«Die Branche steht vor Herausforderungen»
04.02.2022 AutoInterview: Arian Rohs, Leiter Netz Services und Spezialist für E-Mobilität bei der Aargauer Energiedienstleisterin AEW Energie AG
Der «Reussbote» sprach mit Arian Rohs über die künftige Netzauslastung durch die steigende Zahl an Elektroautos, grünen Strom ...
Interview: Arian Rohs, Leiter Netz Services und Spezialist für E-Mobilität bei der Aargauer Energiedienstleisterin AEW Energie AG
Der «Reussbote» sprach mit Arian Rohs über die künftige Netzauslastung durch die steigende Zahl an Elektroautos, grünen Strom in der Schweiz sowie Lademöglichkeiten zu Hause und unterwegs.
◆ Wie gut sind die Netze in der Schweiz vorbereitet auf die wachsende Zahl von Elektroautos? Droht ein Strommangel?
Grundsätzlich verfügen wir in der Schweiz über eine sehr gute Netzinfrastruktur. Auch werden die Netze laufend weiter ausgebaut, digitalisiert und durch smarte Funktionen ergänzt. Die Verfügbarkeit der Energie in der Zukunft ist separat zu beurteilen, da diese sehr stark von der europäischen Marktentwicklung und den zukünftigen Kraftwerkskapazitäten abhängig ist. Viele Kraftwerke wurden vom Netz genommen – also Kernkraftwerke, Ölkraftwerke oder Kohlekraftwerke, beispielsweise in Deutschland. Diese Entwicklung ist aber stark von politischen Rahmenbedingungen geprägt.
◆ Wie ist die aktuelle Situation in Bezug auf Elektromobilität?
Das, was aktuell für die Elektromobilität benötigt wird, ist vernachlässigbar. Aber in Zukunft wird das sicher zunehmen. Wir als AEW setzen sehr stark darauf, dass E-Fahrzeuge noch stärker zunehmen, dass das Tempo noch rasanter Fahrt aufnimmt. Mittlerweile hat jeder Hersteller zwar ein, zwei Produkte in der Flotte, die grosse Masse gibt es aber immer noch nicht. Wenn es diese Fahrzeuge gibt, und das werden wir in den nächsten zwei Jahren erleben, dann sprechen wir erst vom richtigen Boom. Denn es gibt aus meiner Sicht momentan zum Elektroauto keine Alternative. Man hat einfach so viele Vorteile, dass sie die wenigen Nachteile bei Weitem überwiegen.
◆ Gibt es einen Grenzwert, ab wie vielen Autos es kritisch würde?
Man schätzt, dass wenn man 50 Prozent der Fahrzeuge elektrifizieren würde, ungefähr 15 Prozent mehr Strom benötigt würde in der Schweiz. Die «Energiestrategie 2050» berücksichtigt diesen Mehrbedarf an Energie für die Elektromobilität.
◆ Das würde also durch die Reserven ohne Probleme gedeckt?
Im Winter importiert die Schweiz in der Regel Strom. Denn die Schweiz produziert 60 Prozent des Stroms aus Wasserkraft. Im Winter, wenn es gefroren ist, und man das Wasser nicht in elektrische Energie umwandeln kann, haben wir natürlich weniger Energie zur Verfügung. Im Sommer sind wir dagegen Exporteur von Energie. 15 Prozent klingt nicht nach wahnsinnig viel. Im Sommer kann man das heute schon problemlos stemmen. Im Winter sind wir weiterhin darauf angewiesen, dass wir Energie importieren. Es gibt die «Energiestrategie 2050» des Bundes, die verlangt, dass die Energie aus Sonne massiv erhöht wird. Wir liegen aktuell bei rund 3,5 Gigawatt installierter Leistung aus Sonne. Das entspricht ungefähr drei Mal der Leistung des Kernkraftwerks Leibstadt, bei optimaler Sonneneinstrahlung. Hier im Mittelland bleibt im Dezember und Januar von dieser Leistung allerdings nicht mehr viel übrig. Sicher ist: Wir brauchen in Zukunft auf jeden Fall mehr Energie, die wir durch erneuerbare Energien decken sollten. Wir vom AEW haben aktuell ungefähr 16 Megawatt installierte Leistung durch Photovoltaikanlagen. Aber es reicht noch lange nicht. Im Sommer, wenn wir massiv Überschuss haben, und auch in Zukunft haben werden, so die schöne Vorstellung, könnten wir eines Tages vielleicht auch Wasserstoff daraus produzieren, um aus diesem Wasserstoff in den Wintermonaten wieder Energie herzustellen.
◆ Gibt es bei einer grösseren Anzahl an E-Fahrzeugen Probleme, wenn alle gleichzeitig laden möchten?
