«So viel Licht wie nötig, so wenig wie möglich»

Fr, 19. Nov. 2021

Umwelt: «Lichtverschmutzung» rückt langsam ins Bewusstsein – auch der Gemeinderat Stetten weist in Bezug auf die Vorweihnachtszeit darauf hin

Zu viel Licht am falschen Ort und zur falschen Zeit, so könnte man Lichtverschmutzung definieren. Der Gemeinderat Stetten will die Bürger für das Thema sensibilisieren und geht mit LED-Strassenbeleuchtung voran. Denn nachtaktive Tiere wie Fledermäuse und Insekten, aber auch Amphibien und Vögel leiden unter zu heller nächtlicher Beleuchtung.

Im Stetter Mitteilungsblatt bat der Gemeinderat die Bevölkerung jüngst um Mithilfe bei der Verringerung von «Lichtverschmutzung». Hintergrund: Der Mensch macht die Nacht buchstäblich immer mehr zum Tag. Jahr für Jahr werde der Nachthimmel über Europa zehn Prozent heller, meldet das Bundesamt für Umwelt. Allein zwischen 1994 und 2009 hätten die nach oben gerichteten Lichtemissionen in der Schweiz um rund 70 Prozent zugenommen – Tendenz weiter steigend.
Unter Lichtverschmutzung versteht man allerdings nicht nur Beleuchtung, die über den Horizont nach oben strahlt: «Alles Licht, was man nicht braucht, ist direkte Emission», stellt Roland Bodenmann, Lichtplaner und Vorstand des Verbands Dark-Sky Switzerland klar. Dazu kann ineffiziente Strassenbeleuchtung genauso zählen, wie Fassadenbeleuchtung, eine zu helle Leuchtreklame sowie übertriebene Beleuchtung im Innenraum, die nach aussen strahlt. «Licht ist meist positiv konnotiert», weiss Bodenmann, daher sei das Verständnis, dass es damit ein Problem geben könne noch nicht überall angekommen. «Der Mensch ist ein anpassungsfähiges Tier. Doch viele Tiere sind nicht so anpassungsfähig», erklärt der Lichtexperte, der in Lupfig selbst als Vizeammann im Gemeinderat sitzt.

Navos Stetten gab den Anstoss
So war es auch der Natur- und Vogelschutzverein, der den Gemeinderat in Stetten zuerst auf das Thema aufmerksam machte: «Wir haben die Gemeinde vor einigen Jahren auf die Problematik hingewiesen», erklärt Alois Vogler, Präsident des Navos Stetten. Das Problem sind aus Voglers Sicht weniger private Weihnachtsbeleuchtungen, sondern vor allem Reklametafeln und Strassenlaternen, die er am liebsten zwischen ein und fünf Uhr morgens ganz abstellen würde: «Es geht vor allem um Vögel, Fledermäuse und nachtaktive Insekten», sagt der Naturschützer: «Wir hätten es gern lichtlos». Andere Gemeinden seien bereit, das Licht abzulöschen. So schaltet Künten beispielsweise die Strassenbeleuchtung in der Nacht und in den frühen Morgenstunden zwischen ein und sechs Uhr komplett ab.

Gedimmte LED-Leuchten als Lösung
Das kam für den Gemeinderat Stetten allerdings nicht in Frage: «Die Leute wollen es wegen der Sicherheit nicht», erklärt Gemeinderat Anton Birrer auf Nachfrage. Dennoch habe man sich nach dem Hinweis des Navos bereits vor fünf Jahren entschieden, die Strassenbeleuchtung zu erneuern. Zuletzt waren die Leuchten im Zuge der Strassensanierung im Gebiet Dörndler ausgetauscht worden: «Wir haben alle Lampen im Ort ersetzt, jetzt ist alles LED», erklärt Birrer. Die Leuchten würden ausserdem nachts zwischen 0 und 5 Uhr automatisch auf 30 Prozent heruntergedimmt. Auf die von Umweltschützern ebenfalls vorgeschlagenen Bewegungsmelder habe man aber bewusst verzichtet, da die AEW aufgrund von Störungsanfälligkeit davon abgeraten habe.

