«Gutes Zeichen, dass kontrovers diskutiert wird»
06.11.2020 Mellingen, Region ReusstalInterview: Unpassender Klotz oder schickes modernes Gebäude? Die Neubaupläne am Hexenturm sind derzeit Stadtgespräch in Mellingen
Heiko Dobler sass als Vertreter der kantonalen Denkmalpflege in der Jury des Architekturwettbewerbs für den heiss diskutierten Neubau am ...
Interview: Unpassender Klotz oder schickes modernes Gebäude? Die Neubaupläne am Hexenturm sind derzeit Stadtgespräch in Mellingen
Heiko Dobler sass als Vertreter der kantonalen Denkmalpflege in der Jury des Architekturwettbewerbs für den heiss diskutierten Neubau am Mellinger Hexenturm. Im Interview erklärt der Experte, warum er das Haus nicht nur aus denkmalpflegerischer Sicht für gelungen hält, sondern auch als Privatmann.
◆ Finden Sie, das geplante Gebäude passt in die Altstadt?
Ja. Ich verstehe aber, wenn der geplante Neubau auf den ersten Blick irritiert – es handelt sich dabei letztlich auch nicht um ein historisches Altstadthaus, sondern um einen Neubau. Es war nicht Ziel des Konkurrenzverfahrens ein Projekt zu erhalten, das am besten ein Altstadthaus imitiert oder nachbildet. Vielmehr war ein baukultureller Beitrag gefragt, der sich als Zeuge seiner Zeit nicht verleugnet, gleichwohl aber sehr situativ für die Altstadt geplant ist.
◆ Wo machen Sie das fest?
Bei genauerer Betrachtung nimmt der Neubau meines Erachtens durchaus vielfältigen Bezug zur Altstadt. So thematisiert er beispielsweise die durch den Brand von 1902 entstandene Lücke in der Stadtmauer und bindet den seither etwas verloren stehenden Hexenturm wieder in den Stadtkörper ein. Auch die in der Höhe gestaffelte Traufe auf der Seite der Scheunengasse sucht gezielt den Bezug zur üblichen Gebäudegrösse der Umgebung. Mit einer adäquaten Materialisierung und Detaillierung wird die Einbindung in die Altstadt im weiteren Planungsprozess noch verstärkt werden, was aus denkmalpflegerischer Sicht einem grosses Anliegen entspricht.
◆ Trotzdem finde ich persönlich, das Haus unterscheidet sich schon sehr von den bestehenden Gebäuden ...
Nun, das spätgotische Rathaus an der Grossen Kirchgasse unterscheidet sich beispielsweise auch sehr deutlich von der Stadtscheune oder einem gewöhnlichen Altstadtwohnhaus des 19. Jahrhunderts. Die Altstadt ist ein über Jahrhunderte gewachsenes Ensemble, welches geprägt ist durch die Stileinflüsse verschiedener Epochen. Ein Neubau innerhalb der Altstadt – ohnehin eine Bauaufgabe mit Ausnahmecharakter – sollte daher auch als solcher erkennbar sein.
◆ … und es verdeckt den Turm, wenn es mal steht!
Es ist ein zentrales Anliegen, den Hexenturm in seiner Wirkung nicht zu schmälern. Abhängig vom Standort des Betrachters wird der Turm gleichwohl durch den Neubau teils verdeckt. Durch den Rückbau der bestehenden Garage kann er aber trotzdem vom Fuss bis zur Scheitel seine volle Höhe entfalten. Stadtaussenseitig steht er zudem weniger verloren als bis anhin, und wird städtebaulich stärker in die Altstadt eingebunden.
◆ Warum haben moderne Gebäude eigentlich nie Fensterläden? Das ist doch eine effiziente, nachhaltige, unkomplizierte Lösung, um Fenster zu verdunkeln (und sie verbrauchen keine Energie).
