Herr Matter, hätten Sie gerne mehr Geld?

Fr, 27. Aug. 2021

Interview: Der «Reussbote» hat sich mit dem Kulturchef des Kantons Aargau unterhalten – über ein Thema, über das man eigentlich nicht spricht

Gleich vier goldene Winkekatzen begrüssen einen, wenn man Georg Matter besucht. Ein Abschiedsgeschenk von den Kolleginnen und Kollegen der Kantonsarchäologie. Die asiatischen Talismane werden unter anderem aufgestellt, um Glück zu bringen – oder Geld.

Privat habe er keine Verwendung für die kleinen Figuren, sagt Georg Matter. Wenn, dann bei der Arbeit. Er kommt hinter einem riesigen Bücherregal hervor –irgendwo dahinten muss sein Schreibtisch stehen – und öffnet die Tür zum Besprechungsraum. Um einen grossen Tisch stehen zusammengewürfelte Stühle, wirklich jeder sieht anders aus, an den Wänden hängen Plakate eines Musikfestivals und am Boden türmen sich die Buchstabenwürfel der Kampagne «#kulturkanton». Einmal steht Matter während des Interviews spontan auf und posiert für ein Foto.

Herr Matter, der Aargau schneidet im kantonalen Vergleich der Kulturausgaben seit Jahren schlecht ab. Sollte man das nicht ändern?
Georg Matter: Als wirtschaftlich aufstrebender, bevölkerungsmässig viertgrösster Kanton in der Schweiz sollte es schon der Anspruch sein, mittelfristig im interkantonalen Ranking auch bezüglich Kultur aufzuholen. Wichtiger ist aber, die der Kultur zur Verfügung gestellten Mittel möglichst effizient und effektiv einzusetzen. Und der Kanton Aargau macht dies in vielen Bereichen bereits sehr gut und erfolgreich.

Wo zum Beispiel?
Zum Beispiel in den Bereichen Kulturvermittlung, Archäologie und Institutionsförderung.

Dennoch: In der Stadt Basel oder in Genf ist der Regierung Kultur fünfmal so viel wert. Hätten Sie gerne mehr Geld zur Verfügung?
Als Kulturhistoriker bin ich gewohnt, in grösseren Zeiträumen zu denken. Strategisches Vorgehen und tragfähige, nachhaltige Entwicklungsschritte sind mir deshalb wichtig. An schnelle Erfolge im Sinne von «gebt der Kultur einfach mehr Geld und alles wird besser» glaube ich nicht.

Wenn Kritik am Aargauer System der Kulturförderung laut wird, dann geht es aber meistens ums Geld. Letztes Jahr wurde das Budget des Aargauer Kuratoriums erhöht, «nur» um 200 000 Franken, aber immerhin. Das ist doch gut, oder?
Ja, das ist gut und ich freue mich, dass nach Jahren der Stagnation endlich wieder eine Erhöhung der Fördermittel des Kuratoriums möglich war. Damit kann das Delta, das sich zwischen wachstumsbedingt gestiegener Nachfrage und zur Verfügung stehenden Mitteln in den vergangenen Jahren aufgetan hat, etwas reduziert werden. Die Rahmenbedingungen der Kulturförderung im Allgemeinen und des Kuratoriums im Speziellen bleiben aber schwierig. Dabei geht es aber eben nicht nur ausschliesslich um Geld. Wir arbeiten zurzeit daran, hier Verbesserungen einzuleiten.

Als ein Problem wird ausserdem die unterdurchschnittliche private Kulturförderung genannt. Was wollen Sie dagegen tun?
In der Tat gibt es im Aargau im interkantonalen Vergleich wenig Stiftungen. Auch das private Mäzenatentum hat kaum Tradition, im Unterschied beispielsweise zu den Kantonen Basel-Stadt oder Genf. Dafür gibt es historische Gründe. Wir haben verschiedene Optionen geprüft, wie man das private Mäzenatentum fördern könnte und den Aargau für Stiftungen attraktiver machen könnte. Es ist aber schwierig. Einige angedachten Massnahmen haben sich als nicht umsetzbar erwiesen, andere werden erst langfristig hoffentlich Wirkung zeigen. Wir bleiben aber dran – letztlich geht es dabei ja nicht nur um Geld, sondern auch um kulturelle Teilhabe.

