Im Swimmingpool schwimmen heute Karpfen

Fr, 30. Apr. 2021

Busslingen: Die «Villa Wetter» droht erneut, in einen Dornröschenschlaf zu versinken – dabei könnte das wunderliche Haus so viel erzählen

1990 wurde die «Villa Wetter» renoviert. «Hollywood im Reusstal» titelte damals ein Schweizer Wohnmagazin auf der Titelseite. Mittlerweile hat der Zahn der Zeit der alten Diva wieder zugesetzt. Sehen lassen kann sie sich immer noch – aber es gibt keinen mehr, der sie noch herzeigen will.

Wer von der Garage ins Haus tritt, steht direkt vor der Bar. Sie ist das Zentrum des Gebäudes und Zeitzeugin unzähliger Partys. «Wir haben hier so viele Feste gefeiert», erinnert sich Hanspeter Wetter mit einem Schmunzeln an die vergangenen Tage. Private Feste, Firmenfeiern, auch schon Verlobungen und Hochzeiten fanden hier statt. Die Bar selbst ist mit ihrem geschwungenen roten Tresen, den filigranen Stablichtern und den kitschigen, mit Kuhfell überzogenen Barhockern der erste Hingucker beim Rundgang durch das einzigartige Gebäude. Hanspeter Wetter tritt hinter die Bar und zeigt ein weiteres Schmankerl: Sie hat Flügeltüren. Wenn er die verspiegelten Regale schliesst, verschwinden sie im Kamin, der vom Esszimmer hoch ins Schlafzimmer führt.
«Alles, was Sie hier sehen, hat sich mein Vater ausgedacht», sagt Hanspeter Wetter beeindruckt. «Er war ein sehr phantasievoller Mann, voller Energie.» 1953 erstellte Hans Wetter am Ortsrand von Busslingen seine erste allein stehende Werkstatt. Auf dem riesigen Gelände liess er seiner Kreativität freien Lauf. An die Werkstatt baute er einen Showroom an. Hier konnten Kundinnen und Kunden eintreten und die vielseitigen Produkte der Kunstschlosserei bestaunen: Kerzenständer, Spiegel, Kamingitter, Kaminaufsätze, Fenstergitter, Geländer, Türen, Stühle, Tische, eine Hollywoodschaukel und sogar Fackelhalter für Gasfackeln. Diese gaben dem ummauerten Innenhof, der später entstand, nachts ein romantisches Burghof-Flair.

Stile verschiedener Epochen
Architekturbegeisterte können auf dem Anwesen die Stile vergangener Epochen entdecken, innen wie aussen. Hans Wetter kümmerte sich nicht um Baubewilligungen, er stellte auch keine Architekten an, sondern erweiterte sein Traumschloss während 15 Jahren Raum um Raum nach eigenen Ideen. Für Schmiedeeisernes ist das Anwesen ein Paradies. Unglaublich seine Fensterkreationen mit bunten Gläsern und asymmetrischen Mustern. Das Fenster des Strassenzimmers wölbt sich gar spitz nach aussen – was selbst heute noch futuristisch aussieht. Oder die halbrunde Fensterfront im Schlafzimmer der Ferienwohnung. Hier stand einst das berühmte runde Bett des Firmenpatrons, neben der im Boden versenkten, schwarz gekachelten Badewanne und einem spitz in den Raum laufenden Erkerkamin. Das Breitwandpanorama mit Blick ins Grüne und aufs Reusstal – es ist unglaublich.
Umgeben ist das Schachtelhaus von einem parkähnlichen Gelände. Jeder Raum ist mit jedem verbunden. Egal, welchen Rundgang man einschlägt, irgendwann landet man wieder vor der Bar.
«Für uns als Kinder war das ein Abenteuerspielplatz. Wir hatten ein grosses Matratzenlager, sind im Pool geschwommen oder haben im Garten getschuttet», erzählt der heutige Verwaltungsrat der Wetter Gruppe. Sein Büro ist immer noch nebenan, in einem Anbau, den die Brüder in späterten Jahren realisierten. Hinten, dort wo einst die Waldhütte stand, leben heute Mieter in einem modernisierten und erweiterten Haus. Der Geheimgang, den Hans Wetter unterirdisch bis zum Weinkeller unter der Waldhütte legte, existiert aber noch. Hier durchzulaufen, gibt den extra Kick. Und im Weinkeller lagern weiterhin Flaschen. «Unsere Bordeaux-Sammlung», sagt Hanspeter Wetter anerkennend.

