Lachend und spielend lernen sie die Sprache

Fr, 15. Okt. 2021

Bevor es im Kindergarten ernst gilt, sollen die Dreijährigen Deutsch lernen. Im Spiel, ganz nebenbei. So will es ein kantonales Pilotprojekt «Deutschförderung vor dem Kindergarten». Mellingen-Wohlenschwil macht mit.

Zehn Kinder spielen an diesem Morgen in der Spielgruppe Zick-Zack. Sieben unter ihnen verstehen kaum ein deutsches Wort. Daheim sprechen sie italienisch, portugiesisch, albanisch oder englisch. Hier lachen sie zusammen, kichern und kugeln sich, wenn jemand etwas Lustiges macht. Den Mädchen und Buben geht es gut bei Spielgruppenleiterin Raquel Dirr. Die Sprache mag sie trennen. Das Lachen aber verbindet. Nicht umsonst hängt der Satz «Wir lachen alle in der gleichen Sprache» an der Wand. Dieser Satz akzentuiert Gemeinsamkeiten und setzt sich über manch kulturellen Unterschied hinweg.
Dennoch sollen die sprachlichen Unterschiede kleiner werden und das Verständnis grösser. Nach einem Jahr in der Spielgruppe sollen alle Kinder bis zum Übertritt in den Kindergarten nicht nur deutsch verstehen sondern auch sprechen können. So will es ein auf drei Jahre angelegtes, kantonales Pilotprojekt «Deutschförderung vor dem Kindergarten» (siehe Kasten). Die Gemeinde Mellingen gehört zu den wenigen Gemeinden, die für dieses Pilotprojekt im Aargau ausgewählt wurden.
Im Vorfeld wurden in Mellingen 74 Fragebogen verschickt, beantwortet wurden 72 Fragebogen. Ein erfreuliches Resultat, sagt Projektleiterin Aline Muff. Dabei wurde bei 37 Kindern ein Förderbedarf festgestellt. Mit Beginn des neuen Schuljahres nehmen in Mellingen nun insgesamt 24 Kinder am Projekt teil. Dies geschieht in der Testphase auf freiwilliger Basis.

Spielerisch Sprache vermitteln
«Eine gute Integration und Sprachförderung basiert auf einer pädagogischen Sprachvermittlung», sagt Raquel Dirr. «Sie geschieht spielerisch und ist den Bedürfnissen von Kindern angepasst.» Dirr verfügt über die entsprechende Ausbildung und die nötige Erfahrung: Sie ist Fachfrau Sprachförderung im Frühbereich und hat in Mellingen vor 16 Jahren vier Spielgruppen mit 40 Plätzen übernommen. Heute besteht die Spielgruppe beim Alterszentrum «Im Grüt» und in der Kleinen Kreuzzelg aus insgesamt 13 Gruppen mit 140 Plätzen und Schwerpunkten wie Musik, Bewegung oder Sprachförderung.
Raquel Dirrs Spielgruppe Zick-Zack wurde in Mellingen ausgewählt für das Pilotprojekt «Deutschförderung». Früh zeigten sich erste Erfolge: Innert kurzer Zeit konnte der Zugang zu den Kindern gefunden werden, die Ablösung von daheim verlief für die meisten unkompliziert. Dirr schreibt das auch der Tatsache zu, dass im Rahmen des Projekts zusätzliche Stellenprozente bewilligt wurden: Während Dirr sonst die Kinder in der Spielgruppe alleine betreut, steht ihr beim Pilotprojekt eine Praktikantin zur Seite. Eine Handvoll Kinder schart sich um Raquel Dirr. Die Spielgruppenleiterin nimmt Gioia an die Hand, hilft Alessia beim Znünitäschli verteilen und erzählt Stephan die Geschichte vom Frosch. Mit ruhiger Stimme, aber konsequent fordert sie von den Drei- bis Vierjährigen das Einhalten der Spielgruppenregeln. Sie bleibt geduldig, macht den Kindern Mut, interessiert sich für ihr Spiel und ihre Fragen, tröstet sie und lacht mit ihnen.