Es wird Lastspitzen geben. Zum Beispiel, wenn die Leute nach Hause kommen, so gegen 17 oder 18 Uhr. Das kann kurzzeitig das Netz überlasten und deswegen brauchen wir ein Lademanagement. Aber wir müssen auch in die Netzinfrastruktur investieren. Wir werden auch das eine oder andere Kabel ersetzen müssen und den einen oder anderen Trafo, um vorbereitet auf diese Lastspitzen zu sein, die aber nicht nur durch die E-Mobilität entstehen. Im Nieder- und Mittelspannungsnetz wird künftig die Energie überwiegend produziert und auch verbraucht werden. Früher war der Weg klar: Ich habe irgendwo eine Quelle, ein Grosskraftwerk, und von den Grosskraftwerken geht es zum Verbraucher. Heute ist es anders: Ich als Besitzer einer Photovoltaikanlage bin ein «Prosumer», also sowohl Verbraucher als auch Produzent. Wenn ich zu viel produziere, schicke ich die Energie in das Netz. Die Schweiz will einmal 20 bis 30 Gigawatt mit Sonnenenergie erreichen. Wir sind heute noch nirgends was die Photovoltaik angeht und auch beim Wind: Wo haben wird denn heute Windkraftwerke ausser im Berner Jura?
◆ Wenn ich mein Auto an die Steckdose hänge, wie grün ist heute der Strom?
Wir haben ein eigenes Netz mit 22 Ladestationen. Dort beziehen wir 100 Prozent Energie aus Wasserkraft, das gilt auch für unsere Tochter «evpass». Als normaler AEW-Kunde mit Standardprodukt beziehen Sie 100 Prozent Strom aus Wasser aus der Steckdose. Wenn Sie noch gerne etwas Sonne dabei hätten, können Sie das auch vom AEW beziehen. Da gibt es einen Mix aus Sonne, vielleicht noch Biomasse, etwas Wind und Wasser. Ein AEW-Kunde bekommt in der Regel standardmässig 100 Prozent Wasserenergie aus der Schweiz. Hierzulande kommen per se 60 Prozent der Energie aus Wasserkraft. Dann gibt es ca. 35 Prozent aus den bestehenden Kernkraftwerken und die restlichen 5 Prozent sind Sonne, Wind oder kommen aus Kehrichtverbrennungsanlagen und Biomasse.
◆ Wie ist die Schweiz punkto Ladeinfrastruktur aufgestellt?
Wir beim AEW haben 2016 angefangen, einen Businessplan für die Elektromobilität aufzustellen. Wir haben gesagt, wir glauben an die E-Mobilität und wir werden diese auch fördern. Sei es durch ein eigenes Ladenetz, sei es durch Beteiligungen oder dadurch, dass wir mit «Swiss E-Car» auch eine Carsharingflotte aufbauen. Wir haben aktuell 23 eigene Ladestationen. 2018 haben wir uns ausserdem am führenden Ladenetzbetreiber «evpass» beteiligt, einer 33-prozentigen Tochter des AEW. Diese hat 2400 Ladepunkte. In der Schweiz gibt es aktuell um die 6000 öffentliche Ladepunkte. Damit sind wir sehr gut aufgestellt, vielleicht nicht so gut wie in den nordischen Ländern, aber im Vergleich zu unseren Nachbarländern sind wir sehr gut aufgestellt. Es gibt kaum Raststätten ohne Lademöglichkeiten an der Autobahn, viele Rastplätze mit Lademöglichkeiten und in den Gemeinden werden es ebenfalls mehr. Wenn das Ladenetz dennoch eng wird, kommen die Betreiber sicher mit weiteren Ausbauten. Aber Sie können heute nicht so viele Ladestationen bauen, dass jeder sein Privatauto an der öffentlichen Ladestation laden kann. Das lässt sich nicht finanzieren.
◆ Kann man in jedem Schweizer Haushalt eine Wallbox installieren?
Das ist keine Frage des Gebäudes. Es kommt darauf an, ob Sie in einem Einfamilienhaus oder im Mehrfamilienhaus wohnen. Im Einfamilienhaus habe ich meinen Hausanschluss, meistens mit 25 oder 40 Ampere. Da kann ich eine Homeladestation integrieren, die nicht einmal besonders intelligent sein muss. Im Mehrfamilienhaus ist die Sache anders: Hier habe ich 20 oder bis zu 100 Parkplätze, die an einem Anschluss hängen. Wenn ich dort zehn oder mehr Ladestationen habe und alle zur gleichen Zeit einstecken, würde der Anschlusspunkt überlastet. Deswegen braucht man ein Lademanagement. Das ist die Vorgabe an die Elektrizitätswerke ab der zweiten Ladestation. Das heisst, ich muss mich mit der Verwaltung und dem Hauseigentümer abstimmen, damit man sich für ein Produkt entscheidet. Denn die Systeme müssen miteinander kommunizieren und bei Überlast die Ladeleistung reduzieren. Dass ich dann nicht mit 11 kW lade, sondern nur mit der Hälfte, ist in der Regel kein Problem. Ob mein Auto nachts um 12 oder um 2 Uhr wieder voll geladen ist, spielt keine Rolle, wichtig ist dass es das morgens ist. Bei uns sind meist Mietlösungen gefragt. Wir übernehmen die Installation und bringen die Ladestation. Und der, der dann tatsächlich eine Ladestation will im Haus, der mietet diese einfach bei uns.
Michael Lux