Eher Berufung als normaler Beruf

Di, 02. Mär. 2021

Umfrage Asylwesen: Mit der Qualität der Betreuung von Geflüchteten sind die hiesigen Gemeinden zufrieden

Es gibt verschiedene Modelle für die Asylbetreuung in den Gemeinden. Wer dafür Fachpersonen angestellt hat, ist besonders zufrieden. Auch die Zusammenarbeit mit dem Kantonalen Sozialdienst oder einer privaten Firma funktioniert gut.

Immer mehr Gemeinden nehmen die Betreuung von Asylsuchenden selbst in die Hand, weil sie mit privaten Firmen unzufrieden sind. Dies berichtete die «Aargauer Zeitung» und nannte als Beispiel unter anderen Bremgarten. Das dort beauftragte Unternehmen ORS steht besonders in der Kritik. Man versuche, Asylsuchende möglichst lange zu betreuen und nicht in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Denn nur dann zahlt der Bund für jede Person eine sogenannte Fallpauschale – ein völlig falsches Anreizsystem, so die Klage.

Mellingen beauftragt Firma
Bei der Gemeinde Mellingen hingegen ist man mit der Leistung der ORS sehr zufrieden, eine Anpassung des Betreuungsmodells sei in naher Zukunft nicht vorgesehen, heisst es aus dem Gemeindehaus. «Wir stellen die Unterkünfte im Buchmüllerhaus und im Ibergturm zur Verfügung. Um die individuellen Bedürfnisse der Asylsuchenden kümmert sich eine Betreuungsperson von ORS», teilt der zuständige Gemeinderat Beat Gomes auf Nachfrage mit. Diese sorge ebenfalls dafür, dass die Hausordnung eingehalten wird, und stehe in engem Kontakt mit der Gemeinde. «Es gibt nichts zu beanstanden», sagt Gomes. «Weder vonseiten der Flüchtlinge noch von der Bevölkerung. Wenn etwas nicht in Ordnung wäre, würden wir Wind davon bekommen.» Er ist zudem überzeugt davon, dass die ORS mit ihren erfahrenen Fachleuten eine bessere Leistung abliefert, als es die Gemeinde selbst könnte.
Mellingen ist die einzige Gemeinde im Verbreitungsgebiet des «Reussbote», die eine private Firma angestellt hat. Der Gemeinderat nahm die Zusammenarbeit wieder auf, nachdem der Kanton 2019 seine Unterkunft an der Gheidstrasse auflöste. Dort waren 18 Asylsuchende untergebracht. Seitdem ist die Gemeinde wieder selbst verantwortlich.
Das Modell hat dennoch seine Tücken, wie Gomes indirekt bestätigt. Was genau die Asylsuchenden machen, darüber weiss der Gemeinderat nicht genau Bescheid. Gomes beobachte lediglich, dass sie meist unter sich bleiben und wenig Kontakt zur Bevölkerung haben. Und er nennt Fälle, wo anerkannte Flüchtlinge selbst nach jahrelangem Aufenthalt in Asylunterkünften kaum integriert sind. «Dann landen sie bei uns in der Sozialhilfe», sagt er.
Sind einige Menschen schlicht nicht integrierbar oder gelingt es nicht, diese abzuholen? Steckt möglicherweise sogar Kalkül dahinter? Diese Fragen werden immer wieder gestellt, während die ORS Jahr und Jahr Millionengewinne einfährt.
Näher dran an den Menschen sind jedenfalls Gemeinden, die eigene Asylbetreuerinnen und -betreuer eingestellt haben. Besonders die kleineren haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht. In Wohlenschwil und Stetten kümmert sich Belqis Akbari um Familien und Einzelpersonen. Die Afghanin weiss aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, die Sprache zu lernen und auf eigenen Beinen zu stehen. Aber auch, Anschluss im Dorf zu finden. Sie kam als junge Mutter vor 16 Jahren nach Wohlenschwil und lernte die Frauen im Ort kennen, weil sie beim Mittagstisch mithalf. Ihr zweiter Sohn kam in der Schweiz zur Welt. Heute ist die Familie eingebürgert.

Mitgefühl und Verständnis zeigen
«Meine eigene Lebensgeschichte motiviert mich, Flüchtlingen zu helfen», sagt sie. Dabei sei es ganz wichtig, einerseits einen Zugang zu den Menschen zu finden, sie andererseits mit den Schweizer Begebenheiten vertraut zu sein. Ihr kommt zugute, beide Welten zu kennen. Und sie lobt die Verbesserungen, die das Asylwesen in den vergangenen Jahren erfuhr: «Heutzutage gibt es so viele Möglichkeiten, vom gratis Deutschkurs bis hin zu Ausbildungsangeboten. Wer eine Begabung hat, Interesse zeigt, der kann etwas aus sich machen und wird vom Migrationsamt unterstützt.» Besonders gut ist ihr Draht zu Landsleuten, aber auch Menschen aus anderen arabischen Ländern oder Afrika hat sie schon betreut. Teilweise waren es über 20 Personen zur selben Zeit. Akbari ist sich sicher, dass man die Fremden an die Hand nehmen und ihnen zeigen muss, was möglich ist. Sie sei immer wieder gerührt, wie motiviert ihre Schützlinge sind. Und sie ist stolz, wenn etwas besonders gut gelingt. So habe ein junger Afghane kürzlich seine Lehre abschliessen können – als Zweitbester des Kantons in seinem Beruf. Als er in die Schweiz gekommen sei, habe er kein Wort Deutsch sprechen können.
Asylbetreuerin zu sein, ist für Belqis Akbari eher Berufung als Beruf. Darum könne man sie auch nach Feierabend noch anrufen. «Ich will vor allem helfen», sagt sie.

«Sinnvolle Beschäftigung»
Auch Renate Maag ist als Asylbetreuerin das Bindeglied zwischen Gemeinde und Flüchtlingen. Sie ist in Bellikon angestellt und für derzeit zwei Familien zuständig. «Ich versuche, die Menschen da abzuholen, wo sie selber stehen, ihre Ressourcen zu nützen und auszubauen», lautet ihr Rezept. Die grösste Hürde sei die Sprache. Besonders schwierig sei es, wenn jemand weder lesen noch schreiben kann. «Auch wenn die Person motiviert ist, das zu lernen», so Maags Erfahrung.
Bei ihrer Tätigkeit kommt der Pensionärin ihre berufliche Erfahrung zugute. Sie hat in der Kinderbetreuung angefangen und war zuletzt als CEO eines Pflegeheims tätig. Sie ist Asylbetreuerin nicht des Geldes wegen, sondern weil sie einen Sinn in ihrer Arbeit sieht. Das motiviert sie, die Extrameile zu gehen, auch mal auf eigene Faust Spielsachen für die Kinder zu besorgen oder Geld zu sammeln, weil das Amt eine orthopädische Spezial-Einlage nicht zahlen will. Sie vermittelt Adressen, übersetzt Briefe, kontrolliert, ob im Arbeitsvertrag die Kinderzulagen stimmen oder hilft mit vermeintlich einfachen Dingen im Alltag. «Es ist auch schon vorgekommen, dass ich gezeigt habe, wie man ein Znüni für die Kinder vorbereitet oder sich richtig die Zähne putzt.» So wie in Wohlenschwil, Stetten und Bellikon haben auch die Gemeinden in Oberrohrdorf, Künten, Mägenwil und Remetschwil Asylbetreuerinnen eingestellt. Von Gemeindeseite aus ist man mit diesem Modell sehr zufrieden und unterstützt die Asylbetreuerinnen nicht nur im administrativen Bereich. Ziel sei es, die Menschen dazu zu bringen, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen, sagt Kevin Gasser, von der Gemeinde Remetschwil – noch während sie vorläufig aufgenommen sind. Individuell angemessene Massnahmen für die sprachliche, soziale und berufliche Integration werden mit dem Kantonalen Sozialdienst aufgegleist. Monika Flückiger, stellvertretende Gemeindeschreiberin von Mägenwil, berichtet, dass man auf Kinder ein besonderes Auge habe und die frühe Integration fördere, indem man Mitgliederbeiträge für Spielgruppe oder Sportvereine übernehme. Wenn es in der Ausbildung klemmt, organisiert die Gemeinde schon mal einen Laptop oder bezahlt Nachhilfestunden, teilt Stefan Herzog von der Wohlenschwiler Gemeindekanzlei mit.

Modell mit Zukunft
Das Modell soll auch in Zukunft beibehalten werden, sagt der Oberrohrdorfer Gemeindeschreiber Thomas Busslinger. Oberrohrdorf ist gemeinsam mit Niederrohrdorf, Neuenhof, Killwangen und Würenlos in einem Asylverbund. Da in Neuenhof eine Asylunterkunft abgerissen wird, ist damit zu rechnen, dass ab Sommer wieder mehr Asylsuchende nach Oberrohrdorf kommen werden. Derzeit werden sechs Personen betreut. «Um dafür gewappnet zu sein, suchen wir nach einer geeigneten Liegenschaft», sagt Busslinger. Dass die Betreuung funktionieren wird, darüber macht er sich keine Sorgen. Schon früher, im Herbst 2016, hat die Gemeinde insgesamt 17 Asylsuchende aufgenommen. Die meisten seien mittlerweile wirtschaftlich unabhängig. Mit Asylbetreuerin Ivanka Studer, die auch in weiteren Gemeinden zuständig ist, sei man seit Jahren hochzufrieden.

Zufrieden mit Sozialdienst
In Birmenstorf, Fislisbach und Niederwil sorgen die Gemeinden für die Unterkünfte. Für die Betreuung ist der Kantonale Sozialdienst zuständig. Auch dort ist man mit der Qualität der Betreuung zufrieden.

Stefan Böker

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