«Big Brother» oder sinnvolle Massnahme?
03.09.2021 Stetten, Region ReusstalGegen die Verfügung zur Videoüberwachung kann bis Ende September Beschwerde erhoben werden
Der Gemeinderat Stetten hat die Videoüberwachung von Gemeindehaus und Schulareal verfügt. Grund: massive Kosten durch Sachbeschädigungen und Littering. Das Kamera-Modell ...
Gegen die Verfügung zur Videoüberwachung kann bis Ende September Beschwerde erhoben werden
Der Gemeinderat Stetten hat die Videoüberwachung von Gemeindehaus und Schulareal verfügt. Grund: massive Kosten durch Sachbeschädigungen und Littering. Das Kamera-Modell könnte in anderen Gemeinden Schule machen.
Auf 30 000 bis 50 000 Franken schätzt Gemeinderat Stephan Schibli die Kosten, die in den vergangenen Jahren durch Littering und Vandalenakte am Gemeindehaus und vor allem am Schulhaus Egg entstanden sind. Graffiti und angezündete Abfalleimer waren dabei nur die Spitze des Eisbergs. So wurde beispielsweise in die Turnhalle eingebrochen, die Täter verschmierten obendrein die Holzvertäfelung. Das Fass zum Überlaufen brachte jedoch die komplett zerstörte Haupttüre des Oberstufengebäudes vor einem Jahr. Sachschaden: 25 000 Franken. «Der Gemeinderat hat entschieden, dass die Steuergelder sinnvoller verwendet werden können», erklärt Projektleiter Schibli beim Ortstermin. Zumal die Zahl der Delikte in den vergangenen zwei Jahren zugenommen habe.
Hochmoderne Technik
Rund 26 000 Franken liess sich die Gemeinde daraufhin das hochmoderne Kamerasystem, inklusive Installation, kosten. Insgesamt 13 Kameras sollen künftig den Eingangsbereich des Gemeindehauses sowie fast jeden Winkel des Schulareals überwachen. Bis auf eine handelt es sich dabei um Ultra-HD-Kameras der Firma Unity mit 4K-Auflösung: «Das ist viermal besser als ihr HD-Fernseher zu Hause», erklärt Stephan Schibli stolz. Darüber hinaus seien die HD-Kameras auch noch deutlich günstiger als die weniger guten Modelle des aktuellen Marktführers.
Datenschützer gaben grünes Licht
Doch einfach so Kameras im öffentlichen Raum aufhängen – das geht natürlich nicht. Die Gemeinde musste zunächst ein Reglement ausarbeiten, das die Videoüberwachung begründete und genau festlegte, wie, wo und wann diese stattfinden und wer Zugang zu den sensiblen Daten haben sollte. Anschliessend wurde das Gesuch vom Departement Volkswirtschaft und Inneres geprüft und genehmigt.
«Die Anforderungen dafür sind sehr hoch», erklärt die Datenschutzbeauftragte des Kantons, Gunhilt Kersten. Es müsse Gefahr für Leib und Leben bestehen oder mehrfach Sachschaden im grösseren Ausmass entstanden sein: «Es ist ausserdem immer eine Interessensabwägung zwischen Schutzbedürfnis und Privatsphäre», so Kersten.
Begrenzter Zugang zu Daten
Für die endgültige Bewilligung musste die Gemeinde ausserdem ein umfangreiches Datenschutzkonzept vorweisen, um sicherzugehen, dass keine Unbefugten an die Aufzeichnungen gelangen können. Die Kameras seien über ein separates LAN-Netzwerk verbunden, auf das nicht von aussen zugegriffen werden kann, erklärt Stephan Schibli. Zugang zu den Daten, die auf einem physischen Server im verschlossenen EDV-Raum der Schule hinterlegt sind, haben ausserdem nur der Gemeinderat und der Leiter Technischer Dienst, mit Hilfe einer Zweifaktoren-Verifizierung – ähnlich wie beim Online-Banking. Dies allerdings nur, falls tatsächlich etwas im überwachten Bereich vorgefallen sein sollte. Dann haben die Verantwortlichen drei Tage Zeit, die Daten auszuwerten und gegebenenfalls der Polizei zu übergeben. Anderenfalls werden die Daten innert sieben Tagen gelöscht.
Keine Schülerüberwachung
Da die Kameras wochentags nur von 19 bis 7 Uhr und am Wochenende aufzeichnen, hat Schulleiter Dani Würmlin bisher keine negativen Reaktionen seitens der Eltern zur geplanten Überwachung gehört. Er selbst hat kein Problem damit. Im Gegenteil. Er hofft, dass man so den Schuldigen auf die Spur kommt: «Es heisst immer, dass es die Oberstufenschüler waren, wenn etwas passiert», bemängelt Würmlin, der eher vermutet, dass die Übeltäter junge Erwachsene zwischen 18 und 25 sind, die keinen anderen Ort haben, um sich zu treffen. Eine Vermutung, zu der sich Schibli nicht hinreissen lassen möchte. Er hofft dagegen, bald die ebenfalls vorgeschriebenen Hinweistafeln aufstellen zu können. Die Kameras könnten dann Mitte Oktober ihre Arbeit aufnehmen – sofern bis Ende September keine Beschwerde beim Departement eintrifft.
Projekt mit Modellcharakter
Die umliegenden Gemeinden werden den Erfolg des Projekts genau verfolgen. Laut Umfrage des «Reussbote» sind Vandalenakte und Littering auch in anderen Ortschaften ein Thema. Videoüberwachung gibt es zwar bisher nirgends, mancherorts ist man aber schon an der Planung. Niederwil will Sachbeschädigung mittels Kameras einen Riegel vorschieben und ist dabei, die Kosten zu budgetieren. Künten erwägt ein Reglement zur Überwachung des Entsorgungsplatzes. Das Stettener Modell könnte weitere Prozesse in Gang setzen.
Michael Lux
Mägenwil: Kamera ohne Erlaubnis in Turnhalle installiert
In Mägenwil sorgte vor drei Jahren ein Fall einer unerlaubten Videoüberwachung für Schlagzeilen. Ein Angestellter der Gemeinde war freigestellt worden, nachdem er eine Überwachungskamera an der Turnhalle installiert hatte. Der Gemeinderat und der Angestellte lösten in der Folge das Arbeitsverhältnis auf, obwohl sich zu Gunsten des Mannes ein Komitee eingesetzt und 400 Unterschriften gesammelt hatte. Die Staatsanwaltschaft bekräftigte damals die Unschuld des Mitarbeiters, dieser habe sich strafrechtlich nichts zu Schulden kommen lassen. (bn)



