Gericht lässt Bauarbeiter vom Haken

Fr, 18. Jun. 2021

Die drei Angeklagten im Birmenstorfer Fischzucht-Drama wurden in erster Instanz freigesprochen

Wie das Bezirksgericht am Montag schriftlich mitteilte, sind die drei angeklagten Bauarbeiter im Fischzucht-Drama von Birmenstorf freigesprochen worden. Kläger Roman Hufschmid zieht das Urteil weiter vors Obergericht.

Es war eine schlimme Sache, der Schaden gross. Tausende Fische verendeten qualvoll (der «Reussbote» berichtete mehrfach). Verantwortlich sein wollten weder die beteiligten Baufirmen, 13 an der Zahl, noch das Amt für Strassenbau als Bauherr. Alle machten sie sich aus dem Staub. Allein der Hartnäckigkeit von Fischzüchter Roman Hufschmid war es zu verdanken, dass letzten Endes doch noch drei Angeklagte vor Gericht standen: ein Geschäftsführer, ein Abteilungsleiter und ein Bauführer der Leuthard Bau AG aus Merenschwand.

Formfehler der Anklage
Am vergangenen Donnerstag wurde Hufschmid von Rechtsanwalt Jürg Krumm vertreten. Dieser arbeitet in der Kanzlei des bekannt und berüchtigten Zürcher «Milieu-Anwalts» Valentin Landmann. Krumm musste die erste Niederlage einstecken, bevor das Verfahren überhaupt richtig losging. Das Bezirksgericht hiess die Anträge der Verteidigung gut, die Baustoff Birmenstorf AG nicht als Straf- und Zivilklägerin zuzulassen. Damit war Hufschmids Schadensersatzforderung in Höhe von über vier Millionen Franken schon mal vom Tisch. Sein Anwalt hätte diese gerne dem Strafverfahren angehängt.

Verfahren beginnt nach Vorgeplänkel
Der angeklagte Geschäftsführer wurde zuerst befragt. Er machte aus seinem Ärger über die Anschuldigungen keinen Hehl. Während die anderen beiden noch Angaben zu ihrem Wohnort oder Familienstand machten, wollte er auf keine Frage eingehen. «Keine Aussage», wiederholte er mehrfach. Je öfter Gerichtspräsident Patrick Jegge ihn fragte, desto genervter reagierte er. Er sei bereits mehrfach vernommen worden und habe dabei alles gesagt, was gesagt werden muss, beschied er dem Vorsitzenden unwirsch.

Das war passiert
Den drei Angeklagten warf die Staatsanwaltschaft Sachbeschädigung «durch pflichtwidriges Untätigbleiben» vor. Sie hätten das Gerüst an der Autobahnbrücke kontrollieren und dabei merken müssen, dass die Schutzplane an einer Stelle undicht war. Schliesslich war es die Leuthard Bau AG, die das Entwässerungskonzept erstellt hatte. Die Angeklagten seien ihrer Kontrollpflicht nicht nachgekommen. So hätten sie in Kauf genommen, dass kontaminiertes Wasser auf das Gelände der darunter liegenden Fischzucht strömte, so die Anklage.
Rechtsanwalt Krumm ergänzte den Vorwurf der Sachbeschädigung um Verstösse gegen das Tier- und Gewässerschutzgesetz. Langsam, mit ruhiger Stimme brachte er seine Argumente vor – und wurde dabei vom angeklagten Geschäftsführer unablässig mit bösen Blicken fixiert. Aufrecht, die Hände mit ineinander verschränkten Fingern auf den Tisch gelegt, sass der Mann auf der Anklagebank. «Wer einen ‹Seich› gemacht hat, muss dafür geradestehen», liess Krumm ihn und die beiden Mitangeklagten wissen. «Wir wollen niemanden finanziell ruinieren. Es geht darum, dass so etwas nicht mehr vorkommt.» Die Verantwortung, wer das Gerüst prüfen musste, sei klar geregelt gewesen. Alle hätten wissen müssen, dass sich unter der Brücke sensibles Gebiet befand. Massive fahrlässige Tierquälerei sei das gewesen. Der Tod sei vom Himmel gefallen. Langsam und qualvoll seien die Tiere gestorben, an Zementbrocken, die sie für Futter hielten. Für die Fische ein Weltuntergangsszenario. Sie hätten Todesangst gelitten. Erst da wendet der Hauptangeklagte seinen Blick ab.

