Biogas als Konkurrenz zu Putin-Gas?
26.04.2022 Region ReusstalNesselnbach: Die Recycling Energie AG hat die grösste Biogasanlage der Schweiz. Der Gashahn bleibt offen
Unterhalb von Nesselnbach steht die grösste Biogasanlage der Schweiz. Mit der Anlage setzt der Besitzer Werner Humbel ein Zeichen. Biogas ist seit dem Ukraine-Krieg gefragt wie ...
Nesselnbach: Die Recycling Energie AG hat die grösste Biogasanlage der Schweiz. Der Gashahn bleibt offen
Unterhalb von Nesselnbach steht die grösste Biogasanlage der Schweiz. Mit der Anlage setzt der Besitzer Werner Humbel ein Zeichen. Biogas ist seit dem Ukraine-Krieg gefragt wie noch nie.
Die Recycling Energie AG profitiert nicht von den hohen Gaspreisen», sagt Werner Humbel. «Wir haben einen 15 Jahre-Vertrag mit den Regionalwerken Baden für das Biogas und einen 10 Jahre-Vertrag mit dem EWZ für den aus dem Biogas hergestellten Ökostrom. Die Preise sind fix.» Humbel sieht das sportlich. Seit 2011 die Biogasanlage ihren Betrieb aufnahm, habe er von fallenden Energiepreisen profitiert. Preise müssten immer langfristig betrachtet werden. Weshalb steigen dann aktuell auch die Biogaspreise ins Bodenlose? Wer Biogas bezieht, bekommt nicht reines Biogas geliefert. Biogasproduzenten speisen ihr Produkt in die Gasleitung ein. Beim Verteiler wird es mit fossilem Erdgas gemixt. Gemixt sind auch die Preise.
Biogas mit vielfältiger Nutzung
Bereits vor dem Ukraine-Krieg war Humbel überzeugt, Biogas gehört die Zukunft. Speiseabfälle können sinnvoll wiederverwertet und ein wichtiger Beitrag zur Energiewende 2050 geleistet werden. In Nesselnbach wird der grösste Teil – zwei Drittel des produzierten Gases – zu Strom umgewandelt und ins Netz eingespeist. Ein Drittel wird aufbereitet, gereinigt, und als Biogas nach Baden geleitet. Rund 1000 Haushalte werden damit beheizt. Aus der Abwärme, welche die Motoren bei der Gasaufbereitung abgeben, wird zusätzlich Fernwärme produziert. Sie wird über eine drei Kilometer lange Leitung zum Reusspark geleitet. Der Betrieb wird so beheizt, die Wäscherei mit Wärme versorgt. 300 000 Liter Heizöl werden pro Jahr eingespart. «Unser Firmenmotto lautet: Die Natur kennt keinen Abfall», sagt Werner Humbel. Ganz nach dem Motto ist der Firmenchef ständig daran, weitere Optimierungen für den Betrieb zu finden. Sein neustes Projekt: Eine CO2-Verflüssigungsanlage. Sie ist die erste kommerzielle Anlage weltweit. Sie wird das bisher bei der Gasproduktion entstandene ungenutzte CO2 auf -24 Grad kühlen. Das flüssige CO2 wird ab dem 1. Januar 2023 an die Firma Messer geliefert. Die Firma stellt daraus Trockeneis und Kohlensäure her. Das Trockeneis wird für den Transport von sensiblen Medikamenten benötigt und die Kohlensäure wird unter anderem an Coca-Cola Schweiz geliefert. Bis anhin stammt der Löwenanteil der in der Schweiz benötigten Kohlensäure aus Tschechien. Es sind natürlich im Boden enthaltene Vorkommen. Humbel schloss mit der Lenzburger Firma für das flüssige CO2 einen 10 Jahre-Vertrag ab. «Langfristige Verträge federn die grossen Investitionen ab», sagt er.
Food-Waste mit Biogas vorbeugen
Food-Waste ist in aller Munde. Die Recycling Energie AG sorgt dafür, dass nicht verwendete Lebensmittel in den natürlichen Kreislauf zurückkehren. So landen bei den Grossverteilern und Discountern abgelaufene oder nicht verkaufte Lebensmittel wie Gemüse, Salat oder Speiseeis in bereitgestellten Containern. Und das samt Verpackung. «Wir haben eine Maschine entwickelt, die die Verpackung entfernt und schreddert. Pro Jahr landen so 70 000 Tonnen Biomasse in den beiden riesigen Gärtanks der Recyling Energie AG. Die geschredderten Verpackungen werden an Jura-Zement geliefert und dienen als Brennmaterial.
Auf die Idee, Biogas zu produzieren, kam Humbel 2011. Damals wurde verboten, Speiseabfälle an Tiere zu füttern. Statt diese Abfälle zu verbrennen, entsteht seither in seiner Firma grüne Energie.
Biodiesel rund 20 Rappen billiger
Ein weiteres Standbein der Recycling Energie AG ist die Herstellung von Biodiesel. Da dieser mit fossilem Diesel gemischt wird, liegt der Preis nur 20 Rappen unter dem herkömmlichen Spritpreis. Er wird in Oberrohrdorf aus in der Region gesammeltem Speiseöl produziert und von Firmen der Region für das Betanken der Lkws verwendet.
Gerne würde Humbel in der Zukunft mehr Biogas produzieren. «Leider ist der Platzbedarf in Nesselnbach ausgeschöpft», sagt Humbel. Er besitzt zwar Land in unmittelbarer Nähe. Das ist aber nicht eingezont – die Verhandlungen mit dem Kanton zäh. Die Lkws der Firma sind wegen Platzmangel in Fischbach-Göslikon stationiert. Humbel fand eine Lösung, in der Nähe mehr Platz zu schaffen. Auf dem Lagerplatz der ehemaligen Fensterfabrik in Niederwil, plant er nicht nur eine Garage für seine Lkws zu bauen, sondern auch unterirdische Tanks. Darin soll künftig Biodünger – entsteht als Abfallprodukt bei der Biogasproduktion – während den Wintermonaten gelagert werden. In dieser Zeit darf dieser nicht auf die Felder ausgebracht werden. Zusätzlich sollen auf der Lkw-Garage öffentliche Parkplätze gebaut werden. Humbel hofft, dass in Zukunft eine Lösung für die Erweiterung der Biogasanlage beim Standort in Nesselnbach gefunden wird. Aufgeben will er nicht. Zu wichtig ist ihm die grüne Energie.
Debora Gattlen