Taskforce-Auflösung: «Kein Gehör gefunden»

Di, 20. Sep. 2022

Gregory Juillerat widerspricht der Medienmitteilung der Gemeinde zur Auflösung der Ukraine-Taskforce

Das ehemalige Taskforce-Mitglied zeigt sich mehr als verwundert über die Medienmitteilung des Gemeinderats. Juillerat betont, er sei wegen der «nach wie vor katastrophalen Zustände» aus dem Gremium ausgetreten und wirft der Gemeinde eine scheinheilige Argumentation vor.

Die Verwaltung sowie die Ressortverantwortliche Soziales sind vorbereitet, diese Arbeiten ohne die Taskforce zu bewältigen. Aus diesem Grund wird die Taskforce per sofort aufgelöst», schreibt der Gemeinderat in seiner Mitteilung vom 2. September. «Die Medienmitteilung suggeriert, dass der Grund für die Auflösung der Taskforce in der Lösung der anfänglichen Probleme besteht. Unterschlagen wird dabei die belegbare Tatsache, dass ich die Taskforce genau aus gegenteiligem Grund, nämlich der anhaltenden und unannehmbaren Zustände wegen verlassen habe», stellt Juillerat klar. Ganz offensichtlich bestehe weiterhin kein Wille, die Themen angemessen und nachhaltig anzugehen: «Die Einwohner von Mellingen diesbezüglich aktiv zu täuschen, ist nicht in Ordnung», sagt Gregory Juillerat. Frau Gemeindeammann Györgyi Schaeffer bestätigt auf Anfrage den Austritt Juillerats und ergänzt: «Die Taskforce ohne Herrn Juillerat würde nur noch aus zwei Mitgliedern, nämlich Ressortvorsteherin und Verwaltungsangestellten, bestehen. Sie arbeiten im Bereich Soziales sowieso zusammen und beurteilten die Situation so, dass es die Taskforce formell nicht mehr braucht und somit aufgelöst werden kann.» Die mediale Mitteilung über seinen Austritt habe man Juillerat selbst überlassen wollen. Dieser sieht die Ziele der Taskforce nicht erfüllt und legt nach: «Die expliziten Ziele der Taskforce wurden nie definiert. In meinem Verständnis hätten sie jedoch darin bestehen müssen, Prozesse und Verantwortlichkeiten gemäss den gesetzlichen Verpflichtungen gegenüber den Geflüchteten zu definieren. Auf diesem Grundgerüst aufbauend wäre es möglich gewesen, eine möglichst rasche Integration zu ermöglichen und so den Steuerzahler nicht unnötig lange zu belasten. Von diesem Szenario sind wir aber weiterhin weit entfernt», so Juillerat, der selbst beim Kanton Zürich arbeitet.

Berechnungsfehler bei Unterstützung
Dazu gehörten insbesondere die korrekte Berechnung der Asylsozial-Beträge und die individuelle Betreuung und Unterstützung zur raschen Arbeitsmarktintegration. «Bei Ersterem kam und kommt es auch weiterhin zu teils gravierenden Fehlern, welche für die Geflüchteten jedoch kaum zu durchschauen sind», so Juillerat. Manche Flüchtlinge hätten ausserdem teils monatelang auf ihre Sozialhilfe warten müssen. «Für die Berechnung der Unterstützung war und ist die ORS (so heisst die von der Gemeinde beauftragte Firma. Anm. d. Redaktion) verantwortlich. Leider gab es anfänglich Berechnungs- und andere Fehler, die uns sehr leidtun», schreibt Schaeffer in einer schriftlichen Stellungnahme. Zur Entlastung der zuständigen Personen der ORS müsse sie jedoch erwähnen, dass die Situation mit den Flüchtlingen aus der Ukraine die ganze Schweiz überrascht habe: «Bund, Kantone und Gemeinden haben ihre Zeit gebraucht, um die entsprechenden rechtlichen Grundlagen zu erarbeiten und um Weisung an die untergestellten Behörden zu erteilen. Die Mitarbeiter der ORS haben wiederum ihre Einarbeitungszeit gebraucht und waren stets bestrebt, die gemeldeten Fehler zu korrigieren», so Schaeffer. Ein Argument, das Juillerat so nicht gelten lassen will: «Diese Erklärung irritiert insoweit, als dass die Asylsozialhilfe-Ansätze für Personen mit Status S analog Status F berechnet werden und somit weder für die Gemeinde, noch für die Firma ORS ein Novum darstellen. Zudem sind dafür im Normalfall gerade einmal drei Zahlen zu addieren.»