Fensterläden sind wesentliche Elemente geschichtsträchtiger Häuser und häufig integraler Bestandteil einer Fassadengestaltung. Sie prägen durch ihre Proportion und Farbigkeit das Gesamtbild eines Hauses oder gar eines Ortbildes wesentlich mit. Deren Verwendung ist aber auch abhängig von der Fassaden- bzw. Fenstergliederung. Die spätgotischen Staffel- und Kreuzstockfenster am alten Rathaus verlangen beispielsweise nicht nach äusseren Fensterläden. Ähnlich ist das bei der Fassadengestaltung des geplanten Neubaus. Man wird sich hier mit anderen altstadttypischen Beschattungsmethoden zu behelfen wissen.
◆ Sie sassen in der Jury, welche das Projekt aus insgesamt fünf Bewerbungen ausgewählt hat. Auf was mussten die Architekten bei ihren Entwürfen besonders achten?
Die Ansprüche an ein Neubauprojekt innerhalb der Altstadt sind vielfältig. Es gibt ja nicht nur die denkmalpflegerischen Aspekte. So wurde den Teilnehmenden des Studienauftrags ein Programm zur Verfügung gestellt, welches die wichtigsten Kriterien umschrieb. Die städtebauliche Setzung oder auch die Gestaltung des dem Hexenturms vorgelagerten Platzraums, wo heute noch die Garage steht, waren aber bestimmt wichtige Beurteilungskriterien.
◆ Wie sehen diese Kriterien aus?
Zusammengefasst sind dies die städtebauliche und architektonische Qualität, das Nutzungskonzept und Wirtschaftlichkeit sowie das Honorarangebot. Ich darf aber verraten, dass während der Jurierung nicht allzu häufig über Zahlen diskutiert wurde und dem gestalterischen städtebaulichen Aspekt eine grosse Bedeutung beigemessen wurde.
◆ Spielte Ihr eigenes ästhetisches Empfinden bei der Beurteilung eine Rolle?
Ich versuche im Rahmen eines solchen Prozesses so fachbezogen wie möglich zu agieren, und die denkmalpflegerischen Aspekte so verständlich wie möglich zu vertreten. Letztlich handelt es sich dabei aber nicht um eine Rechenaufgabe, bei der es nur richtig oder falsch gibt. Es wäre wohl vermessen zu behaupten, dass man das komplett losgelöst von einem eigenen ästhetischen Empfinden beurteilen kann. Deshalb macht es ja auch Sinn, dass sich die Jury aus verschiedenen Mitgliedern aus unterschiedlichen Fachrichtungen zusammensetzt und die einzelnen Projekte ausgiebig und durchaus auch kontrovers diskutiert werden.
◆ Welche Häuser, welchen Architekturstil bevorzugen Sie privat?
Mich beeindruckt ein einfaches Bauernhaus, das ohne Architekt aus einer handwerklich geprägten Bautradition entstand, genauso wie der repräsentative Iberghof in Mellingen. Die Frage stellt sich für mich eher, ob ein Objekt als baukultureller Beitrag gelten kann, oder eben nicht. Ich habe in diesem Sinne keine «Lieblingsepoche».
◆ Warum begleitet die Denkmalpflege ein Projekt schon so früh?
Es entspricht einem üblichen und bewährten Vorgehen, dass man die unterschiedlichen Interessensvertreter in einem solchen Verfahren früh einbindet. Sowohl für den Eigentümer, als auch für den Planenden und die Bewilligungsbehörden hat dies mehr Vor- als Nachteile.
◆ Bedeutet Ihr Einsitz in der Jury eigentlich, dass das Projekt den Segen des Denkmalschutzes bereits hat?
Das Baugesuch ist in der Vernehmlassung. Ich kann an dieser Stelle nicht vorgreifen. Die Denkmalpflege hat ihre Anliegen grundsätzlich aber bereits im Rahmen des Studienauftrags einbringen können. Es bleiben aber sicher noch einige Fragen zu klären.
◆ Die da wären?
