Vier Bilder von zwei verschiedenen Reussbrücken, fotografiert während ihrer Bauzeit – ein Blick auf Ähnlichkeiten und Unterschiede
Armierungseisen wurden schon vor hundert Jahren verlegt, bevor eine Brücke betoniert wurde. Heute aber sind Helm und leuchtende Westen ...
Vier Bilder von zwei verschiedenen Reussbrücken, fotografiert während ihrer Bauzeit – ein Blick auf Ähnlichkeiten und Unterschiede
Armierungseisen wurden schon vor hundert Jahren verlegt, bevor eine Brücke betoniert wurde. Heute aber sind Helm und leuchtende Westen Pflicht.
Zwei Brücken über die Reuss, fotografiert während ihrer Bauzeit. Die Bilder gleichen sich. Und doch liegen zwischen diesen Aufnahmen nahezu hundert Jahre. Hundert Jahre, in welchen sich die Einwohnerzahl in Mellingen vervierfacht hat – von rund 1500 auf heute knapp 6000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Hundert Jahre, in welchen sich der motorisierte Verkehr technisch weiter entwickelte und auch zahlenmässig stark gewachsen ist.
Herren in Gilets auf der Stahlbrücke
Bereits 1928 hielt die alte Holzbrücke, geplant 1794 von Joseph Ritter, dem vielen Verkehr nicht mehr stand. Im digitalen Mellinger Fotoarchiv, betreut von Madlen und Viktor Zimmermann, schreibt der Historiker Rainer Stöckli über die Holzbrücke: «Dieses pfeilerlose Objekt galt als eine der kunstvollsten Brücken jener Zeit. Da aber der Flussübergang in der Franzosenzeit um 1800 durch schwere Militärfourgons überstrapaziert wurde, musste das Gebälk 1813 durch einen Mittelpfeiler abgestützt werden. Im 20. Jahrhundert belastete der stets zunehmende Autoverkehr die Holzbrücke immer mehr. Eine Sanierung wurde unumgänglich. Die vom Kanton vorgeschlagene Umfahrung mit einer neuen Brücke unterhalb des Städtchens lehnte Mellingen ab, weil Gewerbetreibende und Wirte Umsatzeinbussen befürchteten.» Schliesslich wurde die Holzbrücke abgebrochen und 1928 durch die heutige Stahlkonstruktion ersetzt. Die historischen Fotos datieren aus der Bauzeit dieser Stahlbrücke, die heute noch das rechte mit dem linken Ufer verbindet.
Betrachtet man diese Bilder, so mag der Baukran 1928 kleiner gewesen sein. Und die Kleider der Bauarbeiter, die in die Kamera blicken, würden heutigen Vorschriften nicht genügen. Die Männer tragen lange Hosen und schwere Schuhe, statt eines Helms Hut oder Schirmmütze, manche auch ein Gilet über ihrem Hemd. Dieses Gilet allerdings dürfte weniger der Sicherheit und Sichtbarkeit gedient haben. Vor hundert Jahren war es wohl Zeichen der sozialen Hierarchie. Trugen es doch der Bauherr, der Ingenieur, vielleicht auch ranghöhere Arbeiter?
2021 wird nicht mehr posiert
Gestern wie heute fällt der Blick auf Lehrgerüst und Armierungseisen. Auch jener des Mellinger Fotografen Viktor Zimmermann. Die Bauarbeiter auf der Baustelle Umfahrung Mellingen aber tragen hundert Jahre später zwingend Westen oder Hosen in Signalfarben. Weithin sichtbar leuchtet ihre Arbeitskleidung orange. Anders als die Männer, die auf den historischen Bildern für den Fotografen ruhig posieren, bleiben sie in Bewegung, arbeiten, ohne die Kamera zu beachten, weiter. Historiker Stöckli schreibt über die Umfahrung: «Die Pläne, die Altstadt endlich vom Durchgangsverkehr zu entlasten, gehen in die 1980er-Jahre zurück. Dieses Vorhaben konnte insbesondere wegen der Einsprachen des VCS und des WWF lange Zeit nicht realisiert werden.» Erst 2020 wurde mit dem Bau begonnen. Im Herbst 2022 soll die Umfahrung nordwestlich der Altstadt in Betrieb genommen werden.
Heidi Hess