Das Jahr 2021 im Rückblick – festgehalten in fünf Bildern
31.12.2021 Region ReusstalDie Hoffnung war gross. Jetzt erweist sie sich als Trugschluss: Corona wird uns nicht so einfach aus seiner Geiselhaft entlassen. Im Gegenteil. Das Virus mutiert variantenreich und grassiert weiter. Unsere Spitäler geraten nach zwei Jahren Pandemie erneut an Kapazitätsgrenzen. Auf ...
Die Hoffnung war gross. Jetzt erweist sie sich als Trugschluss: Corona wird uns nicht so einfach aus seiner Geiselhaft entlassen. Im Gegenteil. Das Virus mutiert variantenreich und grassiert weiter. Unsere Spitäler geraten nach zwei Jahren Pandemie erneut an Kapazitätsgrenzen. Auf Intensivstationen füllen sich Betten, Personal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ist überlastet, die Triage droht. Dabei ist Impfstoff, der das Schlimmste verhindern könnte, seit Anfang Jahr vorhanden. Die Anzahl Geimpfter aber ist zu tief. Und deshalb bleibt die Frage: Weshalb dieser Widerstand? Wo bleibt die Solidarität? Solidarität mit Risikogruppen, mit jungen Menschen, die Perspektiven brauchen, mit dem Gewerbe, der Kultur, dem Sport? Warum glauben viele Menschen, dass ihre individuellen Bedürfnisse Vorrang haben vor jenen einer ganzen Gemeinschaft? – Über den eigenen Schatten springen täte not und würde uns allen helfen. Und es würde Raum geben, uns anderen herausfordernden Themen zuzuwenden: Klimawandel ist ein Stichwort.
Dieses Jahr war dennoch mehr als SARS-CoV-2 und Covid 19. Blenden wir zurück in die Region. Fünfmal richtet das Team des Reussboten den Fokus auf Begegnungen, Erlebnisse oder Erfolge und schildert, was Redaktorinnen und Redaktoren bewegte, freute oder überraschte.
Zum Beispiel das Wetter. Mitte Januar bescherte es uns massenhaft Schnee, im Sommer nur sehr wenige Hitzetage und Mitte Juli innert Stunden so viel Regen, dass die Pegel an der Reuss Rekordhöhen erreichten. Nicht nur Mellingen musste sich aus diesem Grund tage- und nächtelang vor der Flut schützen.
Wir freuten uns über sensationelle Erfolge der Fislisbacher Wasserspringerin Michelle Heimberg an der Europa-Meisterschaft in Budapest und den Olympischen Spielen in Tokio. Im Spätsommer fieberten wir mit den Akteuren des Freilichtspiels «Schwertstreich» mit und konnten in Wohlenschwil grossartiges Theater erleben. In Niederwil sorgte der neue Standort der Asylunterkunft für Schlagzeilen. Wir besuchten die Menschen, die in der Unterkunft leben und lernten hochmotivierte, sympathische junge Männer kennen. Berührt hat uns auch die Geschichte von Mirjam Widmer aus Niederrohrdorf, der dank einer Organspende ein zweites Leben geschenkt wurde. Machen wir weiter! Solidarisch, unverzagt und fröhlich im Herzen. Auf ein glückliches und gesundes 2022!
Heidi Hess, Redaktorin
Eine Welle der Solidarität begleitet die Flut
Diese Momentaufnahme ist am Vormittag des 15. Juli entstanden, fotografiert von der Reussbrücke in Mellingen. An diesem Donnerstag ist das Städtchen seit Tagen im Ausnahmezustand, der Pegel unter ständiger Beobachtung. Alle sind in grosser Sorge. Auch ich. Ich staune über die Wassermassen, in welchen ganze Baumstämme treiben, fühle mit den Betroffenen mit. Immer wieder zieht es mich mit Kamera und Notizblock ans Ufer der Reuss. Ich verfolge das Geschehen auch in den Medien: Was macht Luzern? Wieviel Wasser bringt die Kleine Emme? Hält der Damm in Sins? Feuerwehr- und Zivilschutzleute waten, bewehrt mit Holzplanken und Motorsägen knöcheltief im Wasser. Sie sind überall, arbeiten Hand in Hand. Viele kleine Rädchen, die ineinander greifen. Unermüdlich unterstützen sie Anwohnerinnen und Anwohner, kontrollieren und dichten Zugänge ab. Wille und Tatkraft sind auch nach langen Tagen und kurzen Nächten ungebrochen.
Bei allem Bangen, aller Sorge vor dem Wasser beeindruckt mich diese Solidarität. Sie lässt nicht nach. Bis der Pegel sinkt, die Gefahr vorbei ist und Mellingen keine grösseren Schäden zu melden hat.
