Frauen, denen man im Städtli begegnet
15.02.2022 Mellingen, Region ReusstalDer Fokus liegt auf Geschichten über eine Äbtissin, Elektroinstallateurin, Politikerin oder Tagesmutter
Die Städtlichronik gehört 2021 den Frauen. Auf jeder einzelnen Seite sind sie Thema. Die jüngste Chronik zeigt eine wunderbare Vielfalt an Frauenleben in ...
Der Fokus liegt auf Geschichten über eine Äbtissin, Elektroinstallateurin, Politikerin oder Tagesmutter
Die Städtlichronik gehört 2021 den Frauen. Auf jeder einzelnen Seite sind sie Thema. Die jüngste Chronik zeigt eine wunderbare Vielfalt an Frauenleben in Mellingen.
Beim Blättern und Lesen in der Mellinger Städtlichronik 2021 erhält man einen überraschenden Einblick in zahlreiche, ganz unterschiedliche Frauenleben. Es sind Frauen, denen man jederzeit im Städtli über den Weg laufen könnte. Weniger überraschend ist, dass Frauen gerade in dieser Chronik so viel Platz erhalten. Vor 50 Jahren haben sie in der Schweiz am 7. Februar 1971 das Stimmrecht erhalten. Dieser historische Moment motivierte 50 Jahre später Chronik-Macherinnen und -Macher, in der jüngsten Städtlichronik fast ausschliesslich Frauen abzubilden und zu Wort kommen zu lassen.
Wie sich Mellingerinnen behaupten
So sind in einem ersten Teil drei Gespräche entstanden mit Vivienne Wagen, Alexandra Atapattu und Jasmin von Wartburg. Vivienne Wagen, Lernende Elektroinstallateurin, zum Beispiel erzählt: «Ich werde immer an die Berufsschau eingeladen, weil eine Frau als Elektroinstallateurin gute Werbung für den Beruf ist.» Auf die drei Interviews folgt ein Bilderbogen, in welchem Benjamin Grossniklaus mit seiner Kamera unter dem Titel «Frauen im Porträt» jüngere und ältere Mellingerinnen in aussergewöhnlich schönes Licht taucht.
Für die Geschichte der Mellingerin Anna Maria Schnyder, Äbtissin von Gnadenthal (1597 bis 1637), hat sich Rainer Stöckli ins Archiv begeben, historische Texte gelesen und das Leben der Äbtissin skizziert. Von Frauen in der Bibel und in der Kirche schreiben Markus Dettwiler, Pfarrer der Reformierten Kirchgemeinde, und Walter Schärli, Pfarrer der Katholischen Kirchgemeinde.
Christine Egerszegi-Obrist erzählt, wie sie ihre politische Karriere in Mellingen in den 1980er-Jahren mit der Wahl in die Musikschulkommission begann und über zahlreiche Stationen in der Politik schliesslich von 2007 bis 2015 ihre Arbeit im Parlament als erste Aargauer Ständerätin beendete: «In manchem Amt war ich die erste Frau und habe Spuren gelegt.»
Von Träumen und vom Alltag
Auf die bedeutende Politikerin folgen zwei Frauen, die unternehmungslustig ihr eigenes Geschäft gegründet und sich damit einen Traum erfüllt hatten. 2015 eröffneten Rita Seiler und Monika Tiefenauer das «Lade-Kafi Fundus 47». Einen Tag im Leben einer Tagesmutter beschreibt in der Folge Claudia Bächtiger, Mutter von zwei Kindern. Sie war während vieler Jahre Kleinkinderzieherin. Heute möchte sie ihren Beruf als Tagesmutter nicht missen, weil sie sowohl Seelentrösterin als auch Streitschlichterin und Freundin der Eltern ihrer Tageskinder ist. Susanne Stranieri-Baumgartner macht sich am Beispiel der eigenen Familie Gedanken, wie sich die Rolle der Frau über Generationen hinweg verändert. Sie erzählt vom Alltag ihrer Grossmutter, ihrer Mutter und beobachtet auch, wie ihre Tochter Familie und Beruf zu vereinen sucht. Diese unterschiedlichen Geschichten schliessen mit den Überlegungen von Elisabeth Müller ab, die von ungeliebten Mädchenspielsachen schreibt, von feministischem Gedankengut nach den Studentenunruhen der 68er und von einer Gesellschaft, die offener geworden ist und 2021 die «Ehe für alle» angenommen hat.
Wer sich durch diese Chronik gelesen hat, durch Porträts, Gedanken und durch Hintergründiges, stellt fest: Es braucht weder Berlin noch Zürich, nicht Aarau oder Baden. Hier ist die Stadt im Kleinen gross und reich an Frauen, die viel zu sagen haben.
Heidi Hess