Verstummt der Gesang der Feldlerche bald ganz?
21.01.2022 Region ReusstalBirdlife hat die Feldlerche zum Vogel des Jahres 2022 gekürt. Der Bestand hat bedrohlich abgenommen und ist als «verletzlich» eingestuft
Ihr Gesang verzückt nicht nur Artgenossen. Er war früher oft aus luftiger Höhe über den Feldern und Wiesen zu ...
Birdlife hat die Feldlerche zum Vogel des Jahres 2022 gekürt. Der Bestand hat bedrohlich abgenommen und ist als «verletzlich» eingestuft
Ihr Gesang verzückt nicht nur Artgenossen. Er war früher oft aus luftiger Höhe über den Feldern und Wiesen zu hören. Inzwischen ist das Lied der Feldlerche im Mittelland fast gänzlich verstummt.
Sie steht stellvertretend für viele weitere bedrohte Vogelarten, die Mitten im Kulturland leben. Die Feldlerche war früher häufig anzutreffen. Heute ist sie durch die fortschreitende Industrialisierung der Landwirtschaft und der dichten Besiedelung vom Aussterben bedroht. Birdlife hat die Feldlerche deshalb zum Vogel des Jahres 2022 gekürt. Der unscheinbare, spatzengrosse Vogel steht heuer zum ersten Mal als «verletzlich» auf der Roten Liste. In weiten Bereichen im Mittelland ist der Gesang der Feldlerche bereits verstummt. Auch im Einzugsgebiet des «Reussbote» sind seit fast 30 Jahren keine Sichtungen vorgekommen. Eine Ausnahme ist das Birrfeld. Der Kanton führt unter anderen auch an diesem Standort zusätzliche Förderungsprogramme durch. In den letzten zehn Jahren, hat aber auch hier die Population abgenommen. «Es kann durchaus sein, dass auch im Birrfeld der Gesang der Feldlerche in zehn Jahren für immer verstummt», sagt Werner Bühler, Präsident Natur- und Vogelschutzverein Birrfeld. Informationstafeln über die Feldlerche sollen dafür sorgen, dass den verbleibenden Feldlerchen im Birrfeld Sorge getragen wird.
Bestand geht kontinuierlich zurück
Mögliche Gründe für den stetigen Rückgang der Feldlerchen im Birrfeld sind unter anderen neue Kiesgruben, das Argovia-Fest, es findet während der Brutzeit statt, und auch immer mehr Störungen durch Menschen und Hunde, die das Gebiet zur Naherholung nutzen. Dazu kommen die intensiv bewirtschafteten Landwirtschaftsflächen und natürliche Räuber, wie Greifvögel oder Katzen. In den letzten Jahren wurden auf rund 3,5 Quadratkilometern jeweils zwischen 20 und 30 Feldlerchensänger festgestellt. Vor 15 Jahren wurden noch 50 Vögel gezählt. Rund um das Birrfeld sieht es nochmals deutlich schlechter aus. Früher gab es Richtung Mägenwil und Birmenstorf vereinzelte singende Feldlerchen. Seit mindestens acht Jahren wurden keine mehr gesichtet. Auch in inzwischen wieder mit Naturschutzprogrammen aufgewertete Gebiete in Sulz oder im Gnadenthal gibt es bis anhin keine Rückkehr der Feldlerchen. «Ist eine Vogelart verschwunden, braucht es sehr lange, bis sie wieder zurückkehrt», sagt Alois Vogler, Stetten. «Ich habe noch nie eine Feldlerche bei uns gehört.» Damit die Lerchen zurückkehren, müsste der Bestand in den bisher besiedelten Gebieten ansteigen. Die Vögel leben gerne in Gemeinschaften. Erst wenn zu viele Vögel vorhanden sind, ziehen sie in andere Gebiete weiter. Da zurzeit die Bestände weiter abnehmen, ist das ein Wunschdenken.
