Der Weg vom Berg auf die andere Reussseite
12.04.2022 Mellingen, Region ReusstalWie gelangen sie künftig mit dem Auto auf die andere Seite der Reuss? Das fragen sich Bewohnerinnen und Bewohner am Berg
Die Umfahrung eröffnet in Mellingen neue Wege. Weil die Durchfahrt durch die Altstadt für Autos stark eingeschränkt wird, müssen Gewohnheiten ...
Wie gelangen sie künftig mit dem Auto auf die andere Seite der Reuss? Das fragen sich Bewohnerinnen und Bewohner am Berg
Die Umfahrung eröffnet in Mellingen neue Wege. Weil die Durchfahrt durch die Altstadt für Autos stark eingeschränkt wird, müssen Gewohnheiten angepasst werden. Das betrifft vor allem Bewohner am Berg. Und die äussern sich besorgt.
Wer an der Trottackerstrasse, an der Bergstrasse oder am Ulrichweg wohnt, lebt in Mellingen am Sonnenhang. Viele haben Weitsicht ins Reusstal, auf die Altstadt und in den Jura. Die meisten Geschäfte aber – auch der Sportplatz, Restaurants und die Kirchen – liegen auf der anderen Seite der Reuss. Dort spielt sich ein grosser Teil des öffentlichen Lebens ab.
Wie aber können Bergbewohnerinnen und Bergbewohner künftig daran teilhaben? Wie gelangen sie mit dem Auto in den Coop, in die Migros oder zur Post, wenn eine Durchfahrt durch die Altstadt nur noch zeitlich begrenzt oder gar nicht mehr möglich ist? Das Verkehrsregime wird sich in Mellingen mit Inbetriebnahme der Umfahrung ändern. Die Altstadt soll Begegnungszone werden. So wollte es eine Mehrheit in der Gemeinde. Und doch sind nicht alle glücklich. Einige Bergbewohnerinnen und Bergbewohner äussern sich besorgt.
Die Gemeinde kennt die Sorgen
Auf der Gemeinde ist man sich dieser Sorgen bewusst. «Die Bewohner am Berg fühlen sich abgehängt», sagt Beat Deubelbeiss, Gemeindeschreiber und Leiter des Projektes Plaza. Im Sommer 2010 hatte die Gemeindeversammlung mit einer Mehrheit Ja zur Umfahrung gesagt, an einer ausserordentlichen Gemeindeversammlung 2018 auch Ja zur Aufwertung der Altstadt, zu Begegnungszonen mit einer Temporeduktion. An dieser Neugestaltung wird seit einigen Jahren gearbeitet. Ein Projektteam bereitete das Projekt Plaza vor, lud die Bevölkerung zu Workshops ein und lancierte dazu auch eine Umfrage. «Der Gemeinderat wollte, dass die Bevölkerung mitwirken kann», sagt Deubelbeiss. An der Umfrage beteiligten sich 480 Personen, auch Nachbargemeinden und Organisationen. Drei Varianten zur Zentrumsentwicklung haben sich dabei herauskristalliert (siehe nebenstehender Kasten). Wie die Gespräche in den Plaza-Workshops und auch die Resultate aus der Umfrage bei der Bevölkerung zeigen, wünschen sich viele die Variante «ÖV-Angebot erhalten».
Bereits diesen Herbst wird die Altstadt von 15 000 täglichen Durchfahrten befreit. Am Samstag, 29. Oktober 2022, feiert die Gemeinde mit der Bevölkerung die Eröffnung der Umfahrungsstrasse. Nach den Feierlichkeiten wird die Strasse dem Verkehr übergeben.
Mit dem Auto neue Wege fahren
Welche Wege nehmen dann Mellingerinnen und Mellinger, die am Berg wohnen? Beat Deubelbeiss erklärt, dass alle jederzeit zu Fuss, mit dem Velo oder mit einem E-Bike über die alte Brücke und durch die Hauptgasse fahren können. Dies gilt unabhängig von der Variante, die mit der Neugestaltung umgesetzt wird. Die Passage für den Langsamverkehr ist gesichert. Bei der aktuell rechtskräftigen Variante «Vereinbarung mit dem Kanton und den Umweltverbänden» sind weiterhin 1500 Durchfahrten durch die Altstadt und durch die Hauptgasse erlaubt. «Allerdings nicht zu Sperrzeiten», betont der Gemeindeschreiber. Also weder am Morgen von 6 bis 8 Uhr, noch über Mittag von 11 bis 13 Uhr und auch nicht am Abend von 16.30 bis 18.30 Uhr. Während diesen Sperrzeiten müssen alle Autos über die neue Umfahrungsbrücke fahren. Von dieser Regelung ausgenommen sind Linienbusse und Zubringer.
Wer zu Sperrzeiten (Variante «Vereinbarung») mit dem Auto von der rechten auf die linke Reussseite wechseln will, muss künftig einen neuen Weg einschlagen. Das gleiche gilt zeitlich durchgehend, sollte die Variante «ÖV-Angebot erhalten» zur Umsetzung gelangen. Über die Bahnhofstrasse führt der Weg zum Kreisel Tanklager, anschliessend auf der Militärstrasse über die neue Brücke und weiter zum Kreisel Birrfeldstrasse. Dort kann man Richtung Lindenplatz abbiegen oder auf der Umfahrungsstrasse bleiben und erst beim Kreisel Lenzburgerstrasse Richtung Stadtzentrum einschwenken. Neu und ungewohnt.
Das ist «nicht wirklich attraktiv»
Gemeindeschreiber Deubelbeiss erklärt, dass die Variante «Vereinbarung mit dem Kanton und den Umweltverbänden» in der Altstadt letztlich wenig Spielraum lasse für die Schaffung einer echten Begegnungszone. Bei 1500 täglichen Durchfahrten mache die Aufwertung der Hauptgasse kaum Sinn. Weiterhin werde die gesamte Verkehrsfläche benötigt und für einen Brunnen beispielsweise fehle der Platz. Zudem würden unter dem Zeitturm wohl auch beide Tore für den motorisierten Verkehr offen bleiben. Die Umsetzung dieser Variante bezeichnet Deubelbeiss denn auch als «nicht wirklich attraktiv» für Fussgänger und Radfahrerinnen.
Unabhängig von den möglichen Varianten werden flankierende Massnahmen nötig sein. Angedacht sind laut Deubelbeiss, auf der rechten Reussseite, ein öffentlicher Parkplatz nahe des Zentralplatzes. Auf der linken Reussseite sind entlang der Birrfeldstrasse Veränderungen bei der Gewerbe- und Geschäftszeile geplant.
Heidi Hess
Durchfahrt für alle oder nur für den Bus? – Das sind die Varianten
Mit dem Umfahrungsprojekt wurde vor ein paar Jahren auch das Verkehrsregime für die Hauptgasse festgelegt und rechtskräftig verfügt.
Eingeführt wird Tempo 20 in der Mellinger Altstadt sowie eine Begegnungszone. Die meisten Teilnehmenden der beiden Plaza Workshops (Herbst 2020 und Frühling 2021) sowie auch die Mitglieder der Arbeitsgruppen wünschen sich aber deutlich weniger Verkehr in der Altstadt und auch eine sichtbare Aufwertung der Hauptgasse.
Aus diesem Grund sind zurzeit drei Varianten rund um das Projekt Plaza im Gespräch. Erlaubt ist bei allen drei Varianten jederzeit die Zufahrt für Zubringer – als Zubringer gilt, wer in der Altstadt anhält, aussteigt, Kommissionen erledigt und weiterfährt. Dazu gehören Anwohnerinnen und Anwohner, Kundinnen und Kunden eines Geschäftes in der Altstadt oder auch der Kirche, des Gemeindehauses sowie Eltern, die ihr Kind in den Kinderhort Iberg bringen.
Die Variante «Vereinbarung mit dem Kanton und den Umweltver bänden» erlaubt täglich 1500 Durchfahrten mit dem Auto über die Reussbrücke und durch die Hauptgasse in der Altstadt – bei einem Maximaltempo von 20 Stundenkilometern (keine Lastwagen und Traktoren). Die Fahrten werden zeitlich stark eingegrenzt. Sperrzeiten gelten für den gesamten motorisierten Individualverkehr: Morgens von 6 bis 8 Uhr, mittags von 11 bis 13 Uhr und abends von 16.30 bis 18.30 Uhr. Zusätzlich dürfen zwischen 7 und 19 Uhr maximal 12 Linienbusse pro Stunde durch die Altstadt fahren. Das sind knapp 150 Busse am Tag. Sämtliche Tore bleiben bei dieser Variante für den Verkehr geöffnet, auch das schmalere Tor beim Zeitturm. Dieses Verkehrsregime wurde rechtskräftig verfügt und soll nach Inbetriebnahme der Umfahrung umgesetzt werden.
Diese Variante, die mit Kanton und Umweltverbänden vereinbart wurde, geht einem Teil der Mellinger Bevölkerung zu wenig weit. Sie wollen dem motorisierten Individualverkehr überhaupt keine Durchfahrt durch die Hauptgasse erlauben. Damit würde auch das Kontingent von 1500 möglichen Durchfahrten für Autos ausserhalb von Sperrzeiten entfallen. Favorisiert wird die Variante «ÖV-Angebot erhalten». – Eine Umsetzung dieser Variante begrüssen übrigens auch der Gemeinderat und die Kommission Plaza.
Mit der Variante «ÖV-Angebot erhalten» fahren maximal 12 Linienbusse in der Stunde durch die Hauptgasse. Von 7 bis 19 Uhr sind das knapp 150 Busse an Werktagen, am Wochenende weniger. Das schmalere Tor unter dem Zeitturm kann für Motorfahrzeuge geschlossen werden. Die Fahrt für Zubringer (Anwohner, Geschäfte, öffentliche Gebäude) bleibt jederzeit erlaubt. Weiterhin können Radfahrerinnen und Fussgänger das kleine Tor unter dem Zeitturm passieren. Nötig sind für die Umsetzung dieser Variante aber zusätzliche Absprachen mit dem Kanton.
Im Gespräch ist auch die Variante «Busfreie Altstadt». Sie will auf motorisierten Individualverkehr und auf öffentlichen Verkehr (Linienbusse) in der Altstadt verzichten. (hhs)