Wiederholungen helfen beim Lernen
Jeder Wechsel im Spielgruppenhalbtag wird mit einem Lied, mit einem Ritual eingeleitet: Zur Begrüssung der Kinder, beim Aufräumen der Spielsachen vor dem Znüni, für den gemeinsamen Beginn beim Essen und auch zum Abschied. Ein immergleicher Ablauf. Es sind diese Regelmässigkeiten, die Wiederholungen, welche die Kinder bestätigen und in ihrem Lernprozess fördern. Dirr freut sich, dass heute beim Znüni erstmals alle aufeinander gewartet und gleichzeitig angefangen haben zu essen. Sie wertet diese kleinen Fortschritte als «grosse Erfolge». Bis zu den Herbstferien sollen die Kinder alle Rituale kennen. Denn nach den Herbstferien geht es weiter mit Wörtern und deren Bedeutungen.
«Wir beginnen jeweils mit den Farben», sagt Dirr. Erst wenn der Regenbogen in seiner ganzen, bunten Pracht erstrahlt – von sonnengelb bis himmelblau – dann kommt das «Ich» an die Reihe. Der Körper und die Familie. Die Sprachwelt weitet sich, wird ergänzt um neue Begriffe, hinzu kommen der Alltag im Haus, das Leben im Garten und im Wald. «Im Spiel und mit Spass werden die Kinder gefördert, ohne sich dessen bewusst zu sein», erklärt Dirr. Sie erlangen kommunikative Kompetenz, holen sich Sprachverständnis und erweitern ihren Wortschatz. Die Methoden und Sprachförderungssequenzen sind vielfältig. Es wird gemalt, geknetet und es werden Geschichten erzählt. Es wird gesungen und musiziert. Die Mädchen und Buben singen an diesem Morgen «... alle Kinder klatschen, hüpfen, stampfen, streicheln...». Singen sie vom Hüpfen, dann hüpfen auch alle im Kreis. So macht der Begriff Sinn, wird mit Bedeutung gefüllt.
«Frühe Sprachförderung trägt zur Bildungsgerechtigkeit bei», sagt schliesslich Spielgruppenleiterin Dirr. «Sie ermöglicht allen einen guten Start im Kindergarten.» Das ist letztlich Chancengleichheit für deutsch- und anderssprachige Kinder, weil Schulstoff und Lehrplan eingehalten werden können.

Heidi Hess


Aargauer Pilotprojekt

Anfangs Juni 2020 hatte der Regierungsrat die Durchführung von Pilotprojekten zur «Deutschförderung vor dem Kindergarten» beschlossen: In ausgewählten Gemeinden sollen ab 2021 bis 2024 Erkenntnisse gesammelt werden, die eine Entscheidungsgrundlage zur Einführung einer kantonalen Gesetzesgrundlage bilden.
In den Pilotprojekten sollen vielfältige Erkenntnisse gewonnen werden, welche eine Grundlage für einen politischen Entscheid über die Einführung einer obligatorischen Deutschförderung vor dem Kindergarten bilden. Über ein spezifisches Selektionsverfahren werden diejenigen Kinder identifiziert, bei denen ein Deutschförderbedarf besteht. Ein Jahr vor dem Kindergarteneintritt findet die Förderung während zwei Halbtagen pro Woche an Kindertagesstätten, in Spielgruppen oder auch in Tagesfamilien statt. Beim Pilotprojekt erfolgt die Deutschförderung auf freiwilliger Basis. Und der Kanton übernimmt einen substanziellen Teil der Kosten. (red.)

Ganzer Artikel ist nur für Abonnenten verfügbar.
Kategorie: 

Stellenangebote

Immobilienangebote

Kommende Events

Weitere Angebote

Trending

1

Stetten - Weg hinter der «Krone»

Ein grosser Teil der Zentrumsüberbauung ist bereits realisiert. Der neue Fussweg hinter dem Restaurant Krone parallel zur Oberdorfstrasse ist öffentlich zugänglich und beleuchtet. Der Gemeinderat bittet die Bevölkerung, den neuen und sicheren Weg zu benützen. (gk)