Ortstermin mit dem Experten
Gemeindehaus Stetten, halb sechs Uhr abends. Es ist bereits dunkel, als Roland Bodenmann eintrifft. Perfekt, um über die richtige Strassenbeleuchtung zu sprechen. Prompt erspäht der Experte unterhalb der Treppe in der Oberdorferstrasse eine der allerletzten verbliebenen sogenannten Gasdampflampen, die erst im Zuge der Sanierung der Kantonsstrasse ausgetauscht werden sollen. Die typische, gelb leuchtenden Natriumdampfbeleuchtung ist zwar hell, strahlt aber das Licht in alle Richtungen, auch nach oben, wo es keinerlei Nutzen bringt. Ein typischer Fall von Lichtverschmutzung, findet Bodenmann. LED-Leuchten liessen sich viel besser lenken: «Wenn ich eine gute Leuchte habe, die Licht nur dahin lenkt, wo es hin soll, ist das ökonomisch und ökologisch klug», lobt er einige Schritte weiter vor einer der neuen Strassenlaternen. Dennoch hat das energieeffizientere LED-Licht auch seine Schattenseiten, um im Bild zu bleiben. Denn es verfügt über einen hohen Blaulichtanteil, der wiederum die Tierwelt negativ beeinflusst: «Blaulicht wird von nachtaktiven Tieren am stärksten wahrgenommen», erklärt Bodenmann und veranschaulicht, wie sich helle Strassenbeleuchtung auf nachtaktive Insekten auswirkt. Die hellste natürliche Lichtquelle, die diese gewohnt seien, sei der Mond. Dieser sei nur 1/4 Lux (Einheit für die Beleuchtungsstärke) hell. An einem schönen Sommertag um 12 Uhr betrage die Lichtstärke dagegen 100 000 Lux: «Das ist ein Unterschied von 1:400 000. Das ist, wie wenn Sie nachts im Dunkeln unterwegs sind und dann in die Scheinwerfer eines Audi A8 blicken. Da sind sie blind!», erläutert der Experte.
Besonders problematisch sei die Beleuchtung in der Dämmerung: «Die Dämmerungszeit ist die Rushhour für nachtaktive Tiere.» Auch Fledermäuse seien dann bevorzugt unterwegs, jedoch nicht, wenn ihr Einflugsloch oder ihre Wochenstube bis 22 Uhr oder länger beleuchtet werde. Denn drei Viertel aller Fledermausarten meiden jedes Licht: «Das bedeutet kürzere Jagdzeiten und geringeren Jagderfolg». Gestresst fühlten sich auch Amphibien, wenn ihr Laichgebiet nicht mehr richtig dunkel werde. Und für Vögel, die nachts ziehen würden, könne jede Störung und Ablenkung dramatische Folgen haben, wenn sie den Weg nicht mehr fänden und erschöpft seien. Das Fazit des Dark-Sky-Vorstands fällt eindeutig aus: «Ich würde abschalten, wo immer man kann.»

Weihnachtsbeleuchtung ist Grenzfall
In seiner Mitteilung betont der Stetter Gemeinderat, dass man für das Thema Lichtverschmutzung sensibilisieren, der Bevölkerung aber keinesfalls die Weihnachtsbeleuchtung verbieten wolle. Auch Roland Bodenmann gibt zu: «Ich bin ein Liebhaber von zurückhaltender, angenehmer Weihnachtsbeleuchtung mit Kerzenlicht.» Das habe jedoch nichts mit dem farbigen, blinkenden «visuellen Sondermüll» zu tun, der teilweise verkauft werde. Das Bundesgericht sehe das in Urteilen ähnlich und definiere Weihnachtsbeleuchtung zwar als kulturelle Tradition, jedoch nur solange sie nicht überbordend ausfalle und ausschliesslich zwischen dem ersten Advent und Dreikönig installiert werde: «Wenn die Retailbranche Ende Oktober Beleuchtung aufhängt, ist das keine Weihnachtsbeleuchtung, sondern Werbebeleuchtung», so Bodenmann. Das Bundesgericht lege zur Begrenzung von Lichtemission zudem ein Nachtruhefenster zwischen 22 Uhr und 6 Uhr fest, in der «Zierbeleuchtung» abgeschaltet werden soll. Bei Weihnachtsbeleuchtung gilt eine Ausnahme: Abschaltung zwischen eins und 6 Uhr.

Visuelle Nachtruhe festschreiben
Das Bundesgericht orientiert sich bei seinen Urteilen an der 2013 eingeführten Baunorm SIA 491, die Bauherren Hilfestellung bieten soll, wie sie Lichtemissionen im Aussenraum vermeiden können. Im Wesentlichen geht es um Reduzierung der Beleuchtung auf das Notwendige sowie die optimale Lichtlenkung und -Ausrichtung (immer von oben nach unten) sowie die Lichtsteuerung, die ebenfalls eine visuelle Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr vorsieht. Rechtlich bindend sei die Norm allerdings nicht, erklärt Roland Bodenmann: «Beim Licht hat man aber die Möglichkeit etwas rechtskräftig zu verlangen». Er empfiehlt die visuelle Nachtruhe sowie die Einhaltung der SIA-Norm in jedem Baugesuch von vorneherein festzuschreiben. Werde das Gesuch bewilligt, handele es sich um einen Rechtstitel. Der Stetter Gemeinderat hat laut Anton Birrer darüber bisher noch nicht diskutiert, kann es sich aber vorstellen. Den Spass an Weihnachten will der Gemeinderat dennoch niemandem verderben. An der Gmeind am Mittwoch hat er den Vorschlag gemacht, im Ort eine öffentliche Weihnachtsbeleuchtung aufzuhängen. Mehrere Varianten werden getestet. Eine Chance, punkto Lichtemission alles richtig zu machen.

Michael Lux

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