«Die Hürde liegt bei Schnupperlehren»

Fr, 26. Feb. 2021

Wie steht es mit Schnuppern? Suchen Jugendliche noch Lehrstellen? Das sagt der Berufsberater

Schnuppern ist in Betrieben, die im Homeoffice sind, kaum möglich. Dabei müssen Jugendliche, bevor sie sich entscheiden, ihre künftige Arbeitswelt auch erleben.

Wenn im Sommer viele Jugendliche die obligatorische Schulzeit beenden, sollten zahlreiche unter ihnen nach den Sommerferien mit der Lehre beginnen. Aktuell sind fast die Hälfte aller Lehrstellen im Aargau, branchenabhängig, noch nicht besetzt. Corona hat die Lehrstellensuche erschwert, in vielen Berufen und Betrieben war Schnuppern nahezu unmöglich. Roberto Morandi, Abteilungsleiter und Mitglied der Geschäftsleitung bei den «ask!»-Beratungsdiensten für Ausbildung und Beruf, plädiert für einen Effort von Jugendlichen und Lehrbetrieben.

Herr Morandi, Erwerbstätige sind wegen Corona im Homeoffice, es wird mit Schutzkonzepten gearbeitet. Wie wirkt sich das auf die Lehrstellensuche oder Schnupperlehren aus?
Roberto Morandi: Die grosse Hürde liegt bei den Schnupperlehren. Eine Befragung durch Lehrstellenpuls.ch zeigt aber, dass immer noch 50 Prozent aller Betriebe reguläre Schnupperlehren anbieten. Das ist einerseits erfreulich. Aber es reicht nicht.

Was wäre nötig?
Es braucht mehr Schnupperkapazitäten. Die Jugendlichen müssen Erfahrungen machen können – vor Ort. Sie müssen den Beruf erleben, den künftigen Berufsalltag spüren. Das bleibt das Selektionskriterium, sowohl für Jugendliche als auch für Lehrbetriebe. Hier liegt die grösste Hürde.

Wie können Lehrbetriebe diese Hürde überwinden? Oder anders gefragt, wie können sie Schnupperlehren gezielter fördern und unterstützen?
Es gibt zwei Arten von Schnupperlehren. Einerseits bewerben sich Jüngere, die Achtklässlerinnen und Achtklässler in der zweiten Oberstufe: Sie wollen Einblick in verschiedene Berufe. Andererseits sollen Ältere, die im Sommer die obligatorische Schulzeit beenden, eine Selektionsschnupperlehre machen. Sie müssen vor Ort sein, sich im künftigen Betrieb bewegen – das ist in vielen Branchen mit den nötigen Schutzmassnahmen immer noch möglich. Auf Baustellen etwa werden Masken getragen, wenn Abstände nicht eingehalten werden können. Das funktioniert so weit …

Aber nicht überall?
Geschlossen oder stark unter Druck sind Gastronomie, Tourismus und bis Ende Februar auch der Detailhandel; überlastet sind Bereiche im Gesundheitswesen oder in der Logistik.
In Büros – IT, Planung, Konstruktion, Architektur sowie der gesamte Kaufmännische Bereich – arbeiten sehr viele im Homeoffice. Vor allem dort sollen Lehrbetriebe Lösungen suchen, damit sich Jugendliche vor Ort ein Bild machen können. Sonst wird es sehr schwierig. Unterschreiben Lehrstellensuchende Verträge, ohne Arbeitskultur, Betrieb oder Team zu kennen, ist das mit Risiko verbunden.

Verträge werden aufgelöst? Die Gefahr besteht. Was empfehlen Sie Branchen, die zurzeit im Homeoffice sind?
Betrieben im Homeoffice empfehle ich, sich zu organisieren. Warum nicht an Tagen, an welchen Schnupperlernende eingeladen sind, vor Ort arbeiten? Das erfordert von den Lehrbetrieben zwar Flexibilität. Die jungen Menschen aber müssen den Arbeitsalltag erleben, allenfalls in eingeschränkter Form und selbstverständlich unter Einhaltung der Schutzmassnahmen. Sonst können sie sich unter ihrem künftigen Arbeitsplatz nichts vorstellen.

Das würde helfen?
Die Bemühungen sollten auf jeden Fall in diese Richtung gehen … Fehlen Gelegenheiten, besteht das Risiko, dass sich Jugendliche weiter zurückziehen, verunsichert sind. Wir sehen, dass einige Jugendliche versuchen, sich zu verstecken und frühzeitig aufgeben.

