Auswanderer gründen in Amerika Neu-Mellingen

Fr, 15. Okt. 2021

Im 19. Jahrhundert wanderten auffällig viele Personen aus der Schweiz aus. Zur saisonalen Emigration kamen Auswanderungswellen hinzu, die auffällig mit schlechten Ernten in Bezug standen. Auch aus Mellingen wanderten einige Familien aus.

Migration ist nichts Neues. Auch die Gründe für die Migration haben sich nicht grundlegend verändert: Erschwerte Lebensbedingungen wegen Krieg, Hunger und Vertreibungen, aus wirtschaftlichen Gründen oder einfach nur aus Wanderlust oder Neugierde. Das war auch für all die Schweizer Auswanderer nicht anders. Hierzulande diskutieren Politik und Gesellschaft über die Einwandeurng. Dass die Schweiz aber auch ein Auswanderungsland war, ist vielen nicht bewusst. So schickte zum Beispiel die Gemeinde Rothrist 1855 in einer konzentrierten Aktion 12 Prozent ihrer Bevölkerung nach Nordamerika. Grund: Über Jahre hinweg hatten die Sozialausgaben massiv zugenommen und Dutzende von Familien waren auf Unterstützung angewiesen. Unmittelbare Ursache der Notsituation war eine Nahrungsmittelknappheit, wie der Historiker und Mellinger Museumsgestalter Dominik Sauerländer in seinem Beitrag «Die Schweiz als Auswanderungsland» schreibt. Zwischen 1835 und 1855 sind die landwirtschaftlichen Erträge massiv geschrumpft und die Lebenmittelpreise entsprechend angestiegen, so Sauerländer. Dass sich die Krise aber über die Mangeljahre hinauszog, lag allerdings an den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen. Überbevölkerung und damit einhergehende prekäre Arbeitsbedingungen waren bezeichnend für das ganze 19. Jahrhundert – trotz solidem Wirtschaftswachstum. Dank hoher Bevölkerungsdichte verfügten die Unternehmer stets über genügend und billige Arbeitskräfte. In der Krise gerieten die Arbeiterfamilien rasch in Not, da sie keinerlei Reserven anlegen konnten und kaum selber Nahrungsmittel produzierten. Dieser Krisenmechanismus änderte sich erst mit der Besserstellung der Arbeiterschaft und dem Umbau der Landwirtschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Mellinger verliessen ihre Heimat
Auch in Mellingen ist bekannt, dass die Gemeinde Personen bei ihrer Auswanderung unterstützte. Im «Reussbote» vom 14. Juli 1976 verfasste alt Vizeammann und Verleger Albert Nüssli einen Beitrag zu den Mellinger-Auswanderern nach Amerika. Grund für diesen Artikel war die 200-Jahr-Feier der Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Am 17. August 1851 verliessen in Mellingen zehn Personen ihre Stadt und reisten, in der Hoffnung eine bessere Existenz zu finden, nach Amerika aus. Es herrschte damals eine der schlimmsten Wirtschaftskrisen. Teilnehmer der Auswanderer waren der 50 Jahre alte Christian Frei (Schreiner) mit seiner vier Jahre älteren Gattin Marie Anna und den beiden Söhnen Leodegar und Konstantin. Dann die beiden in den Zwanzigerjahre stehenden Katharina und Jakobea Bumbach, erstere mit einem Kind namens Lina. Dann der 63 Jahre alte Augustin Wassmer, mit seinem Sohn Peter, dagegen ohne seine Frau, die unlängst beim Stadtrat wegen Misshandlung vorstellig geworden war. Auch der 37 Jahre alte Schuhmacher Xaver Frei wanderte aus, ebenfalls ohne seine Frau, von der er bereits seit einiger Zeit getrennt gelebt, ihr aber immerhin auf Drängen des Stadtrates das zu erwartende väterliche Erbe hatte zuschreiben lassen. Diese neunköpfige Gruppe ist am 3. September in Le Havre eingeschifft worden, nachdem am Tage zuvor die kleine Lina verstorben war.

Weitere Auswanderungen
Die Berichte, die von diesen Ausgewanderten in die Heimat gelangten, dürften nicht ungünstig gelautet haben, sind doch aus den Akten im damaligen Zeitturmarchiv weitere Abreisen bekannt. So im Jahre 1852 drei Bürger, ein Jahr später vier Personen und im Jahre 1854 eine Familie mit sieben Personen, für deren Hinreise mit Chaise (eine leichte Kutsche) und Pferd nach Aarau 18 Franken vergütet wurden. Weitere Auswanderungen sind im Stadtarchiv festgehalten, so u. a. 1867 als die Brüder Heinrich und Leonhard Schwarz nach Amerika auswanderten.
Viele dieser Auswanderer wurden in Amerika für die Armee rekrutiert. 1861 bis 1865 wütete nämlich in den Staaten der sogenannte Sezessionskrieg. Ein Bürgerkrieg, der die Nordstaaten 360 000, die Südstaaten 260 000 Tote gekostet hat.

Reisegeld von der Gemeinde
Die Auswanderer erhielten von der Stadt ein Reisegeld von 225 bis 350 Franken je Person. Die vierköpfige Familie des Christian Frei bekam 960 Franken, die sechsköpfige des Xaver Zumstein 1800 Franken. Hierbei handelte es sich mehr oder weniger um einen Kostenvorschuss. In gewissen Fällen war auch eine Unterstützung durch die kantonale Armenkommission möglich.
Die Behörde sorgte auch für gute Begleitung der Auswandernden und bemühte sich um eine vertrauenswürdige Auswahl. Mehrere Dokumente bezeugen, dass die nötigen Formalitäten, Unterkunft und Verpflegung von den internationalen Reiseagenturen mit Sorgfalt und zur Zufriedenheit der Auswandernden führten.

Neu-Mellingen in South Dakota
Die Einwanderer aus Mellingen sollen sich, gemäss den Dokumenten im Stadtarchiv, etwa 50 Kilometer südlich der Stadt Aberdeen im Staate South Dakota angesiedelt haben, worauf sie diese Niederlassung als Neu-Mellingen benannten. In der Folge kamen viele Einwanderer aus anderen Ländern hinzu, während es der Neu-Mellinger immer weniger wurden. Der in jungen Jahren von Mellingen nach Amerika ausgewanderte Fritz Vontobel machte im Laufe seiner mehr als 50-jährigen Geschäftstätigkeit in New York Bekanntschaft eines Mellingers namens Brunner, der lange Zeit in Neu-Mellingen lebte. Er berichtete, dass sich Neu-Mellingen zu einer ansehnlichen Gemeinde entwickelt hatte und heute offiziell Mellette heisst. Dieser Brunner stammte offenbar aus der Mellinger Bruggmühle, die früher in der Nähe des Zentralplatzes war. Der Bruggmüller Franz Josef Brunner erwarb 1818 das Bürgerrecht.

Benedikt Nüssli

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