GASTKOLUMNE

Di, 18. Mai. 2021

Edith Saner aus Birmenstorf ist diplomierte Pflegefachfrau und diplomierte Betriebsausbilderin mit Masterabschluss in Coaching. Sie politisiert seit 20 Jahren. Zuerst auf kommunaler Ebene, seit sechs Jahren im Grossen Rat. Ausgleich dazu ist ihr Bewegung in der Natur.

Was ich von Meisen lernen kann

Wenn ich die Amsel auf der Baumspitze höre, die Finken und Meisen im Geäst entdecke, ihr Gezwitscher geniesse und der Duft verschiedenster Blüten in die Nase steigt, dann hat der Winter dem Frühling Platz gemacht.
Ich freute mich unter anderem auf den Frühling, weil vor zwei Jahren endlich mein Vogelhäuschen belebt wurde, das ich vor vielen Jahren zu einem runden Geburtstag erhielt. Kurz zuvor diskutierten mein Mann und ich noch, ob wir das Vogelhaus abmontieren wollen, da es immer schiefer stand und sich kein Vogel einnisten wollte. Es kam dann überraschenderweise anders. Ein Meisenpaar nahm sich noch rechtzeitig dem bunten Häuschen an und klopfte über Tage den ganzen Innenraum aus. Als müsste das über Jahre leer gestandende Haus so richtig herausgeputzt und markiert werden. Und dann ging es los. Zweimal wurden Eier ausgebrütet und wir genossen im Garten das emsige Treiben der Meisen und später den Ausflug der Jungvögel. Das langjährige Warten hat sich gelohnt, – oder vielleicht auch die Drohung an die Vögel, dass das Haus weggeräumt wird. Zwei Jahre genossen und bewunderten wir die neuen Gartenbewohner. Momente des Staunens, was so kleine Vögel alles leisten. Sie hüpfen, zwitschern, balancieren auf kleinsten Ästen, schauen die Welt aus unterschiedlichen Perspektiven an und scheuen sich nicht, die Umgebung mal mit dem Kopf nach unten zu betrachten. Verhaltensweisen, die auch ich ab und zu in meinen Alltag einbauen könnte.
Ich freute mich auf den Frühling und beobachtete Tag für Tag das Vogelhäuschen. Nichts regte sich! In meiner Ratlosigkeit und auch Enttäuschung fragte ich unseren Gärtner und Vogelexperten um Rat. Ob ich das Häuschen mal herausgeputzt hätte, – es könnte sein, dass zu viel Nistmaterial im Innenraum sei. Peinliche Stille. Ich verneinte seine Frage und realisierte, dass ich mir bis jetzt nie überlegt hatte, welche Unterhaltsarbeit von mir gefordert wäre.
Am Tag darauf erlebte ich den Aufsteller des Tages. Ein Blatt Papier im Briefkasten mit folgender Notiz: «Salü Edith, in deinem Vogelhaus ist eine hübsche Blaumeise am Brüten! Ich wünsche dir eine gute Zeit.» Ich weiss einmal mehr, dass vieles im Leben nicht einfach so genossen werden kann. Sondern, dass auch ich mir immer wieder überlegen muss, welcher Beitrag von mir gefordert ist. Und, – kein Wesen ist zu klein, um andere ab und zu zappeln zu lassen.

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