Gesang beeindruckte Shakespeare
Wer einmal den Gesang einer Feldlerche gehört hat, wird ihn nie vergessen. «Ich habe den Gesang der Lerchen als Kind auf dem Schulweg von Birrhard nach Lupfig gehört», sagt Annelies Furter, Vorstandsmitglied im Navo Birrfeld. «Damals gab es noch keinen Veloweg und wir fuhren über Feldwege zur Schule. Da war der Gesang der Feldlerche jeweils hoch über den Feldern zu hören.» Furter lebt seit ihrer Kindheit in Birrhard. Sie freut sich bereits auf das nächste Feldlerchen-Monitoring, der Zählung der Vögel, im Frühjahr. Gezählt werden männlichen Lerchen, die sich auf dem Singflug circa 50 bis 100 Meter über den Feldern befinden. «Der Gesang wird mich in die Kindheit zurückversetzen», sagt sie. Minutenlang flattert die Feldlerche im Frühling über den Feldern und Wiesen und beglückt mit ihrem fast pausenlosen Gesang. Damit versuchen die Männchen ein Weibchen zu gewinnen. Schon Shakespeare war von den Gesangskünsten der Feldlerche beeindruckt und ihn in «Romeo und Julia» ein Denkmal gesetzt: «Es war die Nachtigall, und nicht die Lerche, die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang.»
Rekord im Schnellbrüten
Die Feldlerche brütet am Boden in Wiesen und Äckern. Bereits im April legen die ersten Weibchen bis zu fünf Eier. Die Bebrütung beträgt zwölf Tage. Nach weiteren sieben bis zwölf Tagen verlassen die flugunfähigen Jungen das Nest. Damit hält die Lerche den Rekord mit der kürzesten Nestlingszeit unter den einheimischen Singvögeln. Doch selbst diese Anpassung ans Kulturland reicht heute nicht mehr für eine erfolgreiche Brut aus. Als ursprünglicher Steppenbewohner favorisiert der Vogel offene Landschaftsräume und eine niedrige, lückige Vegetation. Diese findet die Lerche in den intensiv bewirtschafteten Landwirtschaftsflächen oft nicht. Es gibt keine sicheren Brutplätze. Die Nester werden zum einen durch häufig mechanisch durchgeführte Unkrautbekämpfung zerstört. Zum andern finden die Vögel zu wenig Nahrung. Die Wiesen werden zu oft gedüngt, gemäht und der Pestizideinsatz auf den Feldern ist hoch. Dadurch sind nicht ausreichend Insekten und Spinnentiere vorhanden. Infolgedessen ist die Feldlerche im Mittelland fast gänzlich verschwunden. Aber auch in den Alpen ist sie zunehmend bedroht.
Förderungsprogramme als Hilfe
Aufgrund der dramatischen Abnahme der Population steht der einstige Allerweltsvogel nun erstmals auf der bald erscheinenden neuen Roten Liste der Brutvögel der Schweiz erstmals in der Kategorie «verletzlich». Ohne Schutzprojekte von Birdlife und im Birrfeld durch Förderprojekte durch den Kanton, wäre der Rückgang der Feldlerchen in den letzten Jahren noch grösser ausgefallen. Es gibt zwei Ansätze den Trend aufzuhalten: die Schaffung von Biodiversitätsförderflächen mit Buntbrachen und Wildblumenstreifen. Zusätzlich werden spezielle Massnahmen auf Ackerflächen gefördert. Unter anderen mit der Saat von Weizen oder mit auf den Feldern bewusst angelegte ungesäten Stellen, sogenannten Lerchenfenstern. «Es gibt auch in unserer Region Bestrebungen für Aufwertungen», sagt Thomas Lang, Präsident des Natur- und Vogelschutzvereins Mellingen. «Vögel sind wie ein Frühwarnsystem. Wenn Arten verschwinden ist das ökologische Gleichgewicht gestört. Es braucht ein Umdenken bei allen. Landwirte sind genauso in der Pflicht wie auch die Konsumenten.»
Debora Gattlen