Löwenwirtin: «Der ‹Löwe› wurde erst später rot»
26.02.2021 Oberrohrdorf-Staretschwil, Region RohrdorferbergLisbeth Banz ist mit zehn Schwestern im «Löwen» aufgewachsen. Sie war während 18 Jahren mit viel Herzblut die «Löwenwirtin»
Gemunkelt wurde im Dorf, dass der «Rote Löwe» noch röter als sonst sei. Auch von Konkurs war die Rede. Lisbeth ...
Lisbeth Banz ist mit zehn Schwestern im «Löwen» aufgewachsen. Sie war während 18 Jahren mit viel Herzblut die «Löwenwirtin»
Gemunkelt wurde im Dorf, dass der «Rote Löwe» noch röter als sonst sei. Auch von Konkurs war die Rede. Lisbeth Banz (78) sagt nichts dazu, sie erzählt aber aus ihrer Kindheit und davon, als sie noch Wirtin im Restaurant Löwen war.
Spricht sie vom «Löwen» spürt man die Verbundenheit mit dem geschichtsträchtigen Haus. Lisbeth Banz ist als eines von elf Mädchen mitten im Gastbetrieb aufgewachsen. Sie kennt jeden Winkel des Hauses. Vor 70 Jahren kaufte ihr Vater Josef Konrad den «Löwen». Der war damals noch weiss und wurde von ihm erst später rot angestrichen – im Namen taucht das Rot erst auf, als Lisbeth Banz nicht mehr Wirtin im «Löwen» war.
Banz erinnert sich an rauschende Fasnachtsbälle und Hochzeiten, als ihre Eltern noch im «Löwen» wirteten. Das Restaurant hatte im ersten Stock den grössten Saal in der Region. «Diesen Saal gibt es heute nicht mehr», sagt Banz. Der «Löwe» wurde nach ihrer Zeit mehrmals umgebaut. Das Restaurant befindet sich wie früher in der ersten Etage, der Saal aber wurde in eine Küche und Bar umgewandelt. Einen kleineren Saal gibt es neu im Parterre. «Ich finde den Umbau sehr gelungen», sagt sie.
Früher gab es neben dem Eingang im Parterre eine grosse Garderobe für die Gäste. Daneben aber waren, auf der gleichen Etage, Schweine und Kühe untergebracht. Der Kuhstall befand sich direkt unter dem grossen Saal im ersten Stock. Die Tiere sorgten für zusätzliche Wärme im grossen Gebäude. Lisbeth Banz erinnert sich, dass es früher im «Löwen» noch keine Zentralheizung gab. Geheizt wurde mit Holz und Kohle. Die 13-köpfige Familie wohnte in der zweiten Etage über dem Restaurant. Im dritten Stock befanden sich einfache Gästezimmer mit Etagen-WCs.
Vom Bauern zum «Löwenwirt»
Ein Blick zurück: Josef Konrad, der Vater von Lisbeth Banz, hatte mit seiner Familie bis 1952 auf einem Bauernhof in Sins gelebt. Als die Pacht nicht erneuert wurde, musste sich der Vater nach einer neuen Bleibe und nach Arbeit umsehen. Fündig wurde er in Oberrohrdorf. Mit dem «Löwen» hatte die Familie nun zwei Standbeine. «Meine Eltern arbeiteten viel und investierten jeden Franken in das Haus», sagt sie. «Das grosse Gebäude war schon damals ein Fass ohne Boden.» Während ihr Vater Josef Konrad Gastgeber und Landwirt war, kochte Mutter Elisabeth für die Gäste und versorgte die Mädchenschar. Die elf Mädchen arbeiteten von Kindsbeinen an im Betrieb mit. 25 Jahre lang führte der Vater das Restaurant. Kurz vor seinem Tod übergab er es an Lisbeth Banz, seiner ältesten Tochter. Sie wusste, auf was sie sich einliess. Banz hatte bereits zuvor mit ihrer Mutter als Köchin im «Löwen» gearbeitet. Auf den Tisch kam gutbürgerliche Küche.
Eine Herzensangelegenheit
Die Rollenaufteilung war auch in der zweiten Generation ähnlich. Ehemann Hans Banz war der Gastgeber und half überall, wo Not am Mann war, Lisbeth war die Köchin und Wirtin. «Ich war mit Leib und Seele ‹Löwenwirtin›», sagt die zweifache Mutter. Sie kannte alle Gäste beim Namen. Einige vertrauten ihr auch ihre Lebensgeschichten an. Zu schaffen machte ihr, wenn es um tragische Schicksale ging. Vereinzelt gab es Gäste, die einen grossen Teil ihres Einkommens im Restaurant vertranken. Und das, obwohl zu Hause die Familie darbte. Einige schrieben ihre Zeche bei ihr an und bezahlten erst Ende Monat, wenn der Lohn reinkam. Die positiven Erlebnisse aber überwogen. Dabei kam Lisbeth Banz während ihrer Wirtezeit nur zu wenig Schlaf und hatte kaum Freizeit. Sie arbeitete meist bis zu 17 Stunden pro Tag. Vor zwei Uhr in der Früh war sie nie im Bett. Geschadet habe ihr das nicht, meint sie. Sie ist überzeugt, dass ein Gastrobetrieb nur funktioniere, wenn man selbst viel arbeite und mit wenig Personal auskomme. Wäre die Erbsituation in der Familie nicht gewesen – sie hätte die zehn Geschwister nach dem Tod des Vaters auszahlen müssen – wäre sie wohl dem «Löwen» treu geblieben. So aber wurde die Liegenschaft verkauft und Lisbeth wurde vorerst zur Pächterin. Die Pacht konnte sie sich aber auf Dauer nicht leisten.
Sie kann nicht ohne Arbeit sein
Das Wirtepaar Banz suchte nach einem neuen Restaurant. Fündig wurden sie in Remetschwil. Sieben Jahre wirteten sie in der Schönegg. «Viele Stammgäste kamen weiterhin zu uns» sagt sie. Danach wollte Lisbeth Banz nochmals etwas Neues wagen. Bis zu ihrer Pensionierung arbeitete sie im Alters- und Pflegezentrum am Buechberg in Fislisbach in der Pflege. «Manche Bewohner waren früher meine Gäste», sagt sie. Und seit elf Jahren, nach ihrer Pensionierung, arbeitet sie in der Chämi Metzg – heute mit reduziertem Pensum. Jeden Dienstagmorgen rüstet sie Salate und bereitet das Mittagsmenü vor. Ist Not an der Frau ist sie auch am Take-away-Stand vor der Metzg anzutreffen. «Sie ist letzten Sommer jeden Tag gekommen, um auszuhelfen», sagt Marcel Wüest, Geschäftsleitung Chämi Metzg. «Wir sind froh, dass wir durch eine Person verstärkt werden, die früher jahrelang selbst einen Betrieb führte.» Solange Lisbeth Banz fit ist, will sie weiterarbeiten. Vor Corona ging sie gerne jassen oder an Tanznachmittage. Zusätzlich nimmt sie gerne an Seniorennachmittagen teil. «Oft treffe ich an solchen Anlässen Gäste von früher». sagt sie.
Debora Gattlen