Verteidigung zerriss Vorwürfe
Die drei Verteidiger blieben dennoch unbeeindruckt. Sie stellten unter anderem Roman Hufschmids Legitimation als Geschädigter in Frage. So brachten sie etwa vor, dass nicht er, sondern seine Frau Grundeigentümerin sei – worauf dem Fischzüchter die Hutschnur riss. Mehrfach rief er laut dazwischen und musste vom Richter ermahnt werden. Während es der Anklage gelang, von Anfang an kleinlaut aus der Defensive zu argumentieren, wirkten die Verteidigungsreden angriffslustig und wurden mit Verve vorgetragen. Kein gutes Haar liess die Verteidigung an der Staatsanwaltschaft – welche es selbst nicht nötig hielt, vor Ort zu erscheinen. Ihr schien die Lust am Ermitteln schon vor Jahren vergangen zu sein. Oder war es die Komplexität des Falls, die sie zum Verzweifeln brachte? «Im Grunde gab es gar keine Untersuchung», kritisierte Verteidiger Markus Häfliger dementsprechend. «Nur Einvernahmen.» Das Wissen sei auf dem Stand, auf dem es schon 2016 war. Auf dem Stand eines mehrere Jahre alten Rapports der Kantonspolizei.
Was jedenfalls nach sechs Jahren Ermittlungen in der Anklageschrift stand, rang den Verteidigern nicht mal ein müdes Lächeln ab. Sie verrissen die Vorwürfe in der Luft. Wind, Regen, andere Arbeiter, Materialfehler oder Manipulation durch Fremde – es gebe zig verschiedene Möglichkeiten, wie der Schaden habe entstehen können. «Alle sind genauso plausibel wie die Darstellung der Staatsanwaltschaft», bemängelte Häfliger.
Es sei technisch gar nicht möglich, eine so grosse Fläche wie das Gelände der Fischzucht durch ein kleines Leck in der Plane zu verschmutzen, stellte Verteidiger Basil Huber klar. Jedenfalls nicht ohne dass Abflussspuren gefunden werden. Und solche seien in den Unterlagen nicht dokumentiert worden. Zudem seien andere für die Durchsetzung des Kontrollplans verantwortlich gewesen, etwa die Bauleitung oder die Umweltbaubegleitung. Das Gerüst sei den Vorgaben gemäss erstellt worden und es sei nicht einmal erwiesen, dass man ein mögliches Leck durch eine Kontrolle rechtzeitig hätte entdecken und eine Verschmutzung der Fischzucht vermeiden können.
Verteidiger Matthias Fricker wies darauf hin, dass an und auf der Brücke mit Hochdruckstrahlern gearbeitet wurde. Mit 2500 Bar. Es sei wahrscheinlicher, dass dadurch Teile herumgeschleudert wurden und nach untern fielen, schliesslich war das Gerüst oben offen. So, wie es die Bauleitung abgesegnet hatte.

Schwache Anklage
Roman Hufschmid habe die «Forellenquelle» mit viel Zeit, Mühe und Aufwand aufgebaut. Also sei er auch der Geschädigte, argumentierte sein Anwalt. Dass ihm Kosten entstanden sind, sei schwarz auf weiss in den Akten nachzulesen. Kosten für die Reinigung der Fischzucht. Plus der Schaden, der durch die jahrelange Stilllegung der Fischzucht entstand. Auch darauf hatten die Verteidiger gute Antworten. Niemand bestreite, dass es einen Schaden gegeben hat, dass hier etwas passiert war, was nicht hätte geschehen dürfen. Aber ihren Mandanten einseitig die Schuld zu geben, sei nicht möglich.

Angriffslustige Verteidigung
Eine andere Geschichte sei die Wiedergutmachung des Schadens. Man hätte alles menschenmögliche getan, zig Gespräche geführt. «Aber die Forderungen der Birmenstorf Baustof AG sind masslos überzogen», kritisierte Basil Huber. Hufschmid wolle sich die Fische «fünfmal vergolden» lassen. Der Fall wäre schon längst gegessen, wenn Hufschmid auf die grosszügigen Angebote der Versicherungen eingegangen wäre. 150 000 Franken seien bereits gezahlt worden. «Damit ist der Schaden gedeckt.» Nur wegen Hufschmids Dickköpfigkeit habe sich das Verfahren über Jahre hingezogen.

Gericht liess sich überzeugen
Am Ende waren auch dem Bezirksgericht die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft nicht wasserdicht genug. Von den engagierten Vorträgen der Verteidiger liess es sich eher übezeugen und sprach die Angeklagten von Schuld und Strafe frei. Auf den Antrag von Roman Hufschmid auf eine Verurteilung nach Gewässer- und Tierschutzgesetz ging das Gericht nicht ein. Die Anwaltskosten der Angeklagten ebenso wie die Verfahrenskosten werden übernommen.
Roman Hufschmid hat schon 2018 nicht aufgegeben. Als die Staatsanwaltschaft das Verfahren wegen mangelnder Erfolgsaussichten einstellen wollte. Damals beschwerte er sich erfolgreich vor dem Obergericht. Logisch, dass er auch jetzt die Flinte nicht ins Korn wirft. Bereits am Dienstag hat sein Anwalt in allen drei Fällen Berufung eingelegt.

Stefan Böker

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