Das Strassendorf schenkt sich einen Dorfplatz
04.03.2022 Mägenwil, Region ReusstalWie es dazu kommen konnte, dass sich ein Dorf Chance um Chance neu erfindet und dadurch einen grossen Dorfplatz erhalten wird
Am Anfang war die Verschmelzung von Eckwil und Mägenwil. Das bescherte der Gemeinde eine grosse Wiese mitten im Dorf. Die Wiese entwickelte sich zur begehrten ...
Wie es dazu kommen konnte, dass sich ein Dorf Chance um Chance neu erfindet und dadurch einen grossen Dorfplatz erhalten wird
Am Anfang war die Verschmelzung von Eckwil und Mägenwil. Das bescherte der Gemeinde eine grosse Wiese mitten im Dorf. Die Wiese entwickelte sich zur begehrten Baulücke mit viel Potenzial.
Mitten im Dorf erlaubt sich Mägenwil den Luxus, viele Quadratmeter Boden frei zu lassen. Freiraum zwischen Häusern an einer stark befahrenen Hauptstrasse. Das ist gewollt, entspricht einem Plan. Seit einigen Jahren gestaltet das Dorf seine Mitte.
An diesem offenen Platz, mitten in Mägenwil, führt die Hauptstrasse vorbei. Zur offenen Fläche führt vom Bahnhof her auch die Alte Bahnhofstrasse. Die neue Doppelturnhalle, eingeweiht im Jahr 2018, wurde zurück versetzt und schliesst den Platz zum Hang hin ab. Daneben liegt das Schulquartier mit öffentlichen Anlagen wie Schule, Kindergarten, Aula oder Gemeindehaus. Auf der anderen Seite das Restaurant Brauerei. Der Platz hat Potenzial.
Dorfplatz heisst er schon jetzt. Auch wenn es an Vorstellungsvermögen bedarf, sich hier Mägenwils Dorfmitte als Begegnungsort und Bühne auszumalen – zum Beispiel für einen Markt, für das Jugendfest, die 1.-August-Feier, das Jahreskonzert der Dorfmusik oder ein Freilichttheater. Aktuell parken hier nämlich Autos vor der neuen Turnhalle, Durchgangswege liegen neben Wiesen. Andererseits stehen hier aber auch Sitzbänke unter jungen Bäumen, die mit den Jahren mehr Schatten spenden werden.
«Unser Haus polarisiert»
Der Dorfplatz wird sich entwickeln. An der Hauptstrasse steht seit letztem Herbst ein neues Haus. Die ersten Bewohnerinnen und Bewohner sind bereits in ihre Wohnungen im Neubau «Vicus» eingezogen. «Vicus» aber ist nicht einfach ein Bau, der den dahinterliegenden Dorfplatz gegen die Hauptstrasse abschirmt. Das Gebäude fällt auf. Vier Häuser wurden aneinander gebaut. Jedes Haus mit eigenem Zugang, keine Wohnung gleicht der anderen. Die Architekten Dana Schrader und Martin Weibel, die «Vicus» entworfen haben, sind sich bewusst: «Unser Haus polarisiert.» Schon Anfang 2020, beim Aushub, hatten sie gesagt, dass es mitten im Dorf darum gehe, den Spagat zwischen ländlicher Umgebung und städtischer Entwicklung umzusetzen. Es sollte im Dorfzentrum «kein Riegel, kein Riesenklotz» entstehen.
Aus dem Rahmen falle das neue Gebäude denn auch nur auf den ersten Blick, meint Dana Schrader. Immer noch werde Mägenwil als Bauerndorf wahrgenommen. Aber Mägenwil wird wachsen und sich entwickeln. Diese Entwicklung ist, zumindest gestalterisch, durch den Masterplan vorgegeben. Und so ist «Vicus», neben der Turnhalle, das erste Gebäude, welches den neuen Massstab aufnimmt. Die bauliche Aufgabe war es, die vorgeschriebene Weiterentwicklung gestalterisch passend umzusetzen.