Sie sind jetzt seit über einem Jahr Aargauer Kulturchef. Als es darum ging, Ihr Amt zu besetzen, hat Regierungsrat Alex Hürzeler in einem Interview gesagt: «Es braucht keine Revolution. Erneuerungen müssen aus der Kultur selber kommen.» Das hörte sich an, als suchte man lediglich einen Verwalter des Status quo. Mit welchen Plänen sind Sie angetreten?
Es geht aktuell tatsächlich nicht darum, das Rad in Bezug auf die Kernaufgaben der Kultur neu zu erfinden. Vielmehr geht es darum, die bestehenden Stärken weiter auszubauen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass wir dort, wo sich in den letzten Jahren neue Herausforderungen ergeben haben und wir entsprechend nicht optimal unterwegs sind, positive Entwicklungen einzuleiten, vor allem in der Kulturförderung und -pflege.

Haben Sie das geschafft?
Ja, durchaus – und das, obwohl uns die Corona-Krise in den vergangenen 15 Monaten auch im Kulturbereich ziemlich absorbiert hat. Ich denke da beispielsweise an das Förderprogramm Kulturvermittlung und Digitalität. Oder das Themenjahr Industriekultur. Ausserdem haben wir die Planungen für die Erarbeitung des nächsten Kulturkonzepts für die Jahre 2023 bis 2028 an die Hand genommen. In diesem Rahmen werden für die kommenden Jahre die massgeblichen Leitplanken für die kantonale Kulturpolitik festgelegt und konkrete Massnahmen für die Weiterentwicklung der Kulturlandschaft im Aargau definiert.

Das Kulturkonzept ist ein 89 Seiten starker Wälzer und dient Ihnen bei der Arbeit als Wegweiser. Es wird überarbeitet, gleichzeitig werden die darin enthaltenen Massnahmen und Ziele überprüft. Was erwartet uns?
Es ist jetzt noch zu früh, um inhaltlich mehr verraten zu können. So viel vorab: Das Kulturkonzept hat sich als Werkzeug bewährt.

Was ist derzeit ihr liebstes Projekt zur Kulturförderung?
Oh, das ist eine schwierige Frage! Und zwar, weil so viele tolle Projekte umgesetzt oder vorbereitet werden. Ein Meilenstein für die Kultur im Aargau ist sicher die Alte Reithalle in Aarau, deren Eröffnung im Herbst kurz bevorsteht. Dieses neue Mehrspartenhaus wird nicht nur dem Theater- und Tanzbereich im Aargau weiteren Schub verleihen, sondern als Homebase von «argovia philharmonic» auch im Klassikbereich eine neue Ära einläuten.

Hören Sie gerne Klassik?
Ich bin ein grosser Musikfan und kann mich wirklich für sämtliche Genres begeistern – Hauptsache die Qualität stimmt. Und seit ich Abteilungsleiter Kultur bin, entdecke ich mit zunehmender Begeisterung vermehrt auch den Tanz- und Theaterbereich.

Was bedeutet Kultur für Sie?
Als Archäologe und Historiker weiss ich, dass kultureller Ausdruck, dass Kultur an sich, elementar ist, sowohl für den einzelnen Menschen, als auch für das Zusammenleben der Menschen in einer Gruppe. Sprich, Kultur ist fundamental – für die menschliche Gesellschaft und für uns als Individuen. Das galt für die Jäger und Sammler vor 35 000 Jahren genauso, wie es für unsere modernen Gesellschaften gilt. Ich bin überzeugt, dass das kulturelle Schaffen und ein offenes, dynamisches und vielfältiges Kulturleben gerade für unsere hochkomplexen modernen Gesellschaften überlebenswichtig ist.

