Ein Paradies für Möwen sorgt für Ärger im Dorf
26.06.2020 Mägenwil, Region ReusstalDie Mägenwiler verlieren die Geduld: Zu viele Möwen sind im Dorf. Auf dem Denner-Dach haben sie in den letzten Wochen gebrütet. Sie bringen Dreck und machen Krach.
Mägenwil liegt nicht am Meer. Strand und Meer scheinen in den vergangenen Wochen dennoch ganz nah, ...
Die Mägenwiler verlieren die Geduld: Zu viele Möwen sind im Dorf. Auf dem Denner-Dach haben sie in den letzten Wochen gebrütet. Sie bringen Dreck und machen Krach.
Mägenwil liegt nicht am Meer. Strand und Meer scheinen in den vergangenen Wochen dennoch ganz nah, zumindest für diejenigen, die zum Himmel blicken: In grosser Zahl kreisen und kreischen Möwen über Felder und Dächer. Ein schönes Bild, könnte man meinen, zumal mitten im Corona-Lockdown, wo bis vor Kurzem noch alle Grenzen geschlossen waren, Meer und Strand hunderte von Kilometern weit weg, wochenlang unerreichbar. Warum nicht die Augen schliessen, sich im Liegestuhl rekeln, in den Pool hüpfen, wer denn einen besitzen sollte – und träumen von Strand und von Meer.
Weit gefehlt! In Mägenwil will man nicht träumen, die Möwen sind nicht willkommen. Wer wollte es den Mägenwilern auch verdenken, umgeben von Feldern, Wiesen und Wald, kein See und auch die Reuss ist einige Kilometer entfernt? Was hat ein Küstenvogel hier zu suchen? Quartierbewohner sprechen von einer «Möwenplage» und fordern den Gemeinderat auf, zu handeln. Sie hätten sich lange in Geduld geübt, aber es werde immer schlimmer: Autos, Pool, Gartenmöbel und Grill seien mit Kot von den Vögeln verschmutzt. Die Möwen schreien in der Nacht. Das alles stört.
Eine «hitchcockmässige» Szenerie
Gemeindeschreiber Matthias Däster hat sich selbst ein Bild gemacht. Er ist aufs Flachdach der Denner AG gestiegen. «Hitchcockmässig», beschreibt er, was er dort gesehen hat. Eine grosse Kolonie brütender Vögel, Alte neben Jungen. Um dann doch zu relativieren, dass es sich um Tiere handle, dass sich die Natur ihren Platz suche – und das sei auch zu begrüssen. Das Flachdach ist bewachsen. Auf dem angrenzenden, ebenfalls riesigen Denner-Dach ist der Boden hingegen nackt: Dort sei den Vögeln zu heiss, sagt er. Bauliche Massnahmen auf dem Dach wären nur bedingt eine Lösung: Die Möwen würden wohl auf benachbarte Flachdächer ausweichen. Das Möwenproblem werde der Gemeinderat diskutieren, sagt der Gemeindeschreiber. Mit allen Betroffenen, auch mit den Vogelschützern.
Unerreichbar für Fuchs und Marder
Rund 370 Vögel – mit Jungvögeln – seien diesen Frühling in Mägenwil gezählt worden, erfährt man bei der Vogelwarte in Sempach. Die Mittelmeermöwe sei ein Kultur- oder Zivilisationsfolger und brüte seit den 1990er-Jahren in der Schweiz. Im Mägenwiler Kulturland finden sie reichlich Nahrung. Längst nicht nur Fische stehen auf ihrem Menüplan, sie verspeisen auch Regenwürmer, Schnecken oder Insekten. Ausserdem finden die Bodenbrüter im Frühling einen tollen Brutplatz: Kies und Gras – als wärs eine Insel – auf einem grossen Flachdach. Kein natürlicher Feind findet den Weg dort hinauf, weder Fuchs noch Marder rauben die Vogeleier.
«Die Mittelmeermöwe passt sich an», sagt auch Erwin Osterwalder, Fachbereichsleiter Jagd und Fischerei beim Kanton. Sie sei heimisch geworden und sei geschützt. Um das Brüten auf dem Dach zu verhindern, seien allenfalls temporäre, technische Massnahmen, etwa Netze denkbar.
Bei Denner heisst es: «Das Problem ist bekannt.» Letztes Jahr hätten noch viel weniger Vögel gebrütet, dieses Jahr seien sogar Jungvögel vom Dach gefallen. Das Unternehmen sei auch mit Vogelschützern in Kontakt.
Denner plant eine Solaranlage
Bei Denner heisst es: «Das Problem ist bekannt, wir nehmen es ernst.» Schon vor einem Jahr hätten die Möwen auf dem Dach gebrütet. Die Kolonie sei aber um einiges kleiner gewesen. «Letztes Jahr war das Dach als Brutplatz noch knapp vertretbar», sagt Thomas Kaderli, Mediensprecher bei Denner. Offenbar seien die Voraussetzungen für die Möwen so ideal, dass die Brutkolonie sich dieses Jahr stark vergrössert habe. Diesen Frühling seien sogar Jungvögel vom Dach gefallen. Daraufhin habe man den Vogelschutz kontaktiert. «Die Vorgaben des Vogelschutzes», betont Kaderli, «wollen wir einhalten.»
Noch sei unklar, mit welchen Massnahmen die Möwen reduziert werden können. Von der «Möwenplage» betroffen sei auch das Verteilzentrum selbst, sagt Kaderli. Einerseits werden die Autos der Mitarbeitenden auf dem angrenzenden Parkplatz verschmutzt. Andererseits ist auf der ausladenden Fläche von rund 5000 Quadratmetern eine Solaranlage geplant: Brutzeit aber ist Schonzeit, dann kann nicht gebaut werden. Erst danach können Solarpaneels installiert werden. Kaderli geht davon aus, dass dies auf Ende Jahr der Fall sein dürfte. Wie sich die Möwen mit der geplanten Solaranlage arrangieren, wird sich weisen. Gerne hätte man den Brutplatz im Bild gezeigt. Von einem Ausflug auf das Dach rät Kaderli aber ab: «Die Vögel würden angreifen.» – Hitchcockmässig.
Heidi Hess