Zur Stadt wird das Dorf deswegen nicht. Aber mit der geplanten Überbauung von Sandfoore und Wolfboden wird der Ort um einige hundert Menschen wachsen. Ein Wachstum, das Mägenwil zum grossen Dorf macht.
Mägenwil nutzt seine Chancen
Immer wieder konnte die Gemeinde auf dem Weg zu dieser Entwicklung Chancen nutzen.
Die erste Chance war 1905, vor über hundert Jahren, ein nicht ganz freiwilliger Zusammenschluss des Weilers Eckwil und des Bauerndorfes Mägenwil zu einer Gemeinde – verbunden durch Wiesen mit Obstbäumen. Das Grün in der neuen Mitte entwickelte sich in Mägenwil über Jahrzehnte zur begehrten Baulücke, die zur grossen inneren Baureserve wurde.
Die nächste Chance war die Erarbeitung eines Masterplans durch Van de Wetering, Atelier für Städtebau in Zürich. Der Masterplan sollte die Gestaltungspläne von Sandfoore und Wolfboden koordinieren und auch das Schulquartier miteinbeziehen. 2014 stellten die Planer der Bevölkerung den Masterplan vor.
Die Architekten Schrader und Weibel, die für ihr Büro kreative Köpfe suchen, sagen, es sei gelungen, Mägenwilerinnen und Mägenwiler für die freien Flächen im Dorf zu sensibilisieren.
Weg vom Strassendorf
So kommt es, dass sich das Strassendorf einen Dorfplatz schenken kann und dabei gleichzeitig auch seine Achsen verschiebt.
Denn besiedelt ist Mägenwil entlang der Hauptstrasse, über die täglich 10 000 Autos, Lastwagen und Busse rollen. Sie fahren von Brugg und Lenzburg nach Mellingen oder Baden – und umgekehrt. Parallel zur Hauptstrasse verläuft die Bahnlinie. Dazwischen wurde gebaut. Gebaut wurde auch am Hang oberhalb der Strasse und in der Ebene unterhalb der Bahnlinie. Drei lange Siedlungsbänder. «Entlang der Strasse reihen sich sogenannte ‹Perlen› auf», sagen die Architekten. Etwa die Bäckerei, ein Lebensmittelgeschäft, auch Restaurants oder die Gemeindeverwaltung. Die grosse Mitte aber fehlt. Das ändert sich gerade: Die Alte Bahnhofstrasse führt vom Bahnhof nahezu im rechten Winkel über die Hauptstrasse zum neuen Dorfplatz. Eine weitere Chance.
Erst die Häuser, dann der Platz
«Mägenwil kann Bauten um etwas gruppieren, das ein Zentrum werden kann», meint Martin Weibel. Augenzwinkernd fügt er an, in Frankreich würden erst der Platz und dann die Häuser gebaut. – Eine Anspielung auf Haussmanns Um- und Neubau der französischen Hauptstadt nach 1850. «Hier, im Dorf, ist es umgekehrt», sagen die Architekten. Bei den Gebäuden am künftigen Dorfplatz spielt auch deren Nutzung eine wichtige Rolle. Sie muss öffentlich sein. Das ist der Fall bei der Doppelturnhalle, deren Eingang auf den Platz ausgerichtet ist. Es gilt auch im Erdgeschoss von «Vicus» für das Coiffeurgeschäft oder für einen Eckraum mit Glasfront, der noch leer steht. Noch sei dessen Nutzung nicht publik, sagen die beiden. «Hier aber werden Leute kommen und gehen.» Und gegenüber liegt die Terrasse des Restaurants Brauerei.
Der Platz mit den Folientunnels der Gärtnerei, zwischen Schule und Doppelturnhalle, bleibt ein Versprechen für die Zukunft. Vielleicht braucht es eines Tages eine grössere Verwaltung? Hier wäre es möglich.
Heidi Hess