Burg, Ferienhaus, Hobbyraum
Nach dem Tode des Vaters – er starb zu einer Zeit, als die Firmenrichtung sich änderte, weg von der Kunstschlosserei hin zum Stahl- und Metallbau – verwaisten Werkstatt und Villa. Die «Villa Wetter», gebaut als Showroom, als Luftschloss zum Träumen, als Mischung aus mediterranem Feriendomizil, mittelalterlicher Burg und abgedrehtem Hobbyraum, bekam nur noch selten Gäste. Normalerweise wäre das Schicksal des mitten in einer begehrten Bauzone gelegenen Bauwerks besiegelt gewesen – hätte nicht der Familiensinn der Erbengemeinschaft gesiegt: Im Familienrat wurde beschlossen, das Schachtelhaus ganz im Sinne seines Erbauers zu restaurieren.
Die Busslinger Bauverwaltung staunte nicht schlecht beim ersten Lokaltermin. Doch sie erteilte die Bewilligung, verfügte sogar, dass die Fassade erhalten bleiben muss und verzichtete auf die üblichen Isolationsvorschriften. Als Wohnhaus war das Gebilde ja sowieso nie konzipiert und auch nie genutzt worden. Die Gemeinde erteilte der Firma Wetter das Benutzungsrecht für Firmen-Feiern und Anlässe, allerdings nur im strikten privaten Rahmen. Die Familie stellte sogar eine junge Zürcher Innenarchitektin an, der es gelang, so lobte damals das Schweizer Wohnmagazin «Ideales Heim» in seiner Titelreportage, «das Neue – als solches klar erkennbar – mit dem Ursprünglichen in eine absolut geglückte Harmonie», zu bringen. Heute wird die «Villa Wetter» im kleinen Rahmen regelmässig genutzt. Christian Moll, ein langjähriger Mitarbeiter, hat den Swimmingpool umgestaltet und zum Teich für seine Kois umfunktioniert. Dort, wo früher die Kunstschlosserei mit Esse war, sind Mitglieder des Clubs «Motopirates» eingemietet, die an ihren Töffli werkeln. «Mich freut, dass immer noch etwas Leben im Haus ist», sagt Hanspeter Wetter und rupft einen Löwenzahn aus dem Blumenbeet heraus. Erst kürzlich hat er die Palmen, die der Vater einst aus Italien brachte, umgetopft. Zeichen des Verfalls sind allerdings an vielen Ecken im Haus zu entdecken. Und im Park hat die Natur längst begonnen, sich zurückzuholen, was einst ihr gehörte. Der Torbogen mit den steinernen Stufen, der auf die nächst höhere Geländeebene führt, sieht mit seinen abgebröckelten Sandsteinen aus wie das Tor in eine verwunschene Fantasy-Welt.
Hanspeter war Lernender im vierten Lehrjahr, als sein Vater starb. Er selbst und seine Geschwister hatten noch eine persönliche Beziehung zum Ort; die Enkel dann weniger. Hanspeter war einer der vielen Mitarbeiter, die hier die Pläne seines Vaters umsetzten. Beim schmiedeeisernen Tor zum Garten beispielsweise – es zeigt die berühmte Paradiesszene mit dem Apfel – hat er noch angepackt. Und er erinnert sich an Anlässe, als die Pergola über der Badehalle und die Terrasse vor dem Pool mit Gästen gefüllt waren. Idyllisch, entrückt, besinnlich, glitzernd, teilweise verrucht war die Stimmung, wenn Menschen das sonst leerstehende Gebäude belebten. «Teilweise hatten wir früher 120 Gäste hier oben», sagt Hanspeter Wetter. Heute wäre das Wolkenkuckucksheim zu klein für Firmenfeste der Wetter Gruppe. Für Weihnachtsfeiern verschickt das erfolgreiche Unternehmen heute gut und gerne 250 Einladungen. «Wer weiss, was dereinst aus der Villa werden wird», sagt Hanspeter Wetter nachdenklich, bevor wir das Haus wieder verlassen, an der Bar vorbei, und er den Schlüssel in der schweren metallenen Eingangstür umdreht.

Stefan Böker

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