Roger Fessler schreibt anonyme Mails

Fr, 25. Jun. 2021

Ein Mitglied des Gemeinderates hat über Monate hinweg Personen angegriffen und angeschwärzt

Seit eineinhalb Jahren erhält der «Reussbote» in regelmässigen Abständen anonyme E-Mails. Wer macht so etwas? Was ist der Hintergrund? Im Mittelpunkt steht das politische Geschehen in Mellingen und der Gemeinderat Mellingen. Verfasser der anonymen Mails ist Gemeinderat Roger Fessler.

Es begann im Oktober 2019. Um 11.06 Uhr flattert eine E-Mail-Nachricht ins Postfach der Redaktion. Absender ist ein «Summa Veritas», was übersetzt so viel heisst wie «In der Summe der Wahrheit». Es geht um einen Bericht im «Reussbote» zu den Personalwechseln im «Stadttörli». In regelmässigen Abständen folgen weitere anonyme Mails, es sind bis zum heutigen Datum an die 20 Nachrichten. Auffallend ist: Die E-Mails befassen sich ausschliesslich mit Themen, in denen Gemeinderat und SVP-Grossrat Roger Fessler in irgendeiner Weise involviert ist. Einmal als Gemeinderat, dann geht es um die Bar Harlekin, wo Fessler oft anzutreffen ist, dann ums Alterszentrum Mellingen, als Fessler Delegierter des Gemeinderates war oder um die Abfallsäcke bei der Entsorgungsstelle auf dem grossen Parkplatz an der Birrfeldstrasse.

Angriff auf Gemeinderats-Kollegin
In einem weiteren Mail wird Mellingens Gemeinderätin Györgyi Schaeffer angeprangert. Es heisst darin wörtlich: «In Mellingen geht das Gerücht um, dass der gesamte Gemeinderat und Teile des Personals in Quarantäne ist. Anscheinend hat ein Mitglied des Gemeinderates trotz hohem Fieber erst gestern einen Test gemacht und den restlichen Gemeinderat informiert… Der Groll auf diese Person ist dem Vernehmen nach gigantisch.»
Dieses anonyme Mail ging am Freitag, 16. April 2021 um 10.06 Uhr an die Redaktionen von Radio Argovia, Badener Tagblatt, «Reussbote» und Tele M1. Radio Argovia sendete darauf einen Beitrag über die Corona-Erkrankung von Schaeffer. Der Gemeinderat sah sich daraufhin veranlasst, eine Stellungnahme zu veröffentlichen, weil einige Informationen falsch waren. Interessant ist die Zeitabfolge in dieser Woche, in der das anonyme Mail versendet wurde. Die Gemeinderatssitzung fand am Montagabend statt. Am Dienstag spürte Gemeinderätin Schaeffer erhöhte Temperatur. Ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich im Laufe des Tages, am Mittwoch machte sie einen Selbst-Schnelltest, der positiv ausfiel. Danach folgte die Bestätigung mit einem PCR-Test. Am Donnerstag um die Mittagszeit informierte Schaeffer den Gemeinderat und Gemeindeschreiber Beat Deubelbeiss sowie weitere Personen, mit denen sie Kontakt hatte. Dass die anonyme Mail aus dem persönlichen Umfeld von Schaeffer kam, ist auszuschliessen. Familienangehörige und Freunde wollen ihr sicher nichts Schlechtes tun. Bis Donnerstag kamen demnach der Gemeinderat und das Verwaltungspersonal infrage. Als der Beitrag auf Radio Argovia gesendet war, postete Roger Fessler in seinem Whatsapp-Status einen Link zum Beitrag von Radio Argovia und versah diesen mit einem wütenden Smiley. Zu Gemeinderat Beat Gomes sagte Fessler: «Ich bin wütend, dass ich in den Frühlingsferien zu Hause bleiben muss.»
Der «Reussbote» verglich die IP-Adressen von Roger Fesslers Privatmail mit derjenigen der anonymen Mails. Es ist dieselbe IP-Adresse, die vom Kanton Aargau den Gemeinden vergeben wird. Die Redaktion zog dafür drei unabhängige EDV-Sachverständige zu, die sich mit Mailheader, IP-Adressen und Opensource-Daten befassen. Das sind Hinweise in Mails, quasi wie eine DNA oder ein Fingerabdruck.

Fessler gesteht
Der «Reussbote» lud Roger Fessler vorgestern Mittwoch zu einem Gespräch ein und legte ihm alle anonymen Mails vor. Auch diejenigen, in denen er den Rücktritt von Gemeindeammann Bruno Gretener forderte, die Familie Egloff anprangerte, weil sie während der Totalrevision der BNO Geld verdient haben soll und im jetzigen Rechtsstreit noch einmal. Fessler sagt dazu: «Dieses Mail ist nicht von mir geschrieben, ich habe es erhalten, den Text kopiert und der Redaktion anonym weitergeleitet.» Nicht nur die «Reussbote» Redaktion erhielt anonyme Mails, auch Privatpersonen, die IG Impuls Mellingen21 und der Gewerbeverein Regio Mellingen wegen dem Knatsch um den Wohnanteil in der Arbeitszone.
Roger Fessler gab auf der Redaktion zu, dass er der Verfasser der anonymen Mails ist (siehe auch persönliche Stellungnahme). Als Grund nannte er, dass er mit Kritik nicht umgehen konnte. Im Kollegenkreis riet man ihm, den Spiess umzudrehen, die Zeitungen für ihn schaffen zu lassen und mit Informationen zu füttern. «Es war ein Fehler», gesteht Fessler. Er ziehe die Konsequenzen und trete für die neue Amtsperiode im Gemeinderat Mellingen nicht mehr an. Auch aus zeitlichen Gründen, fügt er an, weil er seine Freizeit anders gestalten und wieder vermehrt in der Feuerwehr aktiv sein möchte.

Benedikt Nüssli


Stellungnahme von Roger Fessler

«Als ich mich in einer heiteren Runde über die Amtsgeheimnisverletzung und einen Bericht ärgerte, wurde mir geraten den Spiess umzudrehen und zu schauen, dass die Redaktion immer etwas über mich zu schreiben hat und zu verfolgen, wer welche Informationen aus den erfundenen Mails erhält. Es wurde weder das Amtsgeheimnis verletzt, noch Indiskretionen verbreitet. Im Nachhinein, zugegebenermassen, keine Meisterleistung, aber die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Ich übernehme die Verantwortung und entschuldige mich in aller Form.»

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