«Bitte nur den zweitschönsten Salat essen»
04.03.2022 Mellingen, Region ReusstalDer Saatgutworkshop mit Nicole Egloff von «Pro Specie Rara» bildete den Saisonauftakt der «Saatgutbibliothek»
Die Bibliotheken Mellingen und Niederwil starteten ihr Projekt «Saatgutbibliothek» mit einem Workshop: Woher kommt unser Saatgut, welche Sorten lassen ...
Der Saatgutworkshop mit Nicole Egloff von «Pro Specie Rara» bildete den Saisonauftakt der «Saatgutbibliothek»
Die Bibliotheken Mellingen und Niederwil starteten ihr Projekt «Saatgutbibliothek» mit einem Workshop: Woher kommt unser Saatgut, welche Sorten lassen sich selbst vermehren und was muss man dabei beachten? Nicole Egloff gab spannende Antworten.
Der Frühling naht und im März ist es bereits Zeit, die ersten Gemüsesorten auszusäen. Damit kann auch das Vernetzungsprojekt «Saatgutbibliothek» offiziell beginnen, das Andrea Wagenhofer von der Bibliothek Niederwil sowie Edith Schwarz von der Bibliothek Mellingen zusammen mit ihrer Kollegin aus Mutschellen ins Leben gerufen haben (siehe «Reussbote» vom 5. November 2021). Die Idee ist ein freies und unentgeltliches Tauschsystem von selbstgewonnenem Saatgut. Jeder kann in der Saatgutbibliothek Sämereien von Gemüse, Kräutern oder Blumen deponieren und mitnehmen. Erlaubt sind jedoch nur Samen von Pflanzen aus biologischem Anbau, keine sogenannten Hybride. Ziel ist es, das Bewusstsein für Nachhaltigkeit, regionale Pflanzenvielfalt und Biodiversität zu schärfen. Doch das Thema ist komplex: «Wir haben bei der Umsetzung festgestellt, dass mehr dahinter steckt», berichtet Andrea Wagenhofer. Daher holten sie die Stiftung «Pro Specie Rara» mit ins Boot, die sich seit 40 Jahren für genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren einsetzt. «Gärtnern ist im Trend und Saatgutgewinnung ist der nächste Schritt», weiss Nicole Egloff, die seit 15 Jahren für die Kommunikation der Stiftung zuständig ist. Egloff, die in Tägerig aufgewachsen ist und heute in Nunningen (SO) wohnt, ist eine von rund 600 ehrenamtlichen Sortenbetreuern, die sich bei «Pro Specie Rara» für den Erhalt von 1700 Pflanzensorten einsetzen.
Saatgut in den Händen Weniger
Schon jetzt seien 75 Prozent der Sorten, die um 1900 existierten, verschwunden, erklärt Egloff. Umso wichtiger sei es, möglichst viele Sorten zu erhalten: «Vielfalt bedeutet Sicherheit. Je grösser der Genpool, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass Eigenschaften für kommende Bedürfnisse abgedeckt werden.» Das Problem: Es werden nur noch die Sorten produziert, die am meisten Geld bringen. Ausserdem konzentriere sich die Saatgutproduktion in den Händen weniger globaler Chemiefirmen: «Es sind drei grosse Player, die über 50 Prozent des Saatgutmarktes beherrschen», so Egloff. Diese hielten zudem zahlreiche Patente, was die Zucht neuer Sorten für Dritte erschwere. Um diesen Saatgutmultis ein Schnippchen zu schlagen und so die Sortenvielfalt zu erhalten, kann man selbst Saatgut gewinnen. Dazu ist jedoch einiges an Wissen nötig. Wer sich im Netzwerk von «Pro Specie Rara» offiziell als Sortenerhalter engagieren möchte, kann in einem Samenbaukurs das nötige Rüstzeug lernen, sodass «samenfeste Sorten», «Fremdbefruchter» oder «Mindestanzahl Samenträger» keine Fremdwörter mehr sind.
Einfache Einstiegssorten seien Selbstbefruchter wie Tomaten, Kopfsalat oder Bohnen, erklärt Nicole Egloff. Das Gemeine: Wer ernsthaft eine Sorte erhalten will, muss die schönsten Pflanzen für die Saatgutgewinnung stehen lassen, anstatt sie zu essen, denn diese Eigenschaften werden weitervererbt. Dafür kann man sich in den Folgejahren über immer noch schönere Pflanzen freuen – und leistet obendrein einen wertvollen Beitrag zum Überleben der Sortenvielfalt. Bei der «Saatgutbibliothek» kann man aber auch mit wenig Aufwand mitmachen, zum Beispiel, indem man die Samen von Wildpflanzen sammelt, bei denen keine Selektion stattfindet.
Michael Lux



