Saskia Iten studierte Journalismus an der Schule für angewandte Linguistik in Zürich und arbeitete als Journalistin beim «Reussbote». Heute ist sie Mitgründerin eines Start-ups, das seit 2018 mit über 35 Künstlern schweizweit «Artnights» ...
Saskia Iten studierte Journalismus an der Schule für angewandte Linguistik in Zürich und arbeitete als Journalistin beim «Reussbote». Heute ist sie Mitgründerin eines Start-ups, das seit 2018 mit über 35 Künstlern schweizweit «Artnights» organisiert.
«Digga», da helfen die Sterne nichts
Sie kennen das bestimmt. Gesprächspartner, die Sie nicht verstehen. Bei denen auf jedes Wort ein ungezähmtes «Hä?» folgt und Sie jeden Satz wiederholen. Manchmal ist dieses Phänomen altersbedingt – wenn Ihr Gegenüber nicht gut hört. Oder umgekehrt: Sie verstehen die Aussprache, doch den Inhalt nicht. Ist mir kürzlich passiert, als Jugendliche mit Wörtern wie «sheesh» (wow), «sus» (suspekt), «cringe» (peinlich) und «Digga» (Kumpel) jonglierten.
Manchmal will man Leute nicht verstehen, weil ihre Wertvorstellungen stark von den eigenen abweichen oder weil wir uns von ihrer Kommunikation abgestossen fühlen. Damit befasst sich gendergerechte Sprache. Sie soll dafür sorgen, dass Sprache alle Geschlechter abbildet. Davon gibt es viele: Die Social Media-Plattform Facebook überlässt ihren Nutzern die Wahl zwischen 60 verschiedenen Geschlechtsbezeichnungen. «Sheesh!»
Gleichberechtigung ist mir wichtig. Doch ich kann gendergerechte Sprache nicht nachvollziehen. Von Gründern zu Gründer*innen oder Gründenden, von Feuerwehrmännern zu Feuerwehrleuten, vom Vaterland zu Heimatland (Ein Synonym für Muttererde habe ich übrigens noch nicht gefunden …). Sprache verkommt zum Eiertanz: Ich werde das Gefühl nicht los, dass «gendern» keine Brücken baut, sondern Gräben bildet.
Fettnäpfchen lauern auf dem Schauplatz der Geschlechterkämpfe überall. Kürzlich stiess ich auf einen Beitrag der Stadtpolizei Zürich: auf dem Bild eine Polizistin, die sich die Haare zusammenbindet. Die Unterschrift bekundete Glückwünsche zum internationalen Weltfrauentag. Ich fand den Beitrag wertvoll – zeigte er doch, dass Frauen in einem früher männerdominierten Beruf willkommen und wertgeschätzt sind. Diese Meinung teilten offensichtlich nicht alle Leser: Polizistinnen würden auf ihr Äusserliches reduziert, der Beitrag sei sexistisch. «Sus!». Ich las die Zeilen mehrmals, doch ich wollte die Aussage nicht verstehen. Wäre die Konversation real gewesen, hätte ich das innerliche «Hä?» anstandshalber durch «Wie bitte?» ersetzt. Total «cringe».
Sprache kann Brücken bauen: wenn wir nachfragen, neugierig sind und uns für unsere Gegenüber interessieren. Doch wenn wir Mitmenschen stets kritisch begegnen, bietet Sprache vor allem eines: Raum für Missverständnisse. Mit diesen lassen sich Mauern bis zum Himmel türmen – so hoch, dass wir einander weder hören noch verstehen können. Im Sprachgebrauch der Jugend ausgedrückt: «Digga», da helfen selbst die (Gender-)Sterne nichts.