Sie legen nach 62 Jahren die Scheren zur Seite
18.03.2022 Mellingen, Region ReusstalDen Coiffeur Meier gibt es seit 62 Jahren. Nun ist es für Edith und Franz Meier an der Zeit, ihren Salon in neue Hände zu geben
Es ist der richtige Zeitpunkt. Nach 62 Jahren übergeben Edith und Franz Meier ihr Coiffeur-Geschäft an der Hauptgasse in neue Hände. ...
Den Coiffeur Meier gibt es seit 62 Jahren. Nun ist es für Edith und Franz Meier an der Zeit, ihren Salon in neue Hände zu geben
Es ist der richtige Zeitpunkt. Nach 62 Jahren übergeben Edith und Franz Meier ihr Coiffeur-Geschäft an der Hauptgasse in neue Hände. Während sechs Jahrzehnten waren sie bis auf wenige Ausnahmen immer für ihre Kundschaft da.
Sie haben schon manchem den Kopf gewaschen. Und das liessen sich ihre Kundinnen und Kunden von nah und fern gerne gefallen. Sie erhielten dafür danach einen passgenauen Schnitt und/oder eine Frisur von Franz oder Edith Meier. Coiffeur Meier ist in den sechs Jahrzehnten zu einer Institution geworden. Dafür gaben das Coiffeur-Paar und ihr Team alles. Franz Meier (82) betreute vor allem Herren, Edith Meier (80) Damen. Wichtig war ihnen immer, die Kundschaft ins beste Licht zu rücken. «Es gibt nichts Schöneres, als jemanden durch die passende Frisur verschönern zu können», sagt Edith Meier. Viele Kundinnen und Kunden sind Stammkunden – einige kommen jede Woche. «Von vielen weiss ich mehr, als der Partner zu Hause», sagt sie. «Coiffeur zu sein, ist eine Mischung aus Kollegin und Psychiater. Ich könnte Bücher schreiben über alle Geschichten, die ich gehört habe. Bei unserem Beruf ist die Verschwiegenheit das grösste Credo.»
Vizeweltmeister in Wien
Gerne erinnert sich Franz Meier an seine Teilnahme an den Coiffeur-Weltund Europameisterschaften. Er war während zwölf Jahren Mitglied der Schweizer Coiffeur-Nationalmannschaft. Für die Teilnahme an den Coiffeur-Weltmeisterschaften musste er sich zuerst qualifizieren. Gleich zwei Mal, in Wien und Stuttgart, war Franz Meier am Start. Nichts überliess er dem Zufall. Jeden Sonntag trainierte er im Vorfeld in Bern. 1968 errang Franz Meier den für ihn wichtigsten Titel in seiner Karriere. Er wurde Vizeweltmeister in Wien. Vor allem der akkurat geschnittene Coup Hardy von Franz Meier überzeugte die Jury. Die Nachricht über die Auszeichnung war in Mellingen das Tagesgespräch. «Als wir am Flughafen ankamen, wurde uns mitgeteilt, dass wir in der Linde in Mellingen erwartet werden.» Vor der Linde wurden die Meiers mit Musik begrüsst – der damalige Stadtammann Ernst Busslinger lud zum Empfang.
Zwei Meisterdiplome
1965 absolvierten Franz Meier im Herrenfach und zwei Jahre später Edith Meier im Damenfach die Meisterprüfung. In der Region war Edith Meier eine der ersten Frauen, die das Diplom erhielt. Sie musste vier Models nach Aarau mitnehmen. Mit von der Partie war – neben drei Kundinnen – auch Margrit Nüssli, Gattin von Adolf Nüssli, damaliger Chef vom «Reussbote». Die Prüfung dauerte drei Tage. Nicht nur der Haarschnitt, sondern auch Wasserwellen, Farbe und das Einsetzen von Haarteilen waren gefragt. Die Krönung waren die hochtoupierten Cocktailfrisuren. «Ich war damals schon etwas nervös», sagt Edith Meier. Schlussendlich lieferte sie aber ein Topresultat. Sie schloss mit der besten Meisterprüfung im Kanton ab. Die Meiers bildeten bis heute über 150 Lernende aus. Ihr Handwerk an junge Menschen weiterzugeben, war immer eine Herzensangelegenheit. Viele führen heute erfolgreich eigene Salons und sind in Kontakt mit ihren früheren Lehrmeistern. «Wir hatten nur einen Lernenden, der die Lehre nicht beenden konnte», sagt Edith Meier.
Edith Meier absolvierte die Coiffeurlehre in Österreich. Bis heute hat sie die Berufswahl nicht bereut. Vor einem Jahr beschloss sie sich aus dem Geschäft, bis auf wenige Kunden, zurückzuziehen. Ende April hört sie definitiv auf. «Ich werde den Kontakt zur Kundschaft vermissen», sagt sie. Langweilig werde es ihr aber bestimmt nicht. Jetzt könne sie ihren Hobbys, dem Kochen, Einladungen für Gäste und den Garten pflegen, uneingeschränkt frönen. Dazu fand sie während all den Jahren nur bedingt Zeit. Sie arbeitete ohne Pause – auch als ihre beiden Töchter zur Welt kamen – im Geschäft. Geholfen habe, dass ihre Mutter sie unterstützte und sie zwischendurch eine Hilfe hatte. Wichtig war ihr immer, dass sie über den Mittag für die Familie kochen und am Abend etwas früher nach Hause gehen konnte. Auch wenn sie in der Woche bis zu 60 Stunden arbeitete, gelang es ihr stets, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.
Viele Kunden gingen an die Fasnacht
Früher gab es viele Kundinnen und Kunden, die sich für die Fasnacht schminken liessen. «Ich hatte eine Kundin, die an den Künstlerball in Zürich ging. Wir mussten sie von der Taille aufwärts komplett schminken», sagt Edith Meier. Viele mieteten damals für die Fasnacht Perücken in verschiedenen Farben und Längen. Edith Meier gestaltete sie zu kunstvollen Frisuren um. Sie selbst war früher eine eingefleischte Fasnächtlerin. «Manchmal gingen wir mit dem ganzen Coiffeur-Team an die Fasnacht. Alle waren verkleidet, ausser mein Mann. Er ist kein Fasnächtler», sagt sie. Wichtig waren Edith und Franz Meier auch die Haar- und Kosmetikprodukte, die sie im Salon verwendeten und verkauften. Sie sagen: «Nach unseren Meisterprüfungen verwendeten wir Biosthetik-Produkte. Uns war es immer wichtig, nachhaltige Produkte zu verwenden.»
Afrolook und Coup Hardy
Für die Meiers ist ihr Coiffeur-Salon ihr Lebenswerk. Den Salon übernahmen sie von Hans Jäggi. Geschlossen war er nur einmal – für zehn Tage – als der Salon in Mellingen umgebaut wurde. Ansonsten waren sie ohne Pause für die Kundschaft da. Jeden Tag steht Franz Meier um 6.30 Uhr im Geschäft und arbeitet 62 Stunden in der Woche. An dem hat sich bis heute nichts geändert. Im Herrenfach war in den 1970er-Jahren der Afrolook und Coup Hardy angesagt. Dauerwellen liessen sich einige Herren nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit legen. «Einige wollten sich nur auf einem bestimmten Stuhl die Haare schneiden lassen», sagt Franz Meier. Ihm war es immer wichtig auf dem neusten Stand zu sein. Monatliche Ausbildungen gehörten dazu. Viele Auszeichnungen räumte er und sein Team u. a. auch in Paris und London ab. «Wenn wir von den Weiterbildungen zurückkamen, fragten viele Kunden und Kundinnen, was der neuste Trend ist. Es ist wichtig, immer auf dem neusten Stand zu sein», sagt er. Ganz ohne seine Kundschaft kann Franz Meier auch nach 62 Jahren noch nicht sein. Er wird auch nach der Übergabe des Geschäfts in reduzierter Form weiterarbeiten. «Wir haben eine gute Nachfolgelösung gefunden. Wir bedanken uns bei unserer Kundschaft für die jahrelange Treue», sagen Edith und Franz Meier.
Debora Gattlen