Bachflohkrebs: Ritter der sauberen Bäche
02.07.2021 Stetten, Region ReusstalMatthias Betsche, Geschäftsführer von Pro Natura Aargau zeigt beim Dorfbach das Tier des Jahres 2021. Im Bach leben viele Exemplare
Der unscheinbare Geselle ist Botschafter für saubere Bäche. Da, wo die Bäche intakt sind, kommt der Bachflohkrebs sehr zahlreich vor. ...
Matthias Betsche, Geschäftsführer von Pro Natura Aargau zeigt beim Dorfbach das Tier des Jahres 2021. Im Bach leben viele Exemplare
Der unscheinbare Geselle ist Botschafter für saubere Bäche. Da, wo die Bäche intakt sind, kommt der Bachflohkrebs sehr zahlreich vor. So auch im Dorfbach in Stetten. Er sorgt dafür, dass der Boden der Bäche sauber bleibt.
Er ist nicht einmal einen Fingernagel gross. Wendet man in einem Bach einen Stein, schwimmen die kleinen Krebse eilends davon. Doch längst nicht in jedem Bach sind sie zu finden. Sie leben nur dort, wo die Wasserqualität stimmt. Im Dorfbach in Stetten schaut Matthias Betsche, Geschäftsführer von Pro Natura Aargau, mit einem grossen Sieb für den «Reussbote» nach. Er taucht es kurz in das Bachbett und entnimmt eine Probe. Nebst vielen Steinchen zappeln Bachflohkrebse. Betsche freut sich über den Fang. Kurz darauf entlässt er die Krebse wieder in den Bach. «Sie sind der Putztrupp der Bäche», sagt er. Die Winzlinge sind ein wertvoller Bestandteil des Kreislaufs in der Natur. Sie fressen das Laub, das in den Bach fällt und halten so das Bachbett sauber. Die Bachflohkrebse wiederum sind Futter für die Fische.
Der Bach ist wunderbar vernetzt
2018 wurde der Bach im oberen Dorfteil auf 220 Metern revitalisiert und naturnah gestaltet. Bei der neuen Überbauung «Zentrum Stetten» wurde er ausgedolt. Der unterste Bachabschnitt Richtung Reuss übertrifft alles. Hier gibt es natürliche Bachwindungen und verschiedene Wassertiefen, zwischen zehn und 45 Zentimetern. Zusammen mit natürlichen Sandbänken, dem kiesigen Untergrund und den unterschiedlichen Uferstrukturen ist das der perfekte Lebensraum und Laichplatz für die hier lebenden Bachforellen. Doch nicht genug. Der Bach fliesst im oberen Teil mitten durch extensiv bewirtschaftete Wiesen und im untersten Abschnitt grenzt er an das 1,6 Hektaren grosse Schutzgebiet der Pro Natura. Direkt vom Reussuferweg können wilde Orchideen bewundert werden. Der pinke Hundswurz steht jetzt in voller Blüte und gedeiht prächtig mitten in der extensiv bewirtschafteten Magerwiese. Hochhecken, Uferwald und verschiedene von Pro Natura angelegte Tümpel runden das Ganze ab. «Das Naturschutzgebiet ist hier sehr gut vernetzt und bildet ein idealer Trittstein», sagt Betsche. Die Tümpel bieten mit den unterschiedlichen Tiefen Lebensraum für seltene Amphibien, wie Fadenmolch, Laub- und Grasfrosch, Geburtshelferkröte, Gelbbauchunke und Feuersalamander. Elegant fliegen Blauflügel-Prachtlibelle oder die rote Feuerlibelle zwischen dem Schilf. Pro Natura ist laufend daran, weitere «Trittsteine» zu schaffen. «Wichtig ist, diese miteinander zu vernetzen», sagt Betsche. Und da helfen Fliessgewässer. «Sie sind wie Lebensadern für die Natur», sagt er.
Bäche als natürliche Klimaanlage
Der Aargau ist bekannt als Wasserschloss. Der Kanton hat rund 3000 Kilometer Fliessgewässer. Ein Drittel der Bäche ist noch eingedolt. Fliessen sie offen, sind sie in Zeiten des Klimawandels eine wahre Wohltat. «Bäche werden in der Zukunft wegen des Klimawandels immer mehr an Bedeutung gewinnen», sagt Betsche. Wer sich bei einem heissen Sommertag in der Nähe eines Baches aufhält, spürt sofort die wohltuende und kühlende Wirkung. Nebst dem positiven Effekt auf die Temperatur, sorgen sie auch für aufgefüllte Wasserspeicher im Sommer. Im natürlichen Bachbett versickert das Wasser. «Die Bäche sind auch für Menschen als Naherholungsgebiet wertvoll», sagt Betsche. «Sie sind ein Erlebnis für Jung und Alt.» So könne nicht nur im seichten und sauberen Wasser geplanscht und gespielt, sondern auch spannende Beobachtungen gemacht werden. Ausgerüstet mit einem Sieb und einer Becherlupe, erhältlich unter anderem im Pro Natura Online-Shop, kann man sich auf Entdeckungsreise nach dem Bachflohkrebs begeben. Ein völlig ungefährliches Erlebnis – die kleinen Krebse beissen nicht.
Bachflohkrebs nicht in allen Bächen
Der Bachflohkrebs erinnert mit seinem stark gegliederten Körper an eine Ritterrüstung. Sein Aussenskelett besteht aus Chitin und Kalk. Mit der Becherlupe sind gut die sieben Beinpaare und auf dem ganzen Körper verteilte Borsten zu erkennen. Der wissenschaftliche Name des Bachflohkrebses (Gammarus fossarum) bedeutet «Krebs der Gräben». Tatsächlich ist der Bachflohkrebs die häufigste und am weitesten verbreitete Flohkrebsart der Schweiz. Er kommt gesamtschweizerisch bis auf etwa 1300 m ü. M. vor. Nur im Tessin und einzelnen Südtälern fehlt die Art. Im Reusstal gibt es – im Gegensatz zu anderen Orten im Kanton – wenig Bäche. Umso wertvoller sind sie im Ökosystem. Nicht alle von ihnen sind so «sauber» wie der Dorfbach in Stetten. Betsche fand auf seinem Rundgang entlang der Reuss nicht in allen Bächen Bachflohkrebse. Der kleine Kappler reagiert empfindlich auf Gewässerverschmutzungen. Wenn der Bachflohkrebs in einem Bach fehlt, stimmt etwas mit der Wasserqualität nicht. Nebst der Wasserqualität ist es auch wichtig, Ufererosion durch freies Fliessen des Baches zuzulassen. So entsteht Lebensraum für eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren. Um Menschen für die Natur zu sensibilisieren soll diese auch erlebbar sein. Angst vor Zerstörung durch Besucher hat Betsche nicht. Wer die Natur sieht, trage auch Sorge dazu.
Debora Gattlen






