«Wer sich einsetzt, setzt sich aus»
06.07.2021 Region ReusstalVor den Gesamterneuerungswahlen erzählt die alt Ständerätin, wie Politik jahrzehntelang Spass macht
Alt Ständerätin Christine Egerszegi hat ihre politische Karriere als Stadträtin begonnen. Sie erzählt, was es zu beachten gilt, damit Politik eine ...
Vor den Gesamterneuerungswahlen erzählt die alt Ständerätin, wie Politik jahrzehntelang Spass macht
Alt Ständerätin Christine Egerszegi hat ihre politische Karriere als Stadträtin begonnen. Sie erzählt, was es zu beachten gilt, damit Politik eine Leidenschaft bleibt.
Wer sich einsetzt, setzt sich aus». Unter diesem Titel hatte Christine Egerszegi-Obrist im Rahmen eines Gemeindekurses an der Fachhochschule Nordwestschweiz vor neuen Gemeinderätinnen und Gemeinderäten referiert. Die Mellinger FDP-Politikerin weiss, wovon sie spricht. Seit fast 40 Jahren politisiert sie, auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene. Noch heute präsidiert und leitet sie Expertengruppen auf Bundesebene. Egerszegi war sowohl in der Exekutive als auch in der Legislative tätig. Zuletzt von 2007 bis 2015, für den Aargau im Ständerat, zuvor bereits seit 1995 Nationalrätin, 2006 auch Nationalratspräsidentin.
Vom Stadtrat in den Ständerat
Begonnen aber hatte Egerszegi ihre politische Karriere in der Gemeinde, 1985 als Schulpflegerin in Mellingen. 1989 wurde sie in den Aargauer Grossen Rat gewählt. Ein Jahr später, 1990, folgte – als erste Frau – die Wahl in den Stadtrat von Mellingen, dem sie bis 1998 angehörte.
Sie habe auf jeder politischen Ebene sehr viel gelernt, sagt Egerszegi – am meisten aber auf Stufe Gemeinde. «Man arbeitet unmittelbar mit der Bevölkerung zusammen, hat unzählige Begegnungen.» Zweimal im Jahr stehe zudem die ganze Exekutive an der Gemeindeversammlung vor den Stimmberechtigten. Die Gemeinderäte vertreten ihre Geschäfte, die Stimmberechtigten aber sitzen im Saal und hätten das Portemonnaie in der rechten Hintertasche. «Das zwingt einen zu Ehrlichkeit, Transparenz und vor allem, zu einer tadellosen Vorbereitung», sagt alt Ständerätin Egerszegi. Und so werden Mehrheitsentscheide möglich. Mit der politischen Arbeit könne man sich Respekt und Achtung verschaffen. Man sei aber auch Zielscheibe und müsse Kritik ertragen. «Liebe und Geborgenheit», sagt sie, «muss man in einem anderen Kreis suchen». Es brauche einen Ort, wo man unbestritten sei – in der Familie, im Freundeskreis, auch im Verein.
Kollegialitätsprinzip hoch halten
Wichtig sei in der Exekutive, betont Egerszegi, das Kollegialitätsprinzip hoch zu halten: «Das hat Vorteile, man ist nicht alleine verantwortlich.» Man müsse dabei nicht gleicher Meinung sein, aber als Gremium immer eine Meinung vertreten, sich einig sein. Sonst habe man vor der Bevölkerung keinen Bestand. Es sei wichtig, Kompromisse zu finden, hinter welchen auch Minderheiten stehen können. Schwierig werde es aber, sagt sie, wenn ein Exekutivmitglied Persönliches aus dem Rat erzähle. Als sie in Mellingen Stadträtin gewesen sei, hätten sie jede Sitzung mit einem Znacht abgeschlossen. «Nach der politischen Auseinandersetzung stand wieder der Mensch im Mittelpunkt.»
Bei den Gemeindekursen höre sie auch oft, wie neue Gemeinderäte vor gewissen Themen Respekt hätten, sich den Hoch- oder Tiefbau nicht zutrauten. Ihnen antworte sie: «Das geht jedem so.» Interesse, Zeit und Fleiss helfen, sich auch in die Vorgeschichte vertiefen – etwa mit Hilfe des Gemeindeschreibers oder der Verwaltung. Sie habe sich als Grossrätin in das Thema Sozialversicherung, von dem sie zuvor keine Ahnung hatte, eingearbeitet, die Dossiers analysiert und mit Leuchtstift farbig markiert. Jede Farbe stand für eine andere Person oder Stelle, bei der sie nachfragen wollte. «So halte ich es, seit ich politisch tätig bin», sagt Egerszegi. «Ich frage jeweils alle Seiten.»
Lächelnd sagt die heute 73-Jährige schliesslich, so viel, wie man in das Amt hinein stecke, erhalte man auch zurück. «Aber nicht immer sofort.» Manchmal brauche es Geduld.
Heidi Hess