Er wird warten bis zum letzten grossen Auftrag

Fr, 23. Apr. 2021

Bauleute erinnern sich noch an das legendäre Unternehmen «Spring & Söhne Baustoffe Stetten» – es lebt immer noch, mehr oder weniger

Einst hörte man es bis ins Dorf, wenn an der Vulkanstrasse die Maschinen liefen. Tonnenweise Steine produzierten Arbeiter pro Tag dazumal. Doch die Zeiten änderten sich: Still und leise sank die Zahl der Aufträge. Bis sie ganz ausblieben. Der Patron harrt weiterhin im Büro vor dem Telefon aus.

Das Areal sieht verlottert aus. Das Firmenlogo auf dem Dach der Haupthalle hat Buchstaben verloren. Scheiben wurden eingeschlagen. Auf dem Hof stehen die berühmten Spring-Steine, Wind und Wetter ausgesetzt, auf brüchigen Paletten herum. Teils fallen sie schon in sich zusammen oder sind mit Moos bewachsen. Wie alt die Bausteine sind, weiss keiner mehr so genau. Zwanzig Jahre vielleicht? Der Motivation des 102 Jahre alten Firmenchefs tut dies keinen Abbruch. Irgendwann kommt doch noch einer und kauft sie, ist er sich sicher.

Heute wird vermietet
Im Dorf hat man den Niedergang des traditionsreichen, aber unauffälligen Bauunternehmens gar nicht so richtig wahrgenommen. Die guten, produktionsreichen Zeiten kennen sowieso nur noch die Älteren. Mittlerweile werden die grossen Lagerhallen und der Lagerplatz vermietet. Es ist die Haupteinnahmequelle der Firma. Mehrere Kleingewerbe sind hier angesiedelt. Auch wer einen Stellplatz für seine Fahrzeuge sucht, ist bei «Spring & Söhne» an der richtigen Adresse. Ein Mieter sagt, er habe seinen Vertrag vor zwei Jahren noch mit Max Spring persönlich unterzeichnet.
Das Unternehmen hat der Grossvater, ein Kaminbauer und Dachdecker, vor 132 Jahren aufgebaut. Sein Vater hatte Erfolg mit einer speziellen Russtüre. Bei Max Spring schlug das Tüftler-Gen indes am stärksten durch: Er entwarf die in der Baubranche einst sehr gefragten und bis heute Begriff gebliebenen Spring-Schalungssteine. Seine beiden Brüder Fritz und Ernst arbeiteten ebenfalls in der Firma, aber verstarben schon vor längerer Zeit. Sein eigener Sohn, ein Architekt, ist selbst erfolgreich als Immobilienunternehmer in Zürich, tritt jedoch als Aktionär der Fima kaum in Erscheinung, ebenso wie die Neffen der Brüder. Der alte Firmenpatron ist quasi der letzte Sohn von «Spring & Söhne Baustoffe Stetten». «Wenn ich könnte, würde ich heute noch den ganzen Tag schuften», nennt dieser seinen grössten Wunsch. Die Firma war sein Ein und Alles.
Der Stolz auf sein Lebenswerk ist dem Herrn der Steine anzumerken, wenn er in alten Fotoalben blättert, Bilder zeigt, wie er beim Bau der Hallen in Stetten mit anpackte, historische Kataloge aus den alten Zeiten hervorholt. Ins Reusstal kamen sie eigentlich durch Zufall: «Mein Bruder hatte den Gemeindeschreiber auf dem Reitplatz kennengelernt. Und dieser gab ihm Wind vom freien Bauland.» Eigentlich wollte sich die Altstätter Firma nach Geroldswil erweitern, wo sie schon Land gekauft hatte – und heute noch besitzt. Das Unterfangen scheiterte aber am Bau der Autobahn und an Einsprachen.