Warum?
Letztlich ist Kultur ja nicht – wie wir heute oft fälschlicherweise meinen – einfach Unterhaltung, Zerstreuung. Nein, Kultur ist eine spezifische, mächtige Form von Kommunikation. Sie kreiert, reflektiert, transportiert und stabilisiert gemeinsame Werte und Ideen. Über die Kultur versichern wir uns unserer gemeinsamen Werte, schaffen Vertrauen und legen damit die Basis für unser Zusammenleben. Insofern ist die soziale Funktion der Kultur nicht hoch genug einzuschätzen. Ohne eine lebendige Kultur für alle gibt es kein funktionierendes gemeinsames Zusammenleben. Insofern ist für mich ein funktionierendes Kulturleben aus gesellschaftlicher Sicht genauso elementar wie eine funktionierende Wirtschaft. Ja, letztlich bedingen sich beide.

Eigentlich wollte ich das Thema Corona vermeiden, aber jetzt frage ich doch: Wie viel Pech muss ein Kulturchef eigentlich haben, um direkt bei Amtsantritt mit einer Pandemie konfrontiert zu werden?
Ach, ich habe das nie als Pech empfunden. Ich mag Herausforderungen! Natürlich habe ich mir den Einstieg in die neuen Aufgaben anders vorgestellt, aber letztlich hatte die Corona-Situation auch den Effekt, dass ich über die Unterstützungsmassnahmen, die wir umgesetzt haben, sehr schnell einen sehr umfassenden Überblick über die Kulturlandschaft im Aargau erhalten habe. Ausserdem war es wirklich eine tolle Erfahrung, mit unserem Team und mit den Kulturakteuren gemeinsam durch die Krise zu navigieren. Ich habe sehr viel gelernt und bin beeindruckt von der grossen Solidarität, die in der Krise spürbar wurde zwischen Politik, Verwaltung und Kulturakteuren. Darauf müssen wir weiter aufbauen!

Wann waren Sie das letzte Mal auf einer kulturellen Veranstaltung? Wie war es?
Insbesondere im Juni durfte ich an vielen tollen Kulturveranstaltungen mit dabei sein. Was für eine Freude nach den lähmenden Monaten des kulturellen Lockdowns! Da war beispielsweise das Eröffnungskonzert des Boswiler Sommers mit der Mezzosopranistin Vesselia Kasarova – wunderbar! Oder diverse unglaubliche Veranstaltungen im Rahmen des Festivals für zeitgenössische Zirkuskunst «cirqu’8» in Aarau. Oder die Premiere der Tanzproduktion «Sei Nacht zu mir» von Tanz & Kunst Königsfelden. Und, und, und …

Auch im Verbreitungsgebiet des «Reussbote» sind im vergangenen Jahr Fördergelder des Kuratoriums geflossen, für das «Tradinoi» in Mellingen etwa, die «Zähnteschüür» in Oberrohrdorf, den Kulturkreis Niederrohrdorf oder an einzelne Musiker. Ein zweiter Topf ist der Swisslos Fonds. Hieraus wurde unter anderem das Freilichtspiel in Wohlenschwil unterstützt. An was denken Sie, wenn Sie das Reusstal und den Rohrdorferberg mit Kultur in Verbindung bringen?
Das sind alles Namen, die mir bekannt sind. Ich muss allerdings gestehen, dass ich diese Veranstaltungsorte noch nicht besucht habe. Ansonsten kommt mir noch, etwas weiter weg, das «qba» Oberwil-Lieli, das Kellertheater Bremgarten oder das Kino Cinepol Sins in den Sinn. Und als Archäologe denke ich beim Reusstal natürlich an eine der absoluten Top-Fundstellen im Kanton Aargau: Die national und international bedeutende Grabhügel-Nekropole in Unterlunkhofen.

Interview: Stefan Böker


Zur Person

Bevor Georg Matter Leiter der Abteilung Kultur im Departement BKS wurde, war er zwei Jahre Stellvertreter des Chefs. Er ist bekannt als Kantonsarchäologe. Dieses Amt bekleidete er sieben Jahre lang. Vor seiner Tätigkeit beim Kanton war Georg Matter während zehn Jahren als Gründungs- und Geschäftsleitungsmitglied der Firma ProSpect GmbH in Reinach/BL tätig. Er hat verschiedene Lehraufträge an den Universitäten Basel und Zürich und hat diverse Publikationen veröffentlicht. Georg Matter ist 1970 geboren, Vater zweier Kinder und lebt mit seiner Familie in Aarau. (red.)

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