Wie der Biber Wasser und die Geister scheidet
30.07.2021 Wohlenschwil, Region ReusstalAm Schwarzgraben wohnt eine Biberfamilie. Sie sorgt für eine reizvolle Landschaft, verlangt aber auch Platz und Wohlwollen
Die Biberfamilie im Schwarzgraben ist aktiv. Sie baut, sie staut – und man staunt. Hier sind emsige Landschaftsgärtner am Werk. Das gefällt nicht ...
Am Schwarzgraben wohnt eine Biberfamilie. Sie sorgt für eine reizvolle Landschaft, verlangt aber auch Platz und Wohlwollen
Die Biberfamilie im Schwarzgraben ist aktiv. Sie baut, sie staut – und man staunt. Hier sind emsige Landschaftsgärtner am Werk. Das gefällt nicht allen, vor allem nicht bei Hochwasser.
Er nagt Kerben in Bäume, baut Dämme in Bäche und streift in Ufernähe durch Wiesen und Felder. Überall scheint der Biber am Schwarzgraben seine Spuren zu hinterlassen. Vor über einer Woche wurde er in der Nähe eines Maisfelds gesehen. «Ein halber Bär», sagt die Wohlenschwilerin, die überrascht war, wie gross das Tier ist, das sie zum ersten Mal sah. Die Wahrnehmung mag täuschen, wundern sollten wir uns nicht: Der Biber ist Europas grösstes Nagetier und kann bis zu einem Meter lang und bis zu 30 Kilo schwer werden.
Viele dürften sich wünschen, ihn ebenfalls zu entdecken, andere akzeptieren seine Präsenz eher widerwillig. Eines ist sicher: In der Schweiz steht der Biber unter Schutz, auch seine Bauten. Ende 2019 wurde der Bestand landesweit auf 3500 Tiere geschätzt, im Aargau hatte 2018 das letzte Bibermonitoring eine geschätzte Anzahl von rund 340 Tieren ergeben.
Einer davon ist der Biber am Schwarzgraben. Ob diesem Biber bewusst ist, dass er die Bevölkerung in zwei Lager teilt? In diejenigen, die sich über den «Landschaftsgärtner, Architekten und Baumeister» freuen. So, wie Dominique Sigrist, die in Wohlenschwil bis 2016 als Gemeinderätin auch «Biberverantwortliche» war. Aus «eher langweiligen, gerade fliessenden Gewässern gestaltet er wunderschöne Auenlandschaften», sagt sie. Der Biber staut, verändert Landschaften, verhindert Fliessrichtungen – aus Sicht des Naturschutzes durchaus zum Guten. Er fördert so die Artenvielfalt, schafft Lebensräume für andere Tiere. Die andern beobachten seine Kreativität mit Argwohn. Etwa wenn der Pegel steigt und der Platz enger wird. Biber und Hochwasser, das hat Auswirkungen auf Landwirtschaft, auf Wege und Häuser in Bachnähe.
Das Dilemma bei Hochwasser
Zuständig für den Biber am Schwarzgraben ist Andres Beck; beauftragt ist er vom Kanton, von der Abteilung Wald, Sektion Jagd und Fischerei. Am Schwarzgraben, sagt er, lebe eine Biberfamilie mit einem Revier bis hinunter zur Reuss. Die Situation bezeichnet er als «klassisch». Das Gewässer hat hier wenig Platz: Häuser, Landwirtschaft und Wege befinden sich in Bachnähe. An der Reuss sind zahlreiche Reviere vom Biber bereits besetzt, daher weicht der Nachwuchs im Alter von 2 bis 3 Jahren in Seitengewässer aus. Zum Beispiel in den Schwarzgraben. «Für eine ganze Biberfamilie wird der Platz auch dort knapp.» Im unteren Teil des Schwarzgraben dürfe der Nager gestalten, oben lieber nicht. Kommt Hochwasser hinzu, wirds für beide schwierig, für Mensch und Biber. Die Reuss dränge dann in den Schwarzgraben, sagt Beck. Auch des Bibers Damm sei so schon auf natürliche Weise geflutet und zerstört worden. Baut der Biber seinen Damm ausserdem zu nahe an die unteren Brücken, darf der Damm aus Sicherheitsgründen von Gemeindemitarbeitern entfernt werden. Ausschlaggebend sind Dammhöhe und Pegelstand.
Eine Ausnahmegenehmigung
Zwei Lager. Letztlich nichts Neues in Wohlenschwil. Das Tier habe im Dorf vor ein paar Jahren für einige rote Köpfe gesorgt, erzählt Dominique Sigrist. Damals habe sich der Biber beim Gemüsebauer Friedli niedergelassen. Gemüse sei wie von Zauberhand verschwunden, Wasser habe sich in den Feldern zurückgestaut. Einmal sei gar die Strasse mitsamt dem Traktor eingebrochen, weil der Biber die Strasse unterhöhlt hat. «Der Biber», sagt Sigrist, «hat mich damals als Gemeinderätin ordentlich auf Trab gehalten.» Mit Kantonsvertretern sei nach Lösungen gesucht worden, wie Biber und Mensch nebeneinander leben könnten. «Leider erfolglos», sagt Sigrist. Schliesslich habe die Gemeinde vom Kanton die Ausnahmegenehmigung erhalten, die Biberbauten auf Anhöhe des Gemüsebauers Friedli jeweils entfernen zu dürfen. Dort und bei der Brücke. Weil, wie eingangs erwähnt, der Bau des Bibers letztlich geschützt ist und illegales Entfernen strafbar.
Heidi Hess