse – drei oder vier vor dem Essen – seien ohnehin sehr gesund wegen ihrer Eiweisse und Fette. Wer Radieschen, Rüebli oder Peterli in den Salat mischt, hat bereits vier pflanzliche Komponenten, und das Müesli darf auch mit Früchten und Nüssen angereichert werden. Kaufmann rät zudem, Farben zu variieren, weil in farbigem Gemüse unterschiedliche Flavonoide enthalten sind, sekundäre Pflanzenstoffe, die für den Organismus ebenfalls wichtig sind.
20 verschiedene, pflanzliche Komponenten – «Wenn man will, ist es möglich», meint Kaufmann. Und der Körper erhalte so eine Vielfalt an Inhaltsstoffen, Vitaminen oder Mineralien. Wem es leicht fällt, 20 verschiedene Komponenten zu variieren, der setzt die Latte etwas höher und steigert auf 30. (hhs) 

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