Wie verstecken sie sich?
Sie sagen, dass es mit Corona schwieriger ist, kompliziert. Sie engagieren sich weniger, manche finden sich mit der Situation ab. Oft geben sie sich mit dem zehnten Schuljahr zufrieden, schieben den Lehrstellen-Entscheid auf die lange Bank. Obwohl sie vielleicht super Qualifikationen und gute Zeugnisse vorweisen können. Sie hätten Möglichkeiten, auf dem Lehrstellenmarkt Anschluss zu finden. Mit einem zehnten Schuljahr wird die Lehrstellensuche vertagt.

Was raten Sie?
Diese Jugendlichen müssen wir auf positive Art motivieren und unterstützen. Eine gute Kooperation zwischen Berufsberatung, Lehrpersonen, Wirtschaft, Schülerinnen und Schülern und ihren Bezugspersonen ist wichtig. Wir müssen möglichst eng zusammenarbeiten, um zugunsten der Jugendlichen gute Lösungen zu finden. Sowohl Lehrpersonen als auch Eltern können sich bei uns melden. Wir haben genügend Beratungsangebote an unseren Standorten, im Schulhaus oder auf Distanz. Es gibt 230 Berufe. Längst nicht alle sind bekannt. Beratungsgespräche und Tests können helfen, Stärken und Neigungen abzuklären. Es geht um einen Einstieg in die Berufswelt. Jugendliche müssen in dieser schwierigen Zeit breiter und in Varianten denken, links und rechts schauen. Vielleicht gefällt der Betrieb, das Team, auch wenn man nicht den Traumberuf erlernen kann? Auch deshalb ist schnuppern so wichtig …

Betriebe brauchen Berufslernende.
Es geht um den Nachwuchs, das Nutzen von Fachkräftepotenzial – Lernende einstellen, lohnt sich. Gesellschaft und Wirtschaft tragen Verantwortung.

Betriebe sollen wieder mehr zulassen dürfen?
Ja. Es gab dieses und letztes Jahr keine Berufsmessen. Alles abgesagt – auch im Reusstal. Wenn nun auch Schnupperlehren wegfallen, fehlt ein erstes Eintauchen in die Arbeitswelt und wichtige Erfahrungen für den Berufswahlentscheid.

Haben Selektionsschnupperlehren für Ältere, die in diesem Jahr die Schule beenden, Vorrang?
Sie sollten prioritär eingeladen werden. Aber die Jüngeren dürfen nicht vernachlässigt werden. Idealerweise suchen Betriebe, nach Vertragsabschluss mit Jugendlichen, die ihre Lehre diesen Sommer beginnen, nahtlos Lernende für das folgende Jahr. Das ist wichtig.

Bei Schnupperlehren ist also ein zusätzlicher Effort nötig. Wie sieht es bei den Lehrstellen aus?
Im Kanton Aargau sind auf den Sommer 2021 immer noch fast die Hälfte der Lehrstellen offen – mit beträchtlichen Unterschieden in den Berufsfeldern. Laut Lena-Statistik im Februar knapp über 40 Prozent.

Das ist viel. Es bleibt ein halbes Jahr … Wer keine Lehrstelle hat, wird noch eine finden?
Genau. Gewisse Branchen mussten schliessen, etwa der Detailhandel. Wenn es im März wieder aufgeht, appelliere ich an Wirtschaft und Lehrbetriebe, Lösungen zu finden. Den Lehrstellensuchenden empfehle ich, die Chancen zu packen und unter anderem an der Digitalen Lehrstellenbörse teilzunehmen.

Heidi Hess


Lehrstellenbörse am 17. März online

Die Aargauer Lehrstellenbörse 2021 findet am Mittwoch, 17. März, in digitaler Form statt. Dabei handelt es sich um eine Plattform für ein erstes unverbindliches Vorstellungsgespräch. Die Teilnahme ist sowohl für Lehrbetriebe als auch für die Lehrstellensuchenden kostenlos. Lehrbetriebe präsentieren sich an ihrem virtuellen Messestand, Lehrstellensuchende finden Anmeldemöglichkeiten für Vorstellungsgespräche per Video-Chat. Weitere Informationen zur Anmeldung unter: beratungsdienste.ch/lehrstellenboerse. (zVg) 

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