Begabte Pianistin: Das hat sie mit links geschafft
18.02.2022 Bellikon, NiederrohrdorfLynn Suffolk holt am Musikwettbewerb den ersten Preis, nachdem sie drei Tage zuvor den rechten Fuss gebrochen hatte
Drei Tage vor der Teilnahme am Aargauer Musikwettbewerb den Fuss zu brechen, ist ja schon heftig genug. Dann aber trotzdem den ersten Preis einzuheimsen, kommt einem kleinen ...
Lynn Suffolk holt am Musikwettbewerb den ersten Preis, nachdem sie drei Tage zuvor den rechten Fuss gebrochen hatte
Drei Tage vor der Teilnahme am Aargauer Musikwettbewerb den Fuss zu brechen, ist ja schon heftig genug. Dann aber trotzdem den ersten Preis einzuheimsen, kommt einem kleinen Wunder gleich.
Was für eine wunderbare Geschichte. Was der 13-jährigen Lynn Suffolk passiert ist, ist wirklich eine kleine Sensation. «Als Lynn noch im Tripp Trapp sass war sie schon fasziniert und hörte begeistert zu, wenn ich Klavier spielte», sagt ihre Mutter Nicole Suffolk. Inzwischen hat die Schülerin der 1. Bezirksschule selber Klavier spielen gelernt und verbringt viel Zeit hinter den weiss/schwarzen Tasten. «Wenn ich ein neues Stück einübe, übe ich ein bis zwei Stunden täglich, manchmal auch mehr. Wenn ich die Stücke schon gut kann, übe ich etwas weniger, sonst wird es ‹schluderig›. Und an manchen Tagen übe ich überhaupt nicht», so die Schülerin. Lynn nahm schon erfolgreich an mehreren – auch internationalen – Wettbewerben teil und gab schon mit dem Orchesterverein Brugg ein Konzert. Deshalb entschloss sie sich, bereits zum zweiten Mal, am Aargauer Musikwettbewerb teilzunehmen.
«Dann mach’ ich das halt mit links»
Aber so ein Pech. Ausgerechnet drei Tage vor der Austragung des Events ist Lynn auf der Treppe ausgerutscht und brach sich den rechten Fuss. Was tun? Obwohl das Klavier ja vor allem mit Händen gespielt wird, ist der Einsatz des rechten Pedals, je nach Musikstück, sehr wichtig, denn die Koordination zwischen Händen und Fuss sollte perfekt sitzen. Aber kann man sich so schnell umgewöhnen und einfach anstatt den rechten plötzlich den linken Fuss einsetzen? Ihr Klavierlehrer Andreas Fischer sagt dazu: «Ich denke nicht, dass man sich üblicherweise so schnell umstellen kann. Sicher spielen da eine gute Verknüpfung der Hirnhälften, kombiniert mit einer hohen Intelligenz und sehr grossen Willenskraft eine Rolle, die Lynn zweifelsohne hat.» Das junge Mädchen liess sich also nicht entmutigen und trat den Wettbewerb mit Gips und Gehhilfen an. Sie liess sich nicht bremsen, war guten Mutes und pedalte kurzerhand mit dem linken Fuss, auf dem rechten Pedal. Was für eine Meisterleistung.
Talent im Rucksack
Gleich vier Musiktitel musste Lynn am Wettbewerbstag vorspielen. «Doctor Gradus ad Parnassum» von Claude Debussy, die «Englische Suite Gavotte I&II» von J. S. Bach, «Vision Fugitive No. 15» von Sergei Prokofiev sowie die «Sonate in C-Dur» von Domenico Scarlatti. Lynn erspielte sich den 1. Preis. Bemerkenswert.
Auch die Jury zeigte sich beeindruckt, wie gut Lynn «den Fuss wechseln» konnte und diesen in so wenigen Tagen wettbewerbsreif einsetzen konnte. Lynn ist eine sehr begabte Schülerin. Sie bringt alles mit, was es braucht, um eine Zukunft als Musikerin möglich zu machen. Dazu gehören, nebst Talent, einem guten Musikgehör, emotionalem Ausdrucksvermögen eben auch Fleiss und ein gesunder Ehrgeiz, erwähnt Andreas Fischer. Es ist wunderbar, mitzuerleben, wie gut und schnell Lynn Korrekturen umsetzen kann, dies ist in der Tat aussergewöhnlich, so der Klavierlehrer weiter.
Seit zwei Jahren erhält Lynn vom Kanton Aargau Begabungsförderung. Dadurch kann sie zweimal pro Woche in den Unterricht. Zurzeit bereitet sich Lynn auf den «mCheck 6» vor, das ist die höchste Stufenprüfung im Kanton Aargau. Da muss sie nicht nur mindestens je ein Pflicht- und Wahlstück auf entsprechendem Niveau spielen, sondern sie wird auch von Experten in Musiktheorie und Musikgeschichte geprüft. «Es ist mir sehr wichtig, dass meine Schülerinnen und Schüler mit Freude musizieren. Ich bin nicht der Typ, der Druck aufsetzt – ich begleite sie gerne nach oben», sagt Fischer. «Die meisten haben inzwischen gemerkt, dass mit mehr Übung und Einsatz – da reichen eben nur 20 Minuten täglich nicht – mit der Zeit tolle, anspruchsvolle und wohlklingende Werke/Stücke erspielt werden können. Sehr wichtig ist da ein unterstützendes Elternhaus, das bei Lynn zweifelsohne vorhanden ist», so ihr Klavierlehrer weiter.
Ohne Eltern geht gar nichts
Auch die Eltern sind angetan vom Talent ihrer Tochter. «Natürlich freuen wir uns mit Lynn und sind sehr stolz auf sie. Es ist uns aber sehr wichtig, dass sie Freude am Musizieren hat. Wir sind immer wieder verblüfft, wie schnell sie Fortschritte macht und sich ihr musikalischer Ausdruck mit dem Älterwerden verändert und vertieft. Es ist schön, ihre Leidenschaft unterstützen und teilen zu dürfen. Was auch schön ist, dass sie in ihrem eigenen Tempo vorwärts kommt. Die Schule fällt ihr leicht, so finden wir es gut, dass sie zumindest an diesem Ort an ihre Grenzen stösst und ein bisschen beissen muss. Am Anfang war sie manchmal sogar frustriert, wenn es nicht gleich richtig tönte. Ihr Klavierlehrer findet immer die richtige Dosis an Schwierigkeit, traut ihr auch vieles zu und motiviert sie, über sich hinauszuwachsen.»
Isabel Steiner Peterhans
Persönlich
Lynn Suffolk wohnt mit ihren Eltern, dem drei Jahre älteren Bruder und den beiden 19-jährigen Hauskatern in Bellikon und besucht die 1. Bezirksschule in Niederrohrdorf. Nebst Klavierspielen (sie geniesst Unterricht bei Andreas Fischer) verbringt sie die Freizeit auch mit Klettern sowie zeichnen, lesen und Ausflügen in die Natur. Ein musikalisches Vorbild hat sie nicht. Gerne würde Lynn vielleicht Architektin werden; aber auch Mathe interessiert sie. Ob sie Musik zu ihrem Beruf machen möchte, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar. (isp)