Heidi Hess
Eine Geschichte, die zum Nachdenken anregt
Zu den schönen Seiten unseres Berufs gehört es, dass man quasi mit jedem Menschen, den man trifft, mit jeder Geschichte, die man schreibt, ein kleines bisschen dazulernt – im Idealfall zumindest. In diesem Jahr habe ich zum Beispiel gelernt, dass der weltschärfste Chili im Reusstal wächst, dass man mit abgeschnittenen Haaren nicht nur den Abfluss verstopfen, sondern auch die Weltmeere retten kann, oder warum Fledermäuse Weihnachtsbeleuchtung hassen.
Ab und an stösst man aber auch auf Themen, die einen zum Nachdenken anregen, beziehungsweise mit denen man sich vielleicht sonst gar nie beschäftigt hätte. Dazu gehört für mich das Thema «Organspende», das wir im Rahmen der letzten Grossauflage («Reussbote», Freitag, 3. Dezember) aufgegriffen hatten. Wie für die meisten Menschen, die nicht direkt betroffen sind, war es für mich weit weg und sehr abstrakt. Bis zur Begegnung mit Mirjam Widmer aus Niederrohrdorf, die seit ihrer Geburt an Cystischer Fibrose litt, und dank einer neuen Lunge ein zweites Leben geschenkt bekam. Das Bild, das an ihrem Lieblingsplatz am Waldrand oberhalb von Oberrohrdorf entstanden ist, symbolisiert den langen Weg, der sie letztendlich an ihr Ziel geführt hat, und an dessen Ende sie endlich wieder lachen kann.
Michael Lux
Schwer tstreich: Das kulturelle Highlight
Sie haben daran geglaubt, die Macher des Wohlenschwiler Freilichtspiels Schwertstreich. Allen Umständen zum Trotz zogen sie ihr Projekt durch und führten Schwertstreich im September insgesamt sieben Mal auf. Ihr Mut hat sich gelohnt, alle sieben Vorstellungen waren bis auf den letzten Platz ausverkauft und das Publikum war restlos begeistert. Autor und Regisseur Peter Locher (kleines Bild) hatte das nötige Gespür, aus der Geschichte des Dorfpfarrers Welti ein Freilichtspiel zu inszenieren, das berührt. Es ist eine Geschichte die tragisch endet. Gespielt von Laien, die Pfarrer Weltis Leben und Sterben darstellen, wie wenn sie 1833 selbst dabei gewesen wären. Locher ist es als Regisseur gelungen, die «ver-rückte» Geschichte von Pfarrer Welti szenisch und dramaturgisch zu einem packenden Drama zu verdichten, das Welti als einen faszinierenden Menschen mit all seinen finsteren Abgründen zeigt.
Benedikt Nüssli
Fussball als Ausgleich zur Arbeit
Sie sind jung und haben Perspektiven. Und das trotz schwieriger Vergangenheit. Im Interview mit dem «Reussbote» im Oktober sprachen Mohamed Hussein Kazemi (25) und Zaher Husseyni (25) über ihre Vergangenheit und ihre Zukunft. Die beiden leben fern ihrer Heimat Afghanistan in der Asylunterkunft in Niederwil. Beeindruckend ist ihr unbändiger Wille, zu arbeiten. Sie sind froh, dass sie eine Stelle gefunden haben. Dafür werden Nachtschichten, der Weg mit dem Fahrrad bei Wind und Wetter in Kauf genommen – es gibt keinen Bus bei Arbeitsbeginn. Beide arbeiten im Online-Verteilzentrum der Migros in Bremgarten. Gerne würden sie mehr Kontakt zur Bevölkerung haben. Bisher sind diese trotz ihrer guten Deutschkenntnisse nur spärlich vorhanden. Über ihre Heimat sprechen beide mit Wehmut. Die Trauer ist bei Zaher Husseyni in den Augen zu sehen. Als Ablenkung spielen sie gerne Fussball. Der Wunsch, in einem Verein zu spielen, blieb bis anhin unerfüllt.
Debora Gattlen
Heimberg holt Olympia-Ticket
Es war ein schwieriges Jahr für alle Sportlerinnen und Sportler sowie für alle Vereinsfunktionäre. Auch dieses Jahr verlangte das heimtückische Coronavirus von allen ein grosses Mass an Flexibilität. Auch für die Fislisbacher Wasserspringerin Michelle Heimberg. Sie hatte keine Trainingsmöglichkeiten mehr, alle Fitnesscenter waren im Frühling geschlossen. Und es standen die EM in Budapest und die Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele in Tokio vor der Türe. Auf einen Aufruf im «Reussbote» stellten Rolf und Antoinette Wettstein vom Fitnesscenter «Fit 54» in Mellingen der Fislisbacher Wasserspringerin ihr Fitnesscenter zur Verfügung, damit sich Heimberg auf die bevorstehenden Grossanlässe vorbereiten konnte. Und siehe da: Heimberg holte an der EM in Budapest vom 1-Meter-Brett die Silbermedaille. Im Final musste sie sich nur von der Italienerin Elena Bertocchi schlagen lassen. Und gleich danach löste die Wasserspringerin das Olympia-Ticket. Was für eine grandiose Saison für Heimberg.
Benedikt Nüssli