Legendäre Spring-Steine
Sein Baumaterial war einmal das Nonplusultra: Die Referenzliste umfasst den Flughafen Kloten, den Hauptbahnhof Zürich, die Sportanlagen «Esp» in Dättwil und nicht zuletzt zahlreiche Eigenheime. Seine Bausteine konnte man aufeinandertürmen wie Lego, wenn nötig mit Beton oder Isolationsmaterial füllen. Noch heute erinnern sich Maurer an die Spring-Steine. Doch das Unternehmen scheint eine Wende im Baugewerbe verpasst zu haben. Heute gibt es modernere Möglichkeiten und Material mit besseren Isolationswerten.
In der Tat wirkt ein Besuch in den Büroräumen wie ein Gang durchs Museum. Die Möbel, die Tapeten, die Linoleumböden sind original 60er-Jahre-Stil. Kein Internet, keine Computer. Im Büro des Chefs steht immer noch das alte Reissbrett, es sieht aus, als ob erst kürzlich Skizzen gemacht wurden. Das Büro von Bruder Fritz wurde hinterlassen, als wäre dieser nur kurz in den Mittag gegangen. An den Wänden im Besprechungszimmer hängen die Porträts von Grossvater, Eltern und Brüdern, im Eingangsbereich Auszeichnungen aus der Zeit der Jahrhundertwende. Die Uhr, könnte man sagen, ist hier schon vor vielen Jahren stehengeblieben.
Heute besteht das Unternehmen aus dem Firmenchef und seinem letzten Mitarbeiter Dominique Vogler. Vogler vereint verschiedene Positionen in einer Person, ist Chauffeur, Koch, rechte Hand, Betriebsleiter und geht sogar mit Max Springs Dackel Joggeli Gassi oder schaut daheim in seiner Villa in Dietikon nach dem Rechten. Der Chef lasse es sich nicht nehmen, zwei Mal die Woche ins Büro zu gehen, bestätigt Vogler. Dort führt er die Buchhaltung noch händisch, prüft Rechnungen und Mietverträge. Und ab und an hört man die Schreibmaschine klackern.
Auf dem Fabrikgelände ein ähnliches Bild. Nur die Haupthalle ist nicht vermietet. Spring nennt sie «die Fabrik». Hier stehen die zwei riesigen, selbst entworfenen Maschinen, mit denen die Steine früher gepresst wurden. Eine laute, schweisstreibende, mechanische Arbeit, bei welcher der Chef auf zuverlässige Mitarbeiter zählen konnte, die genau wussten, in welcher Mischung man Brechsand und Zement in die Maschinen gab. Und auch selbst mit anpackte. «Ich habe zwei Leben gelebt», sagt der erfolgreiche Unternehmer. «Tagsüber habe ich im Dreck geschuftet, ich habe die Maschinen bedient und bin Laster gefahren. Abends bin ich mit meiner Frau fein angezogen in die besten Restaurants gegangen und bewegte mich in der hohen Gesellschaft.»

Tüchtige Mitarbeiter
Angestellt waren auch Spezialisten, die sich nur um die Wartung der Maschinen kümmerten. Der letzte, der noch Steine produziert hat, ist Domenico Sassano. Der Italiener arbeitete rund 30 Jahre für Max Spring. Heute ist er noch als Hausabwart tätig, aber viel machen will der Patron nicht, das ist offensichtlich. «In den besten Zeiten arbeiteten 20, 25 Mann im Betrieb», erzählt Sassano. «Das letzte Mal Steine produziert habe ich vor etwa vier Jahren.» Einige Paletten stehen noch so, wie sie verlassen wurden, auf den Gleisschiebewägen in der Halle. An einer Maschine hängt noch der Hörschutz. Auch hier sieht es aus, als ob es schon morgen wieder losgehen könnte – wer aber auf den stählernen Ungetümen rumkraxelt, schaut, wo die Förderbänder laufen und wie die Maschinen bedient wurden, merkt schnell: Heutigen Sicherheitsstandards würden diese Zeitzeugen aus einer anderen Epoche nicht mehr genügen. Sassano und sein Patron sind sowieso die einzigen, die noch wissen, wie man die Maschinen bedient.
Die Produktpalette war gross. In einer Ecke stapeln sich noch einige Gusseisen, die darauf hinweisen. Sogar Betonbriefkästen stellten sie in den 80er-Jahren her. Und Max Spring hat in den 90er-Jahren einen neuartigen Baustein ausgetüftelt, der in der «Aargauer Zeitung» als «fast sensationelle Erfindung» gelobt wurde: Statt Brechsand verwendete der Baustoffproduzent gemahlenes Altglas. Leider gingen diese leicht glitzernden Steine nie in die grosse Produktion. «Weil wir keine Schienenanbindung haben», erinnert sich Spring, «wäre es zu teuer geworden, das Glas zu besorgen.» Einige Paletten mit den Glitzersteinen stehen heute noch auf dem Gelände.

Er leistete sich teure Sportwagen ...
Bekannt war Max Spring in Stetten für seine teuren Autos. Er sei mit einem Ferrari mit goldenem Nummernschild zur Dorfpost gefahren, erinnert sich ein Dorfbewohner, «ein Patron alter Schule». Noch heute stehen ein Aston Martin, ein Jaguar und ein Mercedes in der Garage von Springs Villa in Dietikon. Ansonsten blieb der Unternehmer eher unauffällig.
Freizeit ist ihm eigentlich ein Fremdwort, genauso wie Ferien. Ausspannen hiess für ihn früher, mit dem Ferrari ins Tessin zu düsen und in der Villa Romantica ein langes Wochenende zu verbringen. Seinem Hobby, den schönen Autos, kann er nicht mehr frönen, was er aber bis ins hohe Alter tat. Vor fünf Jahren hatte er allerdings einen schweren Unfall mit dem Gabelstapler. Er wollte einen Lastwagen beladen und fuhr dabei versehentlich rückwärts eine Rampe herunter. Der Stapler überschlug sich, schwer verletzt schleppte sich der Senior hoch ins Büro. Polizei und Krankenwagen wurden alarmiert, und wie sich herausstellte, hatte er nicht nur einen Becken-, sondern auch einen Leistenbruch, der ohne diesen Unfall wohl unentdeckt geblieben wäre. Die Operation dauerte sieben Stunden. Seitdem verrichtet Max Spring keine mechanische Arbeit mehr, obwohl er den Sanitätern noch am selben Tag versicherte: «Das ist nichts. Morgen gehe ich wieder schaffen.» Das einzige Fahrzeug, dass er heute noch bedient, ist ein Traktor, mit dem er den Rasen seines Gartens mäht.

Die Arbeit hält ihn aufrecht
Max Spring ist mit Steinen reich geworden. Trotzdem ist er einer geblieben, der aufs Geld schaut. «Ich könnte mir vieles leisten», sagt er. Aber das, was er wirklich will, scheint unerreichbar: Dass das Telefon klingelt, ein grosser Auftrag hereinkommt, er eigenhändig die Maschinen anschmeissen und wieder produzieren kann. Es rufen auch tatsächlich immer mal wieder Interessenten an, bestätigt sein Mitarbeiter Vogler. Trotzdem scheint die Vorstellung, die alten Maschinen in der wackligen Halle könnten wieder Steine ausspucken, verwegen. Max Spring klammert sich an diese Idee. Sie hält ihn am Leben. «Die Arbeit hält mich fit», hat er mal der «Limmattaler Zeitung» gesagt. «Ich habe früher Tag und Nacht gearbeitet.» Darum muss alles bleiben, wie es ist. «Produktionsbereit, von heute auf morgen, zumindest für einen minimen Ausstoss», erklärt Max Spring mit unerschütterlichem Glauben. Der Teil der Halle mit den Maschinen ist der letzte, der nicht vermietet ist. Und er stellt klar: «Solange ich lebe, wird das so bleiben.»

Stefan Böker

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