Zu viele Lastwagen, zu viel Stau, zu viel Dreck
10.06.2022Eine Kiesgrube im GrosszeIg würde viel zusätzlichen Schwerwerkehr ins Dorf bringen. Und die Gemeinde verliert ihre letzte Kiesreserve.
Soll Birmenstorf seine letzte Kiesreserve hergeben, um dem Grossraum Baden Baumaterial für die nächsten Jahrzehnte zu sichern? Nein, ...
Eine Kiesgrube im GrosszeIg würde viel zusätzlichen Schwerwerkehr ins Dorf bringen. Und die Gemeinde verliert ihre letzte Kiesreserve.
Soll Birmenstorf seine letzte Kiesreserve hergeben, um dem Grossraum Baden Baumaterial für die nächsten Jahrzehnte zu sichern? Nein, sagt eine Gruppe von sechs Birmenstorfern, die sich selbst als Interessengemeinschaft «Neue Kiesgrube Nein» bezeichnet. Sie wehrt sich gegen die Umzonung von Ackerland in ein Kiesabbaugebiet. Es geht um das Gebiet Grosszelg in Birmenstorf, links und rechts der Fislisbacherstrasse, neben der Autobahn zwischen Bern und Zürich. «Nein zu mehr Verkehr, Stau, Lärm und Dreck!», bringen Marco Biland, Bruno Boo, Werner Ehrler, Beat Maag, Franz Rettich und Patrick Zehnder, alle Mitglieder der IG, ihre Opposition auf den Punkt. Der Kanton allerdings hat zur Umzonung Ja gesagt: Bereits im Dezember 2019 hatte der Grosse Rat einer entsprechenden Richtplananpassung zugestimmt. Er will damit die regionale Versorgung mit Wandkies im Grossraum Baden sichern. Seit Kurzem liegt die Teiländerung Nutzungsplanung für das Kulturland im Grosszelg öffentlich im Gemeindehaus auf («Reussbote», 28. Mai). Statt Felder, auf welchen Erdbeeren und Salat wachsen, könnte das Gebiet Grosszelg bald zur neuen Kiesgrube in Birmenstorf werden. In fünf Etappen würden in den nächsten 20 Jahren über 2 Millionen Kubikmeter Kies abgebaut. Das letzte Wort haben aber die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger. Sie können voraussichtlich bereits an der Winter-Gmeind am 16. November die geplante Umzonung in der Grosszelg ablehnen oder annehmen.
Interessiert an einer neuen Erschliessung sind die Unternehmen Knecht Bau AG aus Brugg, die Merz Baustoff AG aus Gebenstorf und die Richi AG aus Weiningen. Sie haben sich zur Interessengemeinschaft RMK Kies zusammen geschlossen. Denn am anderen Ende des Dorfes gehen in der Grube Niderhard, wo die Gebenstorfer Merz-Gruppe aktuell abbaut, die Kiesreserven aus.
Kombifahrten als Trugschluss?
Die Birmenstorfer IG «Neue Kiesgrube Nein» legt indessen den Fokus auf das Verkehrsaufkommen. Es sei in den letzten Jahren in Birmenstorf ohnehin immer weiter gestiegen. Zu Stosszeiten morgens und abends staut sich der Verkehr im Dorf bis nach Dättwil. Verantwortlich seien dafür auch Lastwagen. Eine neue Kiesgrube im Grosszelg bringe zusätzlich massiven Schwerverkehr und das während rund 25 Jahren. Jeder zusätzliche Lastwagen verschlechtere aber die Lebensqualität des ganzen Dorfes. Laut Berechnungen der Arbeitsgemeinschaft RMK Kies sollen mit der neuen Kiesgrube Grosszelg bis zu 54 000 Lastwagenfahrten pro Jahr entstehen. Über die gesamte Abbauzeit wären das rund 800 000 Fahrten. «Dies bedeutet», hält die IG «Neue Kiesgrube Nein» fest, «dass wegen der neuen Kiesgrube in den nächsten 20 Jahren durchschnittlich alle zwei Minuten ein zusätzlicher Lastwagen über Birmenstorfer Strassen fährt.» Konkret: Über den Birnen-Kreisel beim Quartier Chrüz, wo auch einige der IG-Mitglieder wohnen, rollen zusätzlich 200 Lastwagen im Tag. Die Hälfte wird durchs Dorf Richtung Brugg und Gebenstorf weiterfahren, die andere Hälfte zum Autobahnanschluss. Die IG kritisiert, es handle sich dabei um eine günstige Prognose. Denn die RMK Kies habe viele Kombifahrten berechnet, also Fahrten bei denen Aushub oder Auffüllmaterial zur Grube transportiert wird, während gleichzeitig Baumaterial oder Kies bei der Wegfahrt mitgenommen wird. Patrick Zehnder sagt, bei solchen Kombifahrten handle es sich um einen Idealfall. Kombifahrten seien weder zu Beginn – bei Inbetriebnahme einer Grube – noch am Schluss möglich. Bevor eine Grube aufgefüllt werden kann, muss erst Kies entnommen werden; dieser wiederum fehlt gegen Ende nach jahrelanger Entnahme – die Grube wird nur noch aufgefüllt. Dazwischen handelt es sich um ein logistisches Meisterstück: Das Unternehmen müsste auf der Hinfahrt Aushub von einer Baustelle in die Kiesgrube mitbringen und gleichzeitig Kies an Orte transportieren, wo er gerade benötigt wird. Ohne Umwege. Denn der kürzeste Anfahrtsweg ist für die Unternehmen Bedingung. «Das ist logistisch gesehen kaum machbar», meint Zehnder.
Sorgen wegen der vielen Lastwagen
Die IG ist besorgt, dass der zusätzliche Schwerverkehr die Gemeinde unattraktiver machen wird. «Wir reden von 30- bis 40-Tönnern, die durchs Dorf fahren», so Zehnder. Mit Stau bei den Kreiseln ist zu rechnen, weil die schweren Fahrzeuge langsamer wegfahren. Das wirke sich auf alle Verkehrsteilnehmer aus. Auch auf den öffentlichen Verkehr und damit auf Anschlussverbindungen, die nicht mehr gewährleistet sind. Betroffen sind Schülerinnen und Schüler, Werktätige und Reisende. Die gute Erreichbarkeit aber sei ein Standortvorteil von Birmenstorf. «Den lassen wir uns nicht nehmen», betont die IG.
Ein wichtiger Punkt ist auch die Verkehrssicherheit. Die Transportwege führen über die Hauptstrasse, mitten durchs Dorf mit acht Fussgängerstreifen. Hundert zusätzliche Lastwagen am Tag beeinträchtigen hingegen die Sicherheit von Kindern und älteren Menschen, welche diese Strasse queren. Ob beim Einkaufen oder in der Freizeit, die Gefahren nehmen mit dem Mehrverkehr zu. Patrick Zehnder gibt ausserdem zu bedenken, dass Birmenstorf an einer Nationalen Veloroute liege. Kreuzen sich auf der Hauptstrasse zwei Lastwagen, bleibt für Velofahrerinnen und Velofahrer kein Platz.
An Kinder und Kindeskinder denken
Auch allfällige Steuereinnahmen aus einer neuen Kiesgrube werden hinterfragt. Es sei noch unklar, wie sich die Einnahmen aus der Kiesgrube auf die Gemeindefinanzen auswirkten. Würde der Steuerfuss gesenkt? Zum Beispiel um zwei Prozent? Ein durchschnittlicher Steuerzahler, der in Birmenstorf rund 3100 Franken an Gemeindesteuern bezahlt, würde dann 60 Franken sparen. «Dafür haben wir mehr Stau im Dorf und die Verkehrssicherheit nimmt ab», sagt Zehnder. «Was wir uns mit dieser Grube einhandeln, ist es nicht wert.»
Schliesslich bringt der Birmenstorfer Historiker noch ein Argument ins Spiel. Während Jahrzehnten wurde in der Gemeinde Kies abgebaut. «Es gab Zeiten, da wurden im Dorf gleichzeitig zehn Kiesgruben ausgebeutet.» Dieser Kies ist heute weg, die Gruben wieder zu. Mit einer Kiesgrube Grosszelg könnte in den nächsten Jahrzehnten auch noch das letzte Abbaugebiet schwinden. «Die letzte Kiesreserve in Birmenstorf», meint deshalb Patrick Zehnder, «soll nachfolgenden Generationen erhalten bleiben.»
Heidi Hess




