Viele Fitnesscenter stehen vor dem Ruin
09.07.2021 Mellingen, Region ReusstalAntoinette und Rolf Wettstein haben den Glauben an die Gerechtigkeit noch nicht verloren
Antoinette und Rolf Wettstein sind verzweifelt. Seit 6 Jahren betreiben sie in Mellingen ein Fitnesscenter. Sie stehen vor einer ungewissen Zukunft und wissen nicht, wie es weitergeht.
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Antoinette und Rolf Wettstein haben den Glauben an die Gerechtigkeit noch nicht verloren
Antoinette und Rolf Wettstein sind verzweifelt. Seit 6 Jahren betreiben sie in Mellingen ein Fitnesscenter. Sie stehen vor einer ungewissen Zukunft und wissen nicht, wie es weitergeht.
Der «Reussbote» trifft Antoinette und Rolf Wettstein in ihrem Fitnesscenter Fit 54 in Mellingen. Es ist nicht viel los an diesem Nachmittag, gerade einmal eine Person hantiert an den Geräten herum. Es sind immer noch die Nachwirkungen des Lockdowns, erzählt Rolf Wettstein. Erschwerend kommt hinzu, dass im Sommer, die Besucherfrequenzen in Fitnessstudios abnehmen. Die Leute sitzen lieber in einem Gartenrestaurant, als im Fitnesscenter zu trainieren.
Mit 60 die Kündigung erhalten
Vor sechs Jahren eröffnete Rolf Wettstein zusammen mit seiner Frau Antoinette ein Fitnesscenter in Mellingen. Mit 60 Jahren verlor er seine Arbeitsstelle und wagte mit 61 einen Neuanfang. Wettsteins investierten viel Geld in die Gründung ihrer Firma. 2019 schrieben sie erstmals schwarze Zahlen. Darauf sind sie stolz. «Wir haben bei null angefangen und uns einen schönen treuen Kundenstamm aufgebaut», erzählt Antoinette Wettstein. «Alles lief mehr oder weniger prima», ergänzt ihr Ehemann. «Der Plan war, unser Fitnesscenter nach zehn Jahren zu verkaufen.» Doch diese Zukunftspläne sind jetzt jäh gefährdet. Corona machte ihnen einen dicken Strich durch ihre Rechnung. Um Rechnungen geht es sprichwörtlich. Die Miete mussten sie trotz behördlicher Schliessung bezahlen. Das macht über 50 Prozent ihrer Fixkosten aus. Einnahmen fielen gänzlich weg. Der Umsatzverlust in den Corona-Jahren 2020/2021 beträgt im Vergleich zum Vorjahr mehr als 50 Prozent. Die vom Staat versprochene finanzielle Hilfe fliesst nur zäh oder gar nicht. Bis heute haben Wettsteins einen Covid-Kredit erhalten. Diesen müssen sie ab Frühling 2022 in Raten zurückbezahlen. Der Kredit half ihnen, die laufenden Rechnungen zu bezahlen, vor allem die Miete. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Fit 54 mit dem Vermieter in einem Rechtsstreit befindet, der zusätzlich an den Nerven zehrt.
«Wie soll man da überleben?»
Bis heute haben Wettsteins im ersten Lockdown eine Soforthilfe von 5000 Franken bekommen. Im zweiten Lockdown kam ein «A-Fondsperdu»-Beitrag von 14 000 Franken dazu. Antoinette Wettstein erhielt zusätzlich eine Kurzarbeitsentschädigung von 600 Franken im Monat. «Diese Beträge decken unsere Mietkosten bei Weitem nicht», sagt Antoinette Wettstein. «Wie soll man da überleben?» Wettsteins fühlen sich im Stich gelassen, vom Staat, aber vor allem von den Politikern.
Mehrmals haben sie einen Antrag für Härtefallgelder gestellt. Das Geld fliesst nicht, sagen sie. Einmal kam der Antrag zurück, weil sich die Grundlagen geändert haben. Ein anderes Mal war es ein Softwareproblem beim Kanton. Es hiess: «Aus technischen Gründen können Unternehmen, welche bereits eine Anfrage auf Liquiditätshilfe gestellt haben, erst in zwei Wochen einen Antrag auf weitere Härtefallhilfen stellen.»
«Jeder will von uns Geld»
Plagen sie Existenzängste?, will der «Reussbote» wissen. «Natürlich», sagt Rolf Wettstein. Erschwerend hinzu kommt der moralische Aspekt. Jeder will von uns Geld, wir müssen unsere Rechnungen pünktlich bezahlen, die versprochene Hilfe jedoch ist bis jetzt nicht bei uns eingetroffen. «Wir fühlen uns im Stich gelassen von unseren Politikern, die wir gewählt haben. Uns wird die Lebensexistenz entzogen. Am liebsten würde ich nach Aarau fahren und jedem Politiker ins Gesicht sagen, dass der Staat seine Versprechen nicht einhält.»
Rolf und Antoinette Wettstein wandten sich mit einem Schreiben an den Bundesrat und an den Regierungsrat. Vom Regierungsrat kam nicht einmal eine Rückmeldung, vom Bundesrat immerhin ein Schreiben. Noch haben Antoinette und Rolf Wettstein den Glauben an die Gerechtigkeit nicht aufgegeben. «Ich hätte einen anderen Weg gehen können, als ich meine Kündigung mit 60 Jahren erhielt», sagt Rolf Wettstein. Ich habe dem Staat ein Jahr lang Arbeitslosengelder gespart», sagt er kopfschüttelnd. «Jetzt fühle ich mich gleich doppelt gemoppelt», ergänzt er.
Benedikt Nüssli