Als Hanfbauern noch Gefängnisstrafen ernteten
16.10.2020 Region ReusstalEnde der 1990er-Jahre war der Aargau eine Hanf-Hochburg – bis die Polizei begann, immer härter gegen Hanfbauern vorzugehen
Seit 2016 ist CBD-Hanf in der Schweiz erlaubt. Der Anbau boomt und Hanf-Produkte gibt es überall zu kaufen. Überzeugte Hanfbauern haben vor ...
Ende der 1990er-Jahre war der Aargau eine Hanf-Hochburg – bis die Polizei begann, immer härter gegen Hanfbauern vorzugehen
Seit 2016 ist CBD-Hanf in der Schweiz erlaubt. Der Anbau boomt und Hanf-Produkte gibt es überall zu kaufen. Überzeugte Hanfbauern haben vor über 20 Jahren geholfen, dafür den Weg zu ebnen. Dabei waren sie weder Kiffer noch Rebellen, sondern lediglich Landwirte, die froh waren über ein Produkt, für das es Nachfrage gibt.
Ich gönne es allen Bauern, die heute allerorten Hanf anbauen dürfen», sagt Fritz Meyer. Er sagt es beinahe emotionslos, fast ein wenig genervt, ohne Bedauern – und das kommt unerwartet. Denn Meyer war einst der Anführer der Aargauer Hanfbauern. Jedenfalls wurde er so von Zeitungen betitelt. Ein «Oberhaupt», ein «Häuptling». Offensichtlich einer, der so oft für den Anbau von Cannabis angeklagt wurde, dass er heute, Jahre später, nicht mehr genau weiss, wie oft er antraben musste beim Bezirksgericht Baden. Oder bei einem der anderen Bezirksgerichte im Aargau.
Zudem: Wenn sich damals ein Hanfbauer vor Schranken verantworten musste, begleiteten ihn meist eine stattliche Anzahl Kollegen. Meyer machte sogar mit Inseraten auf Gerichtsverhandlungen aufmerksam. Auch Hanf-Aktivisten waren öfter vor Ort und nutzten die Verhandlungen, um Öffentlichkeit zu generieren.
Heute will Meyer davon nichts mehr wissen. Er schlurft mit einer Stange Bier in der Hand über den Hinterhof, nimmt einen Schluck, stellt das Glas auf dem Milchkasten ab. Seine Wohnung ist im Erdgeschoss.
Die Farbe ist verblasst
Es mag Zufall sein, aber an die Seitenwand des Anbaus vis-à-vis des Reinacher Bahnhofs hat jemand ein Hanfblatt gesprüht. Die gezackte Form ist, obschon krakelig und verblasst, unverkennbar. In seiner Wohnung erinnert nur noch eine gerahmte Luftaufnahme seines Gehöfts an den Kampf für den Hanf, den er früher so leidenschaftlich führte. Im Radio ertönt Volksmusik und auf dem Tisch steht ein Bildschirmlesegerät für Sehbehinderte. «Mit diesen alten Geschichten habe ich abgeschlossen», sagt der 78-Jährige, ohne Groll. Was erneut verwundert. Denn der Bauer wurde, eigenen Angaben aus dem Februar 2003 zufolge, von den Behörden in den Ruin getrieben. Einer von vielen. Im Oktober 2000 legte die Polizei seinen Betrieb in Büblikon still. Die Beamten räumten und reinigten die Werkstatt und das Lager. Aufgefundenen Industriehanf vernichteten sie.
Bünzli-Bürger und Steuerzahler
Und Meyer trug massive gesundheitliche Schäden davon. Eigentlich habe es sich bei ihm um einen «rechtschaffenen ‹Bünzli›-Bürger und Steuerzahler» gehandelt. Die Beamten hätten dem Hanfbauer jedoch das Gefühl vermittelt, ein Schwerverbrecher zu sein. Dieser Stress habe den Ärzten zufolge zu einer Netzhautablösung geführt. Er musste operiert werden, sechsmal in drei Monaten. Heute gilt er als hochgradig sehbehindert. «Ich kann fast nichts mehr sehen», sagt Meyer.
Doch zurück zum Anfang. Im Grunde kann man von einer Renaissance des Hanf-Anbaus im Aargau ab der Mitte der 1990er-Jahre reden. Zu dieser Zeit wurde auch der Bauer aus Büblikon auf die neue Verdienstmöglichkeit aufmerksam. «Ich habe ein Inserat in der Bauernzeitung gelesen», erzählt Meyer. «Am Anfang war ich noch der Meinung, ich könnte den Hanf in die USA exportieren. Daraus wurde leider nichts. Also schaute ich mich nach anderen Absatzmöglichkeiten um.»
Im Jahre 1997 gründete er dazu die Vereinigung Aargauischer Hanfproduzenten. Ziel des Vereins war es, Werbung für die vielseitige Pflanze und deren Produkte zu machen, und sich gegenseitig zu unterstützen. Zeitweise hatte der Verein über 60 Mitglieder, die meisten davon Bauern. Sie gaben ihr Wissen unter anderem an Feldbegehungen weiter, fachsimpelten über Pflanzabstände und Aussaattermine. Aber auch Schulklassen besuchten die Höfe, um sich über den Hanfanbau zu informieren, wie aus einem Protokoll der Generalversammlung 2004 hervorgeht. Meyer hielt Vorträge über die vielseitige Nutzung des Hanfs, sei es als Rohstoff, in Lebensmitteln oder in kosmetischen Artikeln. Im Fernsehen trat er in der «Arena» auf.
Bauern gründeten Verband
Was die Produkte anbetraf, waren die Bauern erfinderisch. Sie verkauften diese selbst auf ihren Höfen oder über Hanf-Shops. Wenn er konnte, vermittelte Meyer. Auch die berühmten «Duftsäckli» gehörten zum Angebot, welche, so sagen böse Zungen, hauptsächlich von Kiffern gekauft wurden. Bei den Aargauer Hanfproduzenten sprach man indes von «Gebinden» und ärgerte sich über Konkurrenten, die mit qualitativ hochwertigerem Gras ohne Samen höhere Margen erzielten. Nichtsdestotrotz konnte man sich mit Hanf ein schönes Zubrot verdienen und kam auf höhere Gewinne als mit Weizen, Gerste oder Mais.
«Aktion Goldblüte»
Den Höhepunkt erreichte diese Entwicklung vor der Jahrtausendwende. Danach nahm die Repression zu, bis den meisten Bauern, die ja keine Rebellen waren, sondern Familienväter, der Anbau zu heiss wurde. «Aktion Goldblüte» nannte die Polizei eine Reihe von Razzien, Hausdurchsuchungen und Verhören, die im Oktober 2000 über die Bühne ging. Zuvor hatten Beamte über Wochen Höfe observiert und dabei auch Helikopter benutzt. 20 Aargauer Hanfbauern wurde mit einer vorläufigen Verfügung das Geschäft gestoppt.
Subventionen vom Bund
Haben die Bauern denn wissentlich an Kiffer verkauft? Auf diese Frage will Meyer nicht so recht eingehen, stellt aber klar: «Wir haben mit Samen angebaut, die offiziell genehmigt waren, Sorten wie Fedora oder Kompolti. Dafür gab es sogar Subventionen vom Bund. Dieser Hanf sollte einen THC-Gehalt von 0,3 Prozent haben. Je nach Wetter kam es aber zu höheren Ergebnissen.» Das sei wie beim Rebbau, erklärt der Hanfbauer. «Der Oechsle-Wert ist ja auch nie derselbe.» In einem guten Jahr konnte der THC-Gehalt so 5 Prozent erreichen – immer noch ein Wert, der Kiffern zu schwachbrüstig ist.
Wagenladung Hanf verbrannt
Die Polizei jedoch habe immer willkürlicher reagiert. Wenn einzelne Dorfpolizisten vom Ehrgeiz gepackt wurden und die Untersuchung des THC-Werts ihnen Recht gab, vernichteten sie ganze Ernten. Im November 1999 habe in Niederrohrdorf eine ganze Wagenladung, rund 25 Kubikmeter, gebrannt, und im Juli 2000 rund 400 Kilogramm Hanf, auf offenem Feld, im Beisein von Beamten. «Davon existieren keine Rapporte», beklagt Meyer. «Man wollte uns fertigmachen.»
Paradoxerweise wurde der Bauer aus Büblikon damals für den Anbau von Pflanzen verfolgt, die nach dem heute geltenden Recht erlaubt gewesen wären: Als CBD-Hanf gilt, wenn der THC-Gehalt unter einem Prozent liegt. So bescheinigt eine Untersuchung des Berner Instituts für Rechtsmedizin aus dem Jahr 2000 seinen Blüten, welche er in Vliestäschli verkaufsbereit lagerte, einen THC-Gehalt von lediglich 0,5 Prozent.
Meyer war einer der letzten, der ob dieser Einschüchterung einknickte und den Hanfanbau aufgab. «Unbelehrbarer Hanfbauer» wurde er mittlerweile in der Presse genannt. Sogar eine Gefängnisstrafe gegen ihn stand im Raum. «Aber ich bereue nichts», sagt er. «Es wäre nur schön gewesen, wenn die Polizei fair gespielt hätte.» Denn eine turbulente Zeit war es allemal, und Meyer gibt auch offen zu: «Das Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei konnte durchaus Spass machen, auch der Polizei.»
Heute seien beide Seiten schlauer. Wer weiss, wären seine Augen nicht so schlecht geworden, vielleicht hätte Meyer weiter Hanf angebaut. Auf der anderen Seite: Aus Idealismus hat er ja nie gehandelt. Ist Hanf denn wenigstens seine Lieblingspflanze? «Mir ist die Pflanze am liebsten, die das meiste Geld bringt», sagt der ehemalige Bauer abschliessend. «Und Hanf anbauen war allemal besser als Industriegemüse.»
Stefan Böker
Boomendes Geschäft erneut in Gefahr
Im Aargau ist mit der Pure Production AG aus Zeiningen eine der grössten Hanfproduzentinnen der Schweiz beheimatet. Das Unternehmen lässt auf Feldern im Reusstal anbauen, so auf einer Plantage bei Nesselnbach (wir berichteten). Auch die Bauern haben sich, wenn man so will, wieder zusammengeschlossen: Die Landi Freiamt hat in diesem Jahr auf mehreren Feldern Speisehanf geerntet (hanfwohl.ch). Als Berater hat sich die Genossenschaft mit Roger Bottlag einen Experten ins Boot geholt, der schon vor 25 Jahren in Büblikon erfolgreich Cannabis züchtete und heute wieder zahlreiche Produkte aus Hanf herstellt und verkauft (harmonius.ch). Das Geschäft mit CBD-Hanf in der Schweiz boomt: Laut Schätzungen der Eidgenössischen Zollverwaltung wurden im vergangenen Jahr 53 Millionen Franken umgesetzt. Nun wurde bekannt, dass die EU CBD-Hanf als Betäubungsmittel einstufen will. Es ist zumindest denkbar, dass die Schweiz dem Entscheid der EU folgt. Für die junge erfolgreiche Branche könnte das den Todesstoss bedeuten. (sb)