Instandstellung für 45 000 Franken
Kritik übt Gregory Juillerat, der die Hilfsbereitschaft der Mellinger Bevölkerung und den herzlichen Umgang mit den Flüchtlingen ausdrücklich lobt, auch an der rechtlich umstrittenen Reaktivierung der Flüchtlingsunterkunft im Gheid («Reussbote» 19. August): «Anders als dargestellt, wurde die Reaktivierung nicht von der Taskforce beschlossen.» Aus seiner Sicht sei dies eine kurzsichtige und kostspielige Entscheidung und er habe wiederholt darauf aufmerksam gemacht, so Juillerat. Vor allem, da in Mellingen durchaus bezahlbarer Wohnraum vorhanden sei – darunter sogar ein leerstehendes Haus mit acht Zimmern für unter 3000 Franken. Als Alternative habe er aufgrund seiner Kenntnisse zu modularen Wohneinheiten zudem vorgeschlagen, zu prüfen, ob eine Containersiedlung auf Gemeindegrund realisierbar sei: «Die Moduleinheiten könnten nach dem Krieg abgebaut und in die Ukraine gebracht werden, sodass die Personen rasch, möglichst im eigenen Land, wieder auf den Füssen stehen können und das Sozialsystem nicht weiter belasten.» Er sei aber nie nach Details und Umsetzungsmöglichkeiten gefragt worden. Die Unterkunft im Gheid sei «als Notnagel brauchbar, aber nicht für länger». Zudem sei diese trotz professioneller Reinigung für 6000 Franken vor dem Bezug nicht in annehmbarem Zustand gewesen. Erst nach dem Einsatz der freiwilligen Helferinnen Caterina Kohler und Simone Muschong, die eine Woche vor Ort «gekrampft» hätten, sei diese annehmbar. «Die Instandstellung beläuft sich auf ca. 45 000 Franken, die monatlichen Mietaufwendungen belaufen sich auf 4000 Franken», erklärt Frau Gemeindeammann Schaeffer zur Unterkunft im Gheid auf Nachfrage: «Der Gemeinderat hat die Container-Lösung als nicht praktikabel empfunden», führt sie weiter aus und verweist auf die Vorteile der Unterbringung im Gheid: «Erstens ist der zeitliche Aufwand für die Betreuung viel weniger gross, als wenn die dort lebenden 20 Personen an mehreren, verschiedenen Adressen leben würden. Auch sehen wir einen Vorteil, indem sie sich gegenseitig unterstützen können. Sie stammen aus dem gleichen Land, haben die gleiche Kultur, die gleiche Sprache, das gleiche Essen, haben den gleichen Schicksalsschlag erlebt und sind bei uns, für sie in einem fremden Land, zusammen und nicht alleine und voneinander isoliert», so Schaeffer. Nach ihrem Wissen fühlten sich die im Gheid untergebrachten Personen den Umständen entsprechend wohl. Juillerat, der fast alle sich in Mellingen und Umgebung befindlichen Ukrainerinnen und Ukrainer persönlich kennt, sagt dazu: «Die Realität scheint jedoch anders, haben die dort untergebrachten doch bereits jetzt einen gemeinsam verfassten Brief an die Gemeinde geschrieben». Die Gemeinde habe natürlich das Recht zu entscheiden, wo sie die Leute unterbringen wolle: «Es ist dabei gerade in der jetzigen Situation, in welcher auch der normale Schweizer Bürger die Auswirkungen des Krieges finanziell zu spüren beginnt, sicherlich nicht angebracht, die Leute zu vergolden. Das Wohl der Leute als Argument für die Unterbringung im Gheid vorzuschieben, ist jedoch mehr als scheinheilig», so Juillerat.
Während er längst nicht alle Probleme – auch in Bezug auf die Betreuung und Beratung der ukrainischen Flüchtlinge – gelöst sieht und dies nach eigenen Aussagen aufgrund zahlloser Dokumente, die er von Geflüchteten erhalten hat, belegen kann, findet der Gemeinderat, die Situation habe sich entspannt: «Unterkünfte, für zukünftige Flüchtlinge, sowie eine allfällige Umplatzierung aus den gemieteten Wohnungen, sind aufgegleist und bereit. Somit kann im Rahmen unseres Auftrages mit allen Flüchtlingen eine seriöse Weiterarbeit gesichert werden», schreibt Schaeffer. Unterschiedlicher könnten die Auffassungen nicht sein.

Michael Lux

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