Mythos Modelleisenbahn: Das Spiel auf der Spur

Fr, 26. Mär. 2021

Urs Weber sucht Gleichgesinnte, die mit ihm zusammen eine grosse Modelleisenbahn bauen möchten

Modelleisenbahnen galten vielen als ein angestaubtes Relikt aus der Nachkriegszeit. Seit dem Lockdown erleben die Miniaturbahnen ein erstaunliches Comeback. Der «Reussbote» besuchte Urs Weber, der in der Mellinger Altstadt in einem Keller in eine andere Welt abtaucht.

Vielleicht liegt es daran, dass viele Menschen während des Lockdowns die Zeit zu Hause nutzen, um ihre Keller und Dachböden zu durchstöbern und dann ganz weit hinten, wo die (fast) vergessenen Dinge liegen, ihre alte Modelleisenbahn wiederfinden. Oder aber es ist der allgemeine Trend zum generationenübergreifenden Spiel. Und womöglich spielen auch Sehnsüchte eine Rolle. Fernweh, zum Beispiel, oder die Sehnsucht, die grosse Welt im Kleinen zu beherrschen. Es gibt viele Gründe für den Boom der Modelleisenbahn, und Corona ist einer davon.

In einer anderen Welt
Auch bei Urs Weber war Corona mitunter ein Grund dafür, dass er dieses und letztes Jahr unzählige Stunden in einem Keller in der Altstadt verbrachte. Weber war schon als Kind begeistert vom Modellbau. Sein Vater baute eine Modelleisenbahn-Anlage, die er später übernommen hatte und einlagerte. Immer wieder ergänzte Weber seine Sammlung, auch mit sehr kostbaren Stücken. In seiner Altstadt-Wohnung an der Scheunengasse hängen beim Eingang zwei Vitrinen, in denen die kostbarsten Modelle ausgestellt sind. Was ihm noch fehlt ist ein spezielles Modell des «Seetal-Krokodil». Die «Krokodile» sind mehr als nur «alte Lokomotiven»: Sie sind Teil des kulturellen Erbes der Schweiz. Kein anderer Lokomotivtyp der SBB geniesst einen so hohen Bekanntheitsgrad wie das «Krokodil».

Tunneleinfahrt aus Styropor
Viele Vitrinen-Modelle sind derart kostbar, dass sie Weber in seinem Hobby-Keller gar nicht einsetzt. Dort hat es weitere Modelle und unzählige Wagen – Personenwagen und Güterwagen. «Betrete ich diesen Raum, dann tauche ich ab in eine andere Welt. Alles andere bleibt draussen», sagt Weber. Doch was fasziniert ihn derart an seinem Hobby? «Die Vielseitigkeit», sagt er postwendend. «Ich arbeite mit den verschiedensten Materialien wie Holz, Metall, Kunststoff und kümmere mich auch um den Strom und die Elektronik.» Zur Veranschaulichung holt er ein Stück Styropor hervor und erklärt dem Journalisten, wie er daraus ein Tunnelportal bastelt. Dazu hat er eigens eine Technik entwickelt, um die Natursteine sichtbar zu machen.

Strom von Oberleitung
Wer den 50 Quadratmeter grossen Kellerraum betritt, der sieht noch keine fertig gebaute Modellanlage. Vieles ist noch im Kopf geplant, sagt Weber. Seine Anlage ist vierstöckig konzipiert. Urs Weber, der in Mellingen das Kulturlokal Tradinoi betreibt, verbrachte während der Pandemie viel Zeit in seiner Traumwelt. Zwei verschiedene Anlagen, Wechselstrom und Gleichstrom – baut der Hobbymodellbauer ineinander. Die Märklin-Modelleisenbahn fährt mit Strom von der Oberleitung. Diese Oberleitung im Tunnelbereich hat Urs Weber aus Kupferdrähten selber gebaut, um den Strom von der Schiene für die Beleuchtung der Wagen zu benutzen. Vor vier Jahren hatte der pensionierte Lehrer begonnen, im Keller seine Gedankenspiele umzusetzen. Konturen seiner Ideen sind erkennbar. Weber zeigt in die Mitte und erklärt dem «Reussbote», dass dort ein Inselbahnhof geplant ist. «Einer wie in Arth Goldau – oder so wie in Olten. Das Perrondach ist bereits vorhanden. Aus Holz, das Dach mit Sand eingestreut und begrünt. Bis ins kleinste Detail plant Weber seine Anlage. Nicht fehlen darf ein Rangierbahnhof und ein Bahnbetriebswerk. Später dann ist die Gestaltung der Landschaft geplant. Häuser, Berge, Seen, Flüsse – ja eine ganze Stadt. Die Arbeit und die Ideen sind da. Wie viele Stunden er schon investiert hat, weiss Weber nicht. Es sind Hunderte von Stunden. Und die Kosten sind mittlerweile in einem tiefen sechsstelligen Frankenbetrag angelangt. Ein teures Hobby, das aber eine grosse Befriedigung mit sich bringt.

Gibt es schon bald einen Modelleisenbahnverein?
Welche Pläne hat Urs Weber für die Zukunft, wenn die Anlage einmal fertig gebaut ist? Er erwähnt seinen grossen Traum. Immer wieder wird er darauf angesprochen, dass es schade sei, eine derart schöne Anlage im verborgenen Keller zu betreiben. Webers Idee ist die Gründung eines Vereins. Er ist sich sicher, dass es viele Gleichgesinnte gibt. Er hofft, dass sich auf diesen Artikel hin einige Personen bei ihm melden, die mit ihm zusammen eine neue Anlage bauen. Weber hat die Möglichkeit, ab 2022 in einer neuen Überbauung nahe der Altstadt, einen gut 100 Quadratmeter grossen Raum zu mieten. Für ihn alleine wäre die Miete nicht zu stemmen. Finden sich ein paar Gleichgesinnte, so wären die Kosten eher tragbar. Mit Webers Modelleisenbahn wäre ein grosser Grundstock an Zügen, Schienen, Bahnhöfen und vielem anderen mehr vorhanden.
Urs Weber würde die gesamte Anlage abbrechen und wieder neu konzipieren. Mitunter ein Grund für den Bau einer neuen Anlage sind kleinere Planungsfehler, die sich im Laufe der Bauzeit herausstellten. Wer von seiner Idee angetan ist, der darf sich gerne melden bei Urs Weber, Mellingen, Telefon 079 284 61 62.

Benedikt Nüssli

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