Im Museum und in Gassen – es wird entstaubt
29.04.2022 Mellingen, Region ReusstalAufbruchstimmung bei der Geschichtsvermittlung. Bald geht vieles digital. Vor der Türe steht zudem das erste Mellinger Kulturfestival
Die Richtung ist mit dem neuen Kulturkonzept gegeben: Ein frischer Wind soll durch die Gassen, in der Gerichtsstube und im Museum wehen. Den Beginn ...
Aufbruchstimmung bei der Geschichtsvermittlung. Bald geht vieles digital. Vor der Türe steht zudem das erste Mellinger Kulturfestival
Die Richtung ist mit dem neuen Kulturkonzept gegeben: Ein frischer Wind soll durch die Gassen, in der Gerichtsstube und im Museum wehen. Den Beginn macht ein Festival.
Die Kulturkommission und die Museumskommission mussten kämpfen Ende November 2021, an der Gemeindeversammlung in Mellingen. Knapp 150 000 Franken waren 2022 zusätzlich für Kulturprojekte budgetiert, neben fixen Ausgaben wie etwa für die Bibliothek. Mit diesen zusätzlichen Mitteln sollte das Ortsmuseum umgestaltet werden, inklusive Kurator und Internetauftritt. Die Gerichtsstube sollte möbliert werden. In der Altstadt sollten Bronzetafeln an historischen Gebäuden ersetzt werden und auch ein externer Kulturberater sollte ins Boot geholt werden. Die Genehmigung des Beitrages aber hing an einem seidenen Faden. Erst nach eingehender Diskussion hiess der Souverän diese Gelder mit einem deutlichen Mehr gut.
Mehr Spielraum für Kultur
Diese zusätzlichen Mittel verschaffen den jeweiligen Kommissionen und der zuständigen Ressortverantwortlichen im Gemeinderat, Györgyi Schaeffer, Spielraum. Was 2020 mit einem neuen Kulturkonzept angedacht worden war, kann endlich umgesetzt werden. Schaeffer, die seit Anfang Jahr in Mellingen Frau Gemeindeammann ist, bringt ihr ganzes Herzblut in die Projekte ein. Besonders die Altstadt und ihre Geschichte haben es ihr angetan.
Wie aber kann man entstauben, was vor Jahrzehnten geschrieben und seither beinahe unverändert gezeigt und ausgestellt wurde? Wie geht Kulturund Geschichtsvermittlung heute? Damit befassen sich um Györgyi Schaeffer mehr als zwanzig Männer und Frauen in verschiedenen Arbeitsgruppen – die meisten unter ihnen ehrenamtlich. Unterstützt werden sie dabei von professioneller Seite.
Vermittlung von Geschichte und Geschichten als Teil des kollektiven Gedächtnisses soll in der Schule, im Museum oder bei wichtigen Gebäuden im Städtli Mellingen geschehen – sowohl in Innenräumen als auch im Freien. Es werden unterschiedlichste Zielgruppen angesprochen. Kultur und Geschichte soll zum aktiven und zum digitalen Erlebnis werden. Mit der digitalen Vermittlung setzt sich eine Projektgruppe um Martin Skalsky auseinander. In diesem Bereich sei Mellingen weder die erste noch die letzte Gemeinde, sagt Györgyi Schaeffer. «In Baden wird bereits seit einigen Jahren digital vermittelt.» Solche Projekte würden zudem Unterstützung aus dem kantonalen Kulturbudget erhalten.
Auf Einzelstücke im Museum setzen
Für das Ortsmuseum etwa bedeutet das, dass Geschichten unter anderem digital erzählt werden. «Die Dauerausstellung ist ein riesiges Thema», erklärt Schaeffer. Wie soll sie zeitgemäss umgesetzt werden? Die Museumskommission kann in dieser Hinsicht auf externe Beratung durch Jonas Nyffeler, Kurator im Lenzburger Museum Burghalde, zurückgreifen.
So viel aber steht fest: Statt einer Anhäufung von Objekten im Museum will man sich auf einzelne Ausstellungsgegenstände konzentrieren und exemplarisch deren Geschichte erzählen. Diese Geschichten sollen auch digital abgerufen werden können. Trotz der geplanten Konzentration auf einzelne Objekte soll gleichzeitig die Vielzahl an Museumsobjekten nicht vergessen gehen. Im Gegenteil: ihr Bestand soll gesichert werden. Für eine entsprechende Zusammenarbeit haben sich Mitglieder des ehemaligen Museumsvereins, der das Forum Stadtscheune bis 2014 betreut hatte, bereit erklärt.
Neue Bronzetafeln im Städtli
Älteren Datums sind auch die Bronzetafeln, die an historischen Objekten und Gebäuden in Mellingen angebracht sind. Im Laufe der Jahrzehnte ist die Schrift auf manchen Tafeln unleserlich geworden. Nötig ist ausserdem eine inhaltliche Anpassung, die neue Erkenntnisse aus der Geschichtswissenschaft aufnimmt. Diese Tafeln zu ersetzen, sei ein Projekt aus dem Jahre 2012, erklärt Györgyi Schaeffer. Dieses Projekt sei aber versandet. Nun hat sich eine Arbeitsgruppe erneut damit befasst und der Mellinger Historiker Rainer Stöckli hat die erklärenden Texte aktualisiert.
Inzwischen sind die Prototypen für die neuen Bronzetafeln im Mellinger Rathaus eingetroffen, in drei möglichen Ausführungen mit unterschiedlicher Schrift und unterschiedlichem Hintergrund. Geprüft werden zurzeit Lesbarkeit und Wirkung der Hintergrundfarbe. Insgesamt 30 Tafeln sollen über Gebäude wie das Rathaus, die Gerichtsstube oder den Kirchturm informieren. Und auch hier wird zusätzlich digital, mittels Einlesen eines QR-Codes, erklärt. Das Konzept kommt von der Museumskommission, die Texte von Rainer Stöckli, die Fotos aus dem Fotoarchiv Mellingen, respektive von Viktor Zimmermann, die Webseite von Hanspeter Koch und die Gestaltung verantwortet die Grafik-Designerin Petra Strasser. Die QR-Codes eröffnen einen virtuellen Stadtrundgang, liefern noch mehr Hintergrund und erzählen «die ganz besondere Geschichte des Städtchens». Dabei spielen die Brücke über die Reuss und der Handelsweg eine zentrale Rolle – beides brachte reichlich Geld nach Mellingen. Gleichzeitig wurde die Stadt aber auch zum Zankapfel zwischen den grossen Städten Zürich, Bern und den katholischen Orten der Innerschweiz. Fremde Soldaten standen mal vor, mal in der Stadt. «Die Geschichte Mellingens zeigt uns eine einmalige Überlebensgeschichte in der Mitte dieser überragenden strategischen Lage», heisst es auf der Webseite, die sich noch im Aufbau befindet. Schaeffer hofft, dass die neuen Tafeln bereits nach den Sommerferien installiert werden können.
Gerichtsstube: Erweiterte Nutzung
Bereits im November 2020 war man sich an der Winter-Gmeind einig, dass die Gerichtsstube einer erweiterten Nutzung zugeführt werden soll. Dieses Ziel wird weiter verfolgt. «Wir können uns vorstellen, dass die Gerichtsstube als Sitzungslokal, als Vereinslokal, für Lesungen in kleinerem Rahmen, sowie auch für Apéros oder für ein Dinner mit Catering geöffnet werden könnte», sagt Györgyi Schaeffer. Als Ort der Geschichtsvermittlung soll sie der Schule und weiteren Interessierten auch künftig zugänglich bleiben.
Obwohl die Gemeinde an ihrer letzten Versammlung einen namhaften Beitrag für Kulturprojekte bewilligt hatte, ist es Schaeffer wichtig, auch private Gönner und Sponsoren zu finden. Kultur werde seit jeher stets auch von Mäzenen getragen. Lachend sagt sie: «Es wäre schön, wir könnten auf eine riesige Tafel viele Namen schreiben.»
Heidi Hess
Erstes Kulturfestival am 14. und 15. Mai
Ausstellungen, Lesungen, Live-Musik und Gastronomie stehen auf dem Programmm – zum ersten Mal wird in Mellingen Mitte Mai ein Kulturfestival durchgeführt. Über 25 Kulturschaffende aus Mellingen und den umliegenden Gemeinden haben sich dafür angemeldet. Györgyi Schaeffer freut sich, dass sich so viele Künstlerinnen und Künstler für den Anlass interessieren: «Das bestätigt uns in unserer Arbeit.» Das Festival öffnet seine Türen am Samstag, 14. Mai, von 10 Uhr bis Mitternacht, am Sonntag, 15. Mai, von 10 bis 16 Uhr. Ziel ist es, Begegnungen zwischen den Kunstschaffenden aus der Region und der lokalen Bevölkerung zu ermöglichen. Dieser Vernetzungsund Förderungsgedanke liegt bereits dem im Sommer 2020 genehmigten neuen Mellinger Kulturkonzept zugrunde. «Wir möchten den Bekanntheitsgrad lokaler Künstlerinnen und Künstler fördern», erklärt Györgyi Schaeffer.
Musikerinnen und Musiker werden in der Mehrzweckhalle Kleine Kreuzzelg über beide Tage verteilt auftreten: «The Clou 82», «Sassa» oder «Steamy Joe» am Samstagabend, 14. Mai. «The Grey Hair Company» am Sonntag, 15. Mai. Arthur Brühlmeier, August Guido Holstein, Dorothe Zürcher, Edith Nielsen und Susanne Stranieri lesen am Samstag- und am Sonntagnachmittag jeweils zur vollen Stunde aus ihren Werken. Zwischen den Lesungen tritt am Samstagnachmittag der jubilierende Jodelchor Mellingen auf. Zu sehen sind in der Kleinen Kreuzzelg ausserdem Acryl- und Ölbilder von verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern, Linoldrucke, Schmuck und Skulpturen sowie Keramik oder Ikebanavasen. Eigentlich sollte das erste Kulturfestival bereits 2021 stattfinden. Coronabedingt musste der Anlass verschoben werden. Am Kulturfestival kann man sich zudem kulinarisch verwöhnen lassen: Geboten werden Paella (Vegi, Poulet oder Meeresfrüchte) sowie Hot Dog oder Kuchen. (hhs)