Etwa die Wahl der Putzstruktur bis hin zur Wahl der Dacheindeckung. Die weitere Planung hat daher weiterhin in engem Einvernehmen mit der Denkmalpflege stattzufinden.
◆ In der Altstadt gibt es unter anderem das «Reglement zur Erhaltung des Altstadtbilds». Da steht unter anderem drin: «Bei der Fassadengestaltung sollen der Gesamtcharakter und das Verhältnis zwischen Mauerflächen und Fensteröffnungen gegenüber den historischen Vorbildern nicht grundsätzlich verändert werden.» Wenn ich die Visualisierung mit den alten Häusern der Altstadt vergleiche, dann unterscheidet sich der «Gesamtcharakter» schon gewaltig ... Wie erklären Sie das?
Das Verhältnis von geschlossenen Mauerflächen und Fenstern scheint mir durchaus altstadtkonform. Einzig die Verteilung der Fenster spricht eine neuere Sprache. Der Entscheid der Architekten, das Gebäude mit einer klassischen Lochfassade zu gestalten, ist diesbezüglich bestimmt nicht zufällig gewählt. Auch die geschlossen und mural wirkende südliche Giebelfassade ist eigentlich ausgesprochen typisch für mittelalterliche Bauten in der Altstadt. Wenn Sie das mit raumhoch verglasten, uniform gestalteten Neubauten vergleichen, besteht da doch ein grosser Unterschied.
◆ Dann steht in diesem Reglement noch drin: «Bestehende Garten- und Freiflächen in der Altstadtzone sind zu erhalten.» Jetzt soll das Haus aber direkt auf einem Garten gebaut werden, der dort seit über 100 Jahren besteht. Wie passt das denn zusammen?
Es stimmt, dass im eigentlich historischen Sinne die Parzellen südlich des Hexenturms an der Scheunengasse lange unbebaut waren. Damals schmiegte sich aber auch nordseitig kein Wohn- und Gewerbebau an den Turm und dieser markierte prominent den nordöstlichen Abschluss der Stadt. Mit dem Brand von 1902 und dem Verlust der dortigen Stadtmauer entstand gewissermassen ein Ungleichgewicht. Der Hexenturm stand seither mehr im Kontext mit dem Bau ausserhalb der eigentlichen Stadtmauer und weniger in Bezug zur Altstadt selbst. Dies wird mit dem Neubau korrigiert. Als Ausgleich für das künftig bebaute Grundstück soll zudem der unmittelbare Vorplatz des Turms mit dem Eingang freigespielt werden. Stadträumlich wird das ein wichtiger Ort werden und auf eine adäquate Gestaltung wird zu achten sein.
◆ Was für Vorgaben oder Regelwerke gibt es sonst noch, nach denen man sich beim Bauen in der Mellinger Altstadt richten muss, und in welcher Weise hat dies das vorliegende Projekt getan?
Die rechtliche Grundlage zum Bauen in der Altstadt bildet die BNO und das erwähnte Reglement zur Erhaltung des Altstadtbildes. An oder im Umfeld von kantonal geschützten Bauten gilt zudem das Kulturgesetz. Meist geht es bei Baumassnahmen natürlich um Umbauten oder Renovationen, da die Altstadt grundsätzlich als «fertig gebaut» gelten kann. Ein Neubau innerhalb der Altstadt hat deshalb ausgesprochenen Ausnahmecharakter und kommt nur dann zur Anwendung, wenn ein Objekt beispielsweise durch einen Brand verloren geht – wie in diesem Fall, wenn auch mit gehöriger Verspätung. Dass ein solcher Bau in grossem öffentlichen Interesse steht, und durchaus auch kontrovers darüber diskutiert wird, halte ich für ein gutes Zeichen. Das macht die Bedeutung und das Interesse an der Altstadt und die Bemühungen über ihren Erhalt und Weiterentwicklung deutlich.
Interview: